Die Thrillerserie „Hanna“, deren zweite Staffel jetzt bei Amazon Prime startet, lässt Frauen grandios gegen Rollenzuweisungen aufbegehren. Ein Grund, sich zufrieden zurückzulehnen? Nein, findet die Hauptdarstellerin Esmé Creed-Miles.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart/London - Hanna sieht harmlos aus. Sie ist aber eine tödliche Waffe. Wenn man sich ihr in den Weg stellt, sie einsperrt oder ihr droht, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man wenig später irgendwo leblos gefunden wird, hoch. Das konnte man in der ersten Staffel der Serie „Hanna“, die eine Mischung aus Thriller und Coming-of-Age-Story ist, immer wieder miterleben. Und auch in der zweiten Staffel, die von diesem Freitag an bei Amazon Prime verfügbar ist, bleibt Hanna die gefährlichste Geheimdienst-Labor-Ausbrecherin seit Jason Bourne. Inzwischen hat sie herausgefunden , dass sie nicht die einzige ist, die als Versuchskaninchen missbraucht wurde, und macht sich auf den Weg zur geheimnisvollen Institution The Meadows, einem Internat für Supersoldatinnen.

 

Wer Ärger will, fragt, wie es ist, eine starke Frau zu spielen

Hanna ist unberechenbar, sozial nicht konditioniert, macht was sie will, kennt keine Sentimentalität. Wer allerdings glaubt, Hanna sei eine furchteinflößende Frau, sollte erst einmal Esmé Creed-Miles kennenlernen, die Frau, die in David Farrs Serie die Rolle der Hanna spielt – und vor der man besser auf der Hut ist.

Das erste Mal bekamen wir das mit, als sie vor einem Jahr bei der Berlinale die erste „Hanna“-Staffel präsentierte und ein Journalistenkollege ihr mit der Frage, wie sie es fände, eine starke Frau zu spielen, in die Falle ging. Die gerade einmal 19-jährige Debütantin entlarvte den Ausdruck „starke Frau“ in einem lakonisch-klugen Fünf-Minuten-Monolog als einen herablassenden, Geschlechter-Stereotype fortschreibenden Begriff, der zum einen ein falsches Bild von Stärke transportiert und zum anderen unterstellt, dass die Grundkonstitution einer Frau nicht stark sondern schwach ist. Danach traute sich keiner mehr, etwas zu fragen.

Sind komplexe Frauenfiguren nur ein trendiger Erzählgimmick?

Diesmal findet die Begegnung mit Esmé Creed-Miles wegen Corona zwar in Form eines Interviews über die Videokonferenz-Plattform Zoom statt. Doch auch auf dem Computermonitor strahlt sie eine herausfordernde Souveränität aus, die etwas Bedrohliches hat. Derzeit zeigen nicht nur feministische Thriller wie „Hanna“ oder „Killing Eve“, sondern auch Comedyserien wie „Fleabag“ und Dramen wie „Little Fires Everywhere“ ein neues, differenziertes Frauenbild und stellen weibliche Rollenzuweisungen infrage. Ob sie nicht finde, dass es zurzeit sehr viele hochkomplexe Frauenfiguren in TV-Serien gäbe, lautet daher die vorsichtige erste Frage.

Doch Creed-Miles fällt auf so etwas nicht herein: „Wenn Sie glauben, dass sich die Industrie gerade wirklich ändert, sind sie sehr naiv“, antwortet sie, „es gibt zwar ein größeres Bewusstsein, aber Bewusstsein heißt nicht, dass sich etwas ändert.“ Sie habe den Verdacht, dass toughe Frauen derzeit zwar angesagt sind, dass diese aber oft nur als trendiger Erzählgimmick herhalten müssen und dass sich daraus keine echten Konsequenzen ergäben: „Ich glaube, ein nuanciertes Frauenbild ist noch weit davon entfernt, eine Selbstverständlichkeit zu sein. Mein Gefühl ist, dass ich mich als Frau im Fernsehen weiterhin nicht wiederfinde, dass ich nicht wirklich repräsentiert werde. Da muss noch einiges passieren.“

