Auf den ersten Blick sieht es aus, als wären Schönheitsideale kulturell bedingt  – man denke an für das europäische Auge befremdende Attribute von Völkern wie die abgefeilten Schneidezähne der Aborigines oder die mit Pfählen durchbohrten Lippen der Amazonasindianer. Doch die Attraktivitätsforschung zeigt, dass es einen relativen Konsens innerhalb der Kulturen gibt. So ist etwa eine makellose Haut für die meisten ein wichtiges Schönheitsmerkmal.

 

Dabei ist die Hauttextur heute relativ einfach zu manipulieren – mit Cremes, Botox, Hyaluronsäure oder anderen Fillern – und hat trotzdem nichts von ihrem Stellenwert verloren. „Eigentlich müsste die Signalwirkung einer reinen Haut, gerade auch in puncto Partnerwahl, nachlassen, da sie ja jeder manipulieren kann“, wundert sich auch der Attraktivitätsforscher Grammer. „Seltsamerweise tut sie das nicht.“

„Edle Blässe“ und „knackige Bräune“

Apropos Haut: Schönheitsideale spiegeln auch immer den jeweiligen Zeitgeist und die Machtverhältnisse einer Gesellschaft wieder. Das Beispiel gebräunter Haut ist bekannt: Seit eh und je galt das von der Sonne gegerbte Aussehen als ein Zeichen von Unterprivilegierung. Als die besser verdienenden Kreise in den sechziger Jahren dann das Mittelmeer als Urlaubsziel entdeckten, entwickelte sich der getönte Teint zum Schönheitsideal. Zuvor herrschte viele Jahrhunderte lang die „edle Blässe“ vor. Ulrich Renz schreibt: „In den höfischen Romanen des Mittelalters wird die weibliche Schönheit in den immer gleichen Formeln beschrieben. Vor allem muss die Schöne blond sein, die Haut ‚weißer als Silber oder Kristall‘, der Mund rot, eher klein, die Wangen rosa. Die Augen sind idealerweise blau.“ Sich die Haare am Ansatz auszurupfen war ebenfalls angesagt, um eine möglichst hohe Stirn präsentieren zu können.

In der Renaissance gilt im Großen und Ganzen dasselbe, hinzu kommt die neue Wertschätzung eines wohlbeleibten Körpers, was sich auch in der positiven Wirkung eines leichten Doppelkinns zeigte. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts unterscheiden sich Männer und Frauen bezüglich des Schönheitsaufwands nur wenig. Beide lassen ihr Gesicht unter einer dicken Schicht weißer Tünche verschwinden, darüber wird großzügig Rouge gepinselt. Stark gepuderte und parfümierte Perücken sind Standard. Auch noch viel später, in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, galt der blasse Teint als Schönheitsideal. Dazu kontrastierten schwarz umrandete Augen und ein roter Schmollmund.

Dazu gehört die operative Versorgung von Verbrennungsopfern genauso wie die von Patienten mit Fehlbildungen. Auch Begriffe wie zum Beispiel „kosmetische Chirurgie“ sind nicht reglementiert. „Das ist ein Problem, mit dem ich hin und wieder konfrontiert werde“, sagt Kotzur. Nämlich dann, wenn Patienten zu ihr kommen, die ihre Knubbel und Verklumpungen loswerden wollen. „Es kommt leider vor, dass mit unerlaubten Stoffen wie flüssigem Silikon oder winzigen Plastikkügelchen gearbeitet wird.“

Künstliche Natürlichkeit lautet die Zauberformel

Solche Nebenwirkungen will niemand haben, in Kauf genommen werden sie trotzdem. Obwohl das oberste und gemeinsame Ziel der meisten Patienten offenbar der Eindruck von Natürlichkeit ist. Niemand soll sehen, dass man sich „etwas hat machen lassen“. Künstliche Natürlichkeit – das scheint die Formel zu sein, nach der immer mehr Menschen streben.

