Wie wollen wir zusammen leben? Bücher und Filme erzählen hie von der Traumhochzeit als Unterpfand ewig währender Treue, da von immer neuen Abenteuern der Leidenschaft. Was, wenn nichts davon wahr wäre? – fragt die StZ-Autorin Eva-Maria Manz.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - „New York, der pralle, saftige Apfel. Die Stadt, die nie mit derselben Person zwei Nächte hintereinander schläft. Meine Lieblingsstadt in Amerika, wo ,Sex and the City‘ nicht bloß eine Serie, sondern ein Versprechen ist.“ Bridget Jones – Heldin gleichnamiger Romane und Filme – erträumt sich ein Leben voll aufregender Liebesabenteuer in einer pulsierenden Stadt, wie sie es aus einer Fernsehserie kennt. Bridget Jones möchte aber nicht nur ein wildes Sexleben, sondern zehn Kilo abnehmen, den richtigen Mann finden, heiraten, mit ihm Kinder bekommen und bis zum Tod zusammen bleiben. Ein weithin bekannter Plot.

 

Viele Menschen streben lebenslange Partnerschaften an, wollen Liebe, Leidenschaft und Sehnsucht, zugleich wollen sie Familie, Sicherheit, Geborgenheit. Wie entstehen diese Wünsche und Vorstellungen? Verstehen wir überhaupt, was das alles ist? Und verstehen wir unter den Versprechen, die wir einander geben, alle dasselbe? Ist unser Begehren unser eigenes, oder ist das Begehren etwas Fremdes, bei dem wir immer nur Zuschauer bleiben, so lieben wollen „wie die im Film“? Und am Ende steht die Frage: Wieso werden unsere Erwartungen an unsere Partnerschaften immer wieder enttäuscht?

Affären nach Vorlage – das gab’s schon bei Flaubert

Das Lieben nach Vorlage hat Tradition. Schon Flauberts Emma Bovary träumte sich einst in eine Affäre, wie sie die „Romanheldinnen“ ausleben, und „der lange Traum ihrer Mädchenzeit“ wird „zur Wirklichkeit“, als sie selbst eine solche Affäre beginnt – mit fatalen Folgen. Und in Boccaccios „Decamerone“ wird das gemeinsame Lesen einer Erzählung über den Fehltritt Guineveres mit Lancelot zum Auslöser für zwei Lesende, sich selbst gemeinsam in ein Liebesabenteuer zu stürzen. Zuletzt hat diese Mechanismen der US-Romancier Jeffrey Eugenides in seinem Bestseller „Die Liebeshandlung“ (The Marriage Plot) am Beispiel von Collegestudenten der Achtziger lustvoll vorgeführt und zerlegt.

Der Konsum von Liebeserzählungen entfacht nicht nur bei Roman- oder Filmhelden den Wunsch nach eigenen Erlebnissen dieser Art. Er prägt die Auffassungen vieler Menschen davon, wie Sexualität, Begehren, Liebe und Paarbeziehungen ausgelebt werden können. Den „Schlüsselerzählungen“ der Liebe, so beschreibt es die Soziologin Eva Illouz in ihrem aktuellen Buch „Warum Liebe weh tut“, begegnen wir immer wieder. Seit Jahrzehnten prägen amerikanische Liebesfilme die Vorstellungen vieler Menschen von Liebe, Ehe, Zweisamkeit, aber auch von sexuellen Abenteuern.

Die Liebe und ihr Preis – Rituale sind prägend

Was ist Liebe? Klarer Fall: ein starkes Gefühl, eine ultimative Motivation für unsere Handlungen, eine Kraft, die Hindernisse überwinden kann, ein Zustand der Glückseligkeit. Woher wissen wir das? Unsere Gefühle, meint Eva Illouz, sind in fiktionale Erzählungen eingebettet, sie entwickeln sich in Geschichten und als Geschichten, haben grundsätzlich eine narrative Form. Oder, wie der Philosoph Slavoj Zizek sagt: „Cinema is the ultimate pervert art, it doesn’t give you what you desire, it tells you how to desire.“

