Mit der erwarteten Räumung zweier Protestcamps in Kairo drohen neue blutige Auseinandersetzungen. Denn die Anhänger des abgesetzten ägyptischen Präsidenten lassen sich vom Innenministerium nicht einschüchtern.

Kairo - Im Machtkampf zwischen Anhängern und Gegnern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi steht eine scharfe Eskalation bevor. Polizei und Militär in Ägypten rüsten sich offenbar dafür, die beiden Zeltcamps der Muslimbrüder in Nasr City und Dokki in nächster Zeit mit Gewalt zu räumen. Ein Sprecher des Innenministeriums rief am Donnerstag über das Staatsfernsehen die auf den Plätzen lagernden Demonstranten auf, vernünftig zu sein und schnell nach Hause zu gehen. Wer die Protestareale freiwillig verlasse, dem werde nichts geschehen. Die Anwohner der umliegenden Wohnblocks wurden aufgefordert, ihre Autos wegzufahren und in Sicherheit zu bringen. Offen ist, wann die Sicherheitsbehörden gegen die Mahnwachen vorgehen wollen. „Es gibt kein konkretes Datum. Wir beobachten weiter die Lage“, kündigte der Ministeriumssprecher an.

 

In den letzten Tagen hatte Ägyptens Staatsanwaltschaft gegen Mursi sowie weitere Führungskräfte der Muslimbruderschaft Haftbefehle erlassen, die sehr konstruiert wirken. Neben Übergangspräsident Adli Mansur traf Westerwelle gestern auch Armeechef General Abdel Fattah al-Sissi, den eigentlichen starken Mann Ägyptens. Ein Besuch bei Mursi, der an einem geheimen Ort inhaftiert ist, wurde ihm auf Druck der Militärführung jedoch verweigert.

Mursis Anhänger rufen zu Großdemonstrationen auf

Die Anhänger Mursis erklärten gestern, sie würden nicht zurückweichen und warnten vor einem Blutbad. Für Freitag riefen sie erneut zu Großdemonstrationen im ganzen Land auf. Seit der Entmachtung Mursis durch das Militär campieren mehrere Tausend Menschen nahe der Rabaa-al-Adawiya-Moschee und der Universität Kairo und verlangen, dass der Präsident wieder in sein Amt eingesetzt wird. Zuvor hatten die USA und Großbritannien Ägypten eindringlich gewarnt, das Recht auf friedliche Demonstrationen zu respektieren. „Das gilt natürlich auch für Sit-ins“, teilte das US-Außenministerium mit.

Die Protestierer in den Camps verhielten sich zunächst ruhig und trafen Vorbereitungen zur Abwehr von Räumungsversuchen. Bei der Rabaa-al-Adawiya-Moschee entfernten sie Müll von den Straßen, um den Krankenwagen die Anfahrt zu erleichtern. Mit Sand gefüllte Eimer wurden bereitgestellt, um Tränengasgranaten löschen zu können. Hinter Barrikaden aus Ziegeln und Sandsäcken stapelten die Mursi-Gefolgsleute Steine, um sie als Wurfgeschosse zu benutzen. „Wir sind bereit“, sagte ein Aktivist am Eingang des Lagers. Der Angriff könne jeden Augenblick erfolgen.

Polizei will in „drei Phasen“ vorgehen

Nach Angaben des Innenministeriums hatte das Kabinett die Sicherheitskräfte am Mittwoch ermächtigt, die Protestlager der Muslimbrüder zu räumen, weil sie die nationale Sicherheit gefährdeten. Man werde in drei Phasen vorgehen, hieß es aus Polizeikreisen: erst mündliche Warnungen, dann Tränengas, dann „Selbstverteidigung“ – sprich: Schusswaffeneinsatz. Amnesty International verurteilte die Ermächtigung des Kabinetts als ein „Rezept für weiteres Blutvergießen“.

Bei einer ähnlichen Aktion am letzten Wochenende hatten Einsatzkräfte in Nasr City, unterstützt von dubiosen Zivilkräften mit Scharfschützengewehren, 82 Demonstranten der Muslimbrüder getötet und mehr als 1000 verletzt. Nach Angaben von Human Rights Watch starben die meisten Opfer durch gezielte Schüsse in Kopf, Hals oder Herz. Als einzige Gruppe aus dem Lager der „zweiten Revolutionäre“ distanzierte sich die Demokratiebewegung „6. April“ von der Kabinettsorder und erklärte, ein solches Vorgehen als „ein Eingeständnis des Scheiterns und eine Geringschätzung von Leben“.