Das bestätigt auch Werner Mang. Seit zwanzig Jahren ist er Chefarzt und Leiter der Bodenseeklinik, der bekannten Fachklinik für plastisch-ästhetische Chirurgie in Lindau mit Ablegern in ganz Deutschland. „Die Schönheitschirurgie ist im Mainstream angekommen. Ob Hausfrau oder Manager, mein Klientel ist bunt gemischt.“ Mang beobachtet den Trend mit gemischten Gefühlen. „Je länger ich in dem Beruf arbeite, desto weniger kann ich mich mit dem Beautywahn identifizieren.“ Die Erwartungshaltung der Patienten werde immer höher, seitdem sich Botox-Partys oder Botox-to-go-Angebote verbreiten. „Wir tun uns damit keinen Gefallen.“ Mang ist ein Verfechter der „vernünftigen Schönheitschirurgie“, wie er es nennt. „Es geht oft darum, das seelische Gleichgewicht wiederherzustellen. Korrekturen von Schlupflidern oder Tränensäcken gehören zu meinem Standardrepertoire. Aber diesen Botoxwahn oder diese Lippen-Aufspritzerei sehe ich äußerst skeptisch.“ Er geht sogar so weit zu sagen: „Heute versucht man gern, die eigene Unzufriedenheit wegzuspritzen.“

Schönheitschirurgie – in Deutschland eine Frage der Moral

Angesichts der vergleichsweise unaufwendigen und erschwinglichen Möglichkeit, sich mal eben in der Mittagspause einen Schuss Hyaluronsäure oder Botox in die Falten jagen zu lassen, liegt die Annahme nahe, dass die Hemmschwelle, „sich etwas machen zu lassen“, sinkt. „Das stimmt, und gleichzeitig herrscht in Deutschland eine seltsame Ambivalenz“, sagt Annette Kotzur. „Einerseits wird es langsam gesellschaftsfähig, sich optisch auffrischen zu lassen. Andererseits schwingen viele beim Thema Schönheitseingriffe gleich die Moralkeule und verurteilen Menschen, die zum Chirurgen gehen.“ Das sei in anderen Ländern längst nicht so ausgeprägt.

„Bin ich schön?“ Der Titel des Episodenfilms der Regisseurin Doris Dörrie von 1998 steht symbolhaft für die Wechselwirkung zwischen Aussehen und Lebensglück. In wissenschaftlichen Studien wurde mehrfach der Frage nachgegangen, wie signifikant der Zusammenhang zwischen äußerlicher Attraktivität und Erfolg im Leben ist. Aus dem Fachgebiet der Attraktivitätsforschung, mit dem sich wissenschaftliche Disziplinen wie die Psychologie, die Anthropologie oder auch die Wirtschaftswissenschaften beschäftigen, weiß man jedenfalls, dass attraktiven Menschen in weitaus höherem Maß positive Eigenschaften wie Gesundheit, Intelligenz und ein guter Charakter zugeschrieben werden als weniger attraktiven.

Attraktivität und Lebensglück

Offenbar neigen Menschen dazu, ästhetische und ethische Kategorien unbewusst in einen Topf zu werfen. Das sogenannte Attraktivitätsstereotyp führt dem Fachtenor zufolge dazu, dass schöne Menschen in praktisch allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens positiver behandelt werden. „Die meisten Leute wissen nicht, dass sich ein erster Eindruck innerhalb von Millisekunden entscheidet“, sagt Karl Grammer. Der Evolutionsbiologe erforscht am Institut für Anthropologie in Wien unter anderem die Gesetze der Partnerwahl. „Wenn jemand attraktiv ist, hat man einen guten Eindruck, der einem vielleicht gar nicht so bewusst ist.“ Die Skepsis, die schönen Menschen im alltäglichen Leben oft entgegenschlägt, sei wiederum anerzogen.