Tatsächlich treffen wir in zeitgenössischen Filmen und Romanen immer wieder auf dieselben rituellen Abläufe: ein Mann und eine Frau begegnen einander, verlieben sich, müssen Hindernisse überstehen, bis am Ende doch alles gut ist und sie heiraten. Die Codes, Bilder und Abläufe für die Hochzeit scheinen festgelegt: Der Mann macht den Antrag, er darf das Kleid vor der Trauung nicht sehen. Das Brautpaar tanzt miteinander, und alle schauen zu, Freunde ergreifen das Wort und wünschen dem Paar viel Glück. Dann reisen die Frischvermählten ans andere Ende der Welt.

Alles wie im Hollywood-Film

Je stärker die gesellschaftliche Rolle der Ehe abnimmt und je mehr Ehen nicht mehr bis zum Tod eines Partners bestehen bleiben – in Großstädten wird die Hälfte aller Ehen heute wieder geschieden – desto mehr Wert scheinen viele heiratswillige Menschen auf die Rückbesinnung auf alte Riten, die mit der Eheschließung verbunden sind, zu legen. Ja, sie greifen begierig neue rituelle Abläufe auf, etwa nach dem Vorbild der Junggesellenabschiede in amerikanischen Filmen. Striptease-Tänzerinnen und -Tänzer sollen kurz vor der Hochzeit die Hüften schwingen. Für die Braut muss etwas Altes, etwas Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues her. Die Brautjungfern sind alle gleich angezogen, und das Brautpaar, das aus der Kirche oder dem Standesamt tritt, wird mit Reis beworfen.

Mit all dem versuchen Paare, so Eva Illouz‘ Diagnose, zugleich ein Abenteuer- wie ein Sicherheitsbedürfnis zu stillen. Dazu bedienen sie sich verschiedener medial vermittelter Erzählungen. Allerdings wird dadurch das moderne Leben vieler Paare hochgradig vorhersehbar, und das wiederum hat eine Langeweile zur Folge, die wir, so Illouz, „ständig mit Modellen emotionaler Erregung, Intensität und Fülle vergleichen, wie sie uns die Medien vorführen“.

Genau genommen hängen wir also in verschiedenen Stadien der Liebeserzählung fest: Wir wollen die Geborgenheit, die die gesicherte und fest vereinbarte Zweisamkeit bietet. Doch wir wollen auch immer wieder den Anfang der Erzählung erleben, die Zeit, in der noch alles aufregend und unbekannt ist, die Zeit, in der unser Handeln vor allem von unserem sexuellen Begehren angetrieben wird. Und Medien, Literatur und Film vermitteln den Eindruck, dass all dies zugleich möglich sein müsste.

Die Liebe und ihr Preis – Schubladen sind nicht alles

Die Journalistin Carolin Emcke beklagt in ihrem Buch „Wie wir begehren“, dass für das frühe Begehren, nach dem sich später alle wieder sehnen, keine Worte gefunden werden, dass es in dumpfen, einsilbigen Begriffen untergeht, in Schablonen, wie etwa in den Kategorien „lesbisch“, „schwul“ oder „hetero“. Diese Kategorien legen Begehren auf etwas Bestimmtes fest, sie formen, so Emcke, daraus eine Identität, die maßgeblich dazu beitrage, wie wir in unserer Umgebung wahrgenommen werden. „Warum sollte Heterosexualität fragloser sein als Homosexualität? Weil das die Norm ist? Weil Normen so verinnerlicht sind, dass sie unbemerkt übernommen werden?“

Emcke entdeckte erst mit Mitte zwanzig, dass sie Frauen liebt, und in der Pubertät hat sie auf die anderen geschaut „wie auf ein Theaterstück“. Und trifft es nicht auf die meisten von uns zu? Das Begehren, das Gefühl des unaussprechlichen Besitzen- und Sich-Verschenken-Wollens verstehen wir nicht, wir können es nur beobachten, an uns selbst und an anderen, und vielleicht können wir es sogar lediglich nachahmen. Jedenfalls hatten wir eine klare Vorstellung, wie lang und zärtlich der Kuss, den der britische Prinz William seiner frisch angetrauten Kate zu geben hatte, hätte dauern sollen, und waren ein wenig enttäuscht, als er – aufgeregt und erschöpft – zunächst nur einen Sekundenschmatzer für sie übrig hatte.