Greta kämpft gegen den Klimawandel, Esmé für Geschlechtergerechtigkeit

Wenn die Frau aus Nottingham einen so auflaufen lässt und politisch perspektivisch denkt, fühlt man sich an den Eifer und Furor Greta Thunbergs erinnert. Und tatsächlich – auch wenn es Creed-Miles nicht darum geht, den Klimawandel aufzuhalten, sondern Geschlechterdiversität zu fördern – ist ihre Hartnäckigkeit genau das, was die Unterhaltungsindustrie dringend braucht. Eigentlich kann es gar nicht genug störrische, schlaue und unbequeme junge Frauen wie Creed-Miles geben, die alten weiße Männern Angst einflößen.

Bei jeder Frage, die man ihr stellt, muss man damit rechnen, dass diese gegen einen verwendet wird. Ganz ähnlich, wie sie als Hanna ihre Gegner entwaffnet, um dann deren Gewehre auf sie selbst zu richten. Wenn man zum Beispiel wissen will, wie es zu der Verwandlung von Hanna gekommen ist, die in der ersten Staffel noch der pubertierende Teenager auf Selbstfindungstrip war und nun in der zweiten Staffel fast elterliche Beschützerinstinkte für die anderen Mädchen entwickelt, reagiert sie trotzig: „Da müssen Sie schon David fragen, das hat er so entschieden. Mein Job als Schauspielerin ist nur, mein Bestes zu geben, seine Ideen umzusetzen.“ Und auf die Frage, wie sehr sich Hannas Geschichte dadurch verändert hat, dass in der zweiten Staffel mehr Autorinnen in David Farrs Team waren, sagt sie: „Da keine von uns Schauspielerinnen am Schreibprozess beteiligt ist, kann ich das nicht sagen.“

Esmé Creed-Miles will mehr als nur spielen

Dass sich so jemand nicht lange damit zufrieden gibt, in Rollen zu schlüpfen und Texte aufzusagen, die ihr andere vorgeben, wundert kaum: Creed-Miles hat gerade ihren ersten eigenen Film inszeniert, bei dem sie Produzentin, Regisseurin und Hauptdarstellerin ist – den Kurzfilm „Jamie“, in dem sie von einer depressiven jungen Frau erzählt „Zu schreiben und Regie zu führen sind Sachen, die ich den nächsten Jahre gerne mehr machen möchte“, sagt sie, „ich fühle mich eigentlich hinter der Kamera sogar wohler als vor der Kamera. Was aber nicht daran ändert, dass ich diesen Schauspieler-Job liebe.“

Und obwohl Esmé Creed-Miles einen sogar ein bisschen von der anderen Seite des Computermonitors aus anlächelt, während sie das sagt, merkt man, als das Interview ein paar Minuten später vorbei ist, dass man irgendwie doch erleichtert ist, die Begegnung mit ihr überlebt zu haben.

Esmé Creed-Miles, „Hanna“ und die Geschlechtergerechtigkeit in der Kultur

Star Esmé Creed-Miles (20) ist die Tochter der Schauspielerin Samantha Morton. In „Hanna“ gibt die Britin ihr Seriendebüt.

Serie „Hanna“ stammt von David Farr, der auch das Drehbuch für den Film „Wer ist Hanna?“ (2011) geschrieben hat, auf dem die Serie beruht. Die zweite Staffel ist von Freitag, 3. Juli, an bei Amazon Prime verfügbar.

Studie „Frauen und Männer im Kulturmarkt“ heißt eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie. Am sogenannten Gender Pay Gap, also dem vergleichsweise geringeren Verdienst von Frauen, hat sich der Studie zufolge grundsätzlich nichts geändert. Fast durchgängig erreichen Frauen ein geringeres Einkommen aus der selbstständigen künstlerischen Tätigkeit als Männer. Insgesamt machten Frauen etwa die Hälfte der in der Künstlersozialkasse Versicherten aus.