Es gibt im Großen und Ganzen zwei Hauptkriterien für die objektive Attraktivität eines Menschen: Durchschnittlichkeit und Symmetrie. Hinzu kommen Attribute wie Jugendlichkeit, Zustand von Haut und Haar, Bewegung, Geruch, Stimme, Körpergröße und Figur. Asymmetrie hingegen, also etwa eine schiefe Nase, macht Menschen laut Grammer unattraktiv. „Je größer die Abweichungen von der Durchschnittlichkeit, desto weniger attraktiv.“ Wobei der Begriff Durchschnittlichkeit für den Laien zunächst irreführend ist. In Studien wurden Fotos von Gesichtern so gemorpht, also digital übereinandergelegt, dass ein Durchschnittsgesicht entstehen konnte. „Dieses Gesicht wurde von den Testpersonen im Mittel positiver beurteilt als die Einzelgesichter“, sagt Karl Grammer.

Modelgesichter haben oft ein hervorstechendes Attribut

Das Durchschnittsgesicht ist allerdings nicht das allerschönste. „Dieser Prototyp sagt lediglich, was normal ist“, erklärt Ulrich Renz. In seinem Buch „Schönheit – eine Wissenschaft für sich“ beschäftigt er sich mit sämtlichen Facetten menschlicher Attraktivität. Unverwechselbar schöne Gesichter wiesen ein spezielles Charakteristikum auf. „Gefragte Models haben zum Beispiel oft männliche Attribute“, sagt Renz. „Dichte Augenbrauen etwa, prägnante Nasen oder hohe Wangenknochen.“ Wichtig sei allerdings, dass der Rest des Gesichts typisch weiblich sei, also kleines Kinn, große Augen, volle Lippen. Das deutsche Model Eva Padberg kommt einem in den Sinn.

Die folgende Anekdote zeigt, dass Unverwechselbarkeit meist mehr wert ist als Makellosigkeit: die Schauspielerin Jennifer Grey, bekannt geworden in der Rolle der Baby im 80er-Jahre-Kultfilm „Dirty Dancing“, hat sich kurz nach ihrem Sensationserfolg ihre Charakternase verkleinern lassen. Sie hat danach nie wieder an ihren Erfolg anknüpfen können. Allein der neuen Nase ist das sicher nicht anzulasten, aber nachdenklich stimmt es allemal.

Und was hat nun Attraktivität mit der Partnerwahl zu tun? Ulrich Renz bezeichnet Schönheit als eine Art Torwächter der Liebe. „Sie entscheidet darüber, ob man jemandem überhaupt Beachtung schenkt und sich auf den Rest des Annäherungsprozesses einlässt“, schreibt er. „Auf dem unübersichtlichen Markt der Paarungsmöglichkeiten ist Schönheit die ordnende Kraft. Sie entscheidet, wer überhaupt füreinander infrage kommt und wer sich besser an einen anderen Spieltisch setzt“, schreibt er poetisch.

Manches Ideal ist dann doch global gültig

Auf den ersten Blick sieht es aus, als wären Schönheitsideale kulturell bedingt  – man denke an für das europäische Auge befremdende Attribute von Völkern wie die abgefeilten Schneidezähne der Aborigines oder die mit Pfählen durchbohrten Lippen der Amazonasindianer. Doch die Attraktivitätsforschung zeigt, dass es einen relativen Konsens innerhalb der Kulturen gibt. So ist etwa eine makellose Haut für die meisten ein wichtiges Schönheitsmerkmal.

Dabei ist die Hauttextur heute relativ einfach zu manipulieren – mit Cremes, Botox, Hyaluronsäure oder anderen Fillern – und hat trotzdem nichts von ihrem Stellenwert verloren. „Eigentlich müsste die Signalwirkung einer reinen Haut, gerade auch in puncto Partnerwahl, nachlassen, da sie ja jeder manipulieren kann“, wundert sich auch der Attraktivitätsforscher Grammer. „Seltsamerweise tut sie das nicht.“