Sehnsucht nach Sicherheit

Dass viele Menschen auch in Liebesdingen in fest gelegten Kategorien denken und handeln, haben Genderforscherinnen schon vor Jahrzehnten analysiert. Und doch waren wir noch nie so verunsichert wie heute. Gerade der neue Trend zurück zu altmodischen Hochzeitsbräuchen weist darauf hin, dass die Sicherheit, die üblicherweise mit diesen Riten verbunden wurde, verloren gegangen ist, wie verzweifelt wir uns daran auch festklammern. Wie wir begehren, wie wir lieben und wie wir miteinander leben – all das ist schon lange nicht mehr so klar und eindeutig geregelt, wie es einmal war, weder von Gesetzen noch von Konventionen. Aber es wird in den Medien und in unserem eigenen Umfeld auf die eine oder andere Weise vorgelebt – Ausnahmen von der Regel des Traditionellen eingeschlossen.

Hollywoodfilme der Genres „Romance“ oder „Romantic Comedy“ zeigen uns Bilder von Lebensgemeinschaften und Wertvorstellungen, deren diskursbegründende Ursprünge in vergangenen Jahrhunderten liegen: die Liebesheirat und die romantische Liebe. Die hohen Scheidungsraten belegen, dass die Institution Ehe in der Form, wie sie bis heute in Büchern und Filmen dargestellt wird, in Wahrheit von annähernd der Hälfte der Verheirateten nicht mehr dauerhaft gelebt wird – zum Glück ohne dass diese dafür gesellschaftlich geächtet werden.

Die Liebe und ihr Preis – Verkaufsschlager Begehren

Die alten Rituale und ungeschriebenen Gesetze für das Zusammenleben sind zwar noch vorhanden, bilden aber längst nicht mehr die Maximen unseres tatsächlichen Handelns. Sie sind kulturelle Krücken, deren Benutzung uns beim Eintritt in den gesellschaftlich festgelegten Rahmen der Liebesbeziehung Sicherheit vermittelt. Dieser Rahmen kann am Ende aber dann doch zu Gunsten individueller Ansprüche durchbrochen werden. Es findet sich stets eines von vielen Erklärmodellen – das Recht auf einen Neustart, das Bedürfnis, sich neu zu erfinden, Entfremdung der Partner –, das unser Handeln moralisch rechtfertigt und die früheren Verpflichtungen hinfällig macht. Und auch dafür gibt es Krücken: In den USA werden sogenannte Divorce Partys immer beliebter – als finaler Schritt der Paare in einer Routine, die einen ganzen Geschäftszweig hervorgebracht hat: die Wedding Industry.

Liebe, Begehren und Sexualität sind Verkaufsschlager – und die Idee der Liebe eine Art neue Religion mit ganz eigenen Regeln, Riten und Glaubenssätzen. Wer feurige Leidenschaft will, braucht Sprühsahne, Spitzenunterwäsche und ein Gläschen Prosecco dazu. Im romantischen Ambiente des karibischen Urlaubsparadieses klackern die Eiswürfel im Bacardi-Cola-Glas, glückliche Familien wohnen wie im Ikea-Katalog, verliebte Paare durchqueren die Welt bei einer Aida-Kreuzfahrt, Hochzeitskleider kosten Tausende von Euro und sind so weiß wie die Unschuld der Braut (es längst nicht mehr ist). Liebe und auch Leidenschaft, so lernen wir aus Filmen und Büchern, gibt es nicht ohne Preis. Und das Konzept der romantischen Liebe muss all jene sinnstiftenden Momente bergen, die wir nirgendwo anders mehr greifen können: Erst begehrt zu werden und zu begehren verleiht dem Leben wahrhaft Sinn.