„Edle Blässe“ und „knackige Bräune“

Apropos Haut: Schönheitsideale spiegeln auch immer den jeweiligen Zeitgeist und die Machtverhältnisse einer Gesellschaft wieder. Das Beispiel gebräunter Haut ist bekannt: Seit eh und je galt das von der Sonne gegerbte Aussehen als ein Zeichen von Unterprivilegierung. Als die besser verdienenden Kreise in den sechziger Jahren dann das Mittelmeer als Urlaubsziel entdeckten, entwickelte sich der getönte Teint zum Schönheitsideal. Zuvor herrschte viele Jahrhunderte lang die „edle Blässe“ vor. Ulrich Renz schreibt: „In den höfischen Romanen des Mittelalters wird die weibliche Schönheit in den immer gleichen Formeln beschrieben. Vor allem muss die Schöne blond sein, die Haut ‚weißer als Silber oder Kristall‘, der Mund rot, eher klein, die Wangen rosa. Die Augen sind idealerweise blau.“ Sich die Haare am Ansatz auszurupfen war ebenfalls angesagt, um eine möglichst hohe Stirn präsentieren zu können.

In der Renaissance gilt im Großen und Ganzen dasselbe, hinzu kommt die neue Wertschätzung eines wohlbeleibten Körpers, was sich auch in der positiven Wirkung eines leichten Doppelkinns zeigte. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts unterscheiden sich Männer und Frauen bezüglich des Schönheitsaufwands nur wenig. Beide lassen ihr Gesicht unter einer dicken Schicht weißer Tünche verschwinden, darüber wird großzügig Rouge gepinselt. Stark gepuderte und parfümierte Perücken sind Standard. Auch noch viel später, in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, galt der blasse Teint als Schönheitsideal. Dazu kontrastierten schwarz umrandete Augen und ein roter Schmollmund.

Ob nun der Wandel weg von der Blässe hin zum gebräunten Teint wie nebenbei den großen Boom auf dem Markt der Schönheitsindustrie in den vergangenen Jahrzehnten ausgelöst hat, ist reine Spekulation. Fakt ist, dass Sonneneinstrahlung das Unvernünftigste ist, was man der Haut zumuten kann, wenn sie möglichst lange jung und frisch bleiben soll. Mal ganz abgesehen vom Risiko, an Hautkrebs zu erkranken. „Natürlich sind es in erster Linie die Gene, die einen Menschen mit mehr oder weniger Falten ausstatten“, sagt die plastisch-ästhetische Chirurgin Annette Kotzur. „Die Sonne ist und bleibt trotzdem der Faltenförderer Nummer eins.“ Also wird fleißig weiter gecremt, getüncht, geschminkt und der Zahn der Zeit gar einfach weggespritzt oder -geliftet.

Schönheitswahn und Angst vor dem Tod

Was die verstorbene Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich in den eingangs zitierten Sätzen so schnörkellos klar ausdrückt, umschreibt Ulrich Renz etwas dramatischer: „Der Skandal der Schönheit ist der Skandal des Lebens: dass es irgendwann zu Ende geht.“ Den Schönheitskult interpretiert er als eine Art Todesverdrängung: „Die verzweifelten Versuche, die Jugend festzuhalten, sind nichts als der Versuch, um die Trauer des Abschieds herumzukommen.“

Abgesehen davon, dass die Verdrängung des Todes für so einige Manien und Neurosen der Moderne herhalten muss, wirkt der Erklärungsversuch plausibel. In einer individualistisch-säkularisierten Gesellschaft, die den Hedonismus im Hier und Jetzt zum Lebensinhalt erklärt, scheint diese Entwicklung fast zwangsläufig.

Botox und Co.

Genaue Zahlen zu ästhetischen Eingriffen gibt es nicht. Die Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie Deutschland schätzt die Zahl der allein durch ihre 450 Mitglieder vorgenommenen Eingriffe für 2009 auf etwa 400 000, inklusive Faltenbehandlungen. 80 Prozent der Patienten sind Frauen.

Auf Platz eins stehen Brust-OPs, gefolgt von Fettabsaugung, Lidstraffung, Bauchdeckenstraffung und Nasenkorrekturen. Hinzu kommen Faltenbehandlungen mit Botox oder Fillern wie Hyaluron- oder Polymilchsäure. Die Tendenz bei diesen Behandlungen ist steigend, vor allem bei Männern.