Lebensmodelle aus Erzählungen

Aber genau wie man die Bibel als eines der einflussreichsten Werke der Weltliteratur – nicht mehr und nicht weniger – betrachten kann, kann man auch die Konzepte von Liebe und Begehren als gesellschaftlich gemachte, durch Erzählungen konstituierte Lebensmodelle verstehen und kritisieren. Es ist nicht nötig, diese überkommenen Modelle schlechtzureden oder sie gar ausmerzen zu wollen. Sie machen einen oder mehrere Vorschläge, wie wir theoretisch leben können – mehr nicht. Das tradierte Modell der Ehe beispielsweise schließt körperliche und emotionale Treue ein, die kompromisslose Bedingung, sein Begehren ausschließlich im häuslichen Umfeld auszuleben, woraus die Sicherheit resultieren soll, die es ermöglicht, sich vertrauensvoll im häuslichen Raum zu bewegen und gemeinsam Kinder zu erziehen. Es umfasst aber auch die Vorstellung von der Möglichkeit, sich selbst zu entfalten. Und da dockt der Anspruch an, das eigene Begehren unter den Bedingungen einer zunehmend individualisierten Gesellschaft zu leben.

Carolin Emcke glaubt, dass das Begehren mehr ist als etwas, das wir nur einmal entdecken, in der Pubertät, mehr als die Initiation zur Sexualität: Warum eigentlich, fragt sie, müssen sich „die Formen des Liebens, Praktiken der Lust verfestigen zu stabilen lebenslangen Identitäten?“ Ihre Antwort: „Vielmehr habe ich das Begehren oder hat das Begehren mich entwickelt, immer wieder neu, immer etwas anderes, wie Ringe an einem Baumstamm haben sich neue Arten der Lust und des Begehrens über die früheren gelegt.“Das bedeutet – nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch – Freiheit, und die muss man erst einmal aushalten. Zu erkennen, dass die medial tradierten Modelle der Liebe, denen wir so eifrig zu entsprechen suchen, uns in vielen Fällen eher davon abhalten, zufrieden und glücklich zu werden, ist zunächst ein schmerzhafter Prozess. Aber er birgt auch die Möglichkeit, toleranter mit uns selbst und anderen umzugehen und, beispielsweise, den Wert einer Liebesbeziehung zu erkennen, die nach vielen Jahren oder mit zunehmendem Alter zu einer innigen, verlässlichen Freundschaft geworden ist. Es ist nicht nötig zu glauben, dass eine Beziehung in allen Lebenslagen und zu jeder Zeit noch allen Ansprüchen – Leidenschaft, romantische Liebe, Sex, Vertrautheit, Sicherheit – zugleich gerecht werden müsse und dass immer die erotische Liebe das höchste der Gefühle wäre. Losgelöst von der Diktatur der Rituale, der Filmbilder und der Liebeserzählungen können wir uns auch befreien von dem Gefühl, immer außer Atem und nie am Ziel zu sein. Das ist eine Chance, unser Lebensglück von geliehenen Liebesvorstellungen unabhängig zu machen.

Die Liebe und ihr Preis – Zahlen und Rituale

In Deutschland geht man von durchschnittlichen Kosten von 10 000 Euro pro Hochzeit aus, in den USA liegen diese Kosten bei umgerechnet 28 000 Euro. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat in dieser Woche die vorläufigen Zahlen zu Eheschließungen in Deutschland im Jahr 2011 bekanntgegeben. 378 000 Hochzeiten gab es 2011 in der Bundesrepublik, 4000 weniger als 2010.


In den USA hat sich eine mächtige Heiratsindustrie mit einem Jahresumsatz von 40 Milliarden Dollar herausgebildet. Bekannt wurden die professionell organisierten Hochzeitsvorbereitungen der Amerikaner in Deutschland auch durch Hollywoodfilme wie „The Wedding Planner“, in dem viele vor etwa zehn Jahren hierzulande zum ersten Mal diesem neuen Berufsbild begegneten. In den USA spielen aufwendige Hochzeiten nicht nur in Hollywood-Blockbustern eine Rolle. Auch Fernsehsendungen mit Namen wie„My Big Redneck Wedding“, „Say yes to the Dress“, „A Wedding Story“ oder „Rich Bride, Poor Bride“ unterhalten mit dem Thema.