Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Man kann das schlechte Gewissen aber auch mehr oder weniger gezielt zur Kategorie des politischen Handelns machen. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel erklärt, er verspüre kein schlechtes Gewissen, als er sich gegen den erklärten Willen des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit Vertretern von Nicht-Regierungsorganisationen trifft. Der Regisseur Christian Schwochow sagt in einem Radiointerview anlässlich seiner Berliner Beckett-Inszenierung von „Glückliche Tage“ am Deutschen Theater, dass man ja fast ein schlechtes Gewissen haben müsse, wenn man heute ein glückliches Leben führe. Jörg Ziercke, der ehemalige Chef des Bundeskriminalamtes bekennt bei einer Veranstaltung zum Thema Terrorismus und den Morden der RAF, dass er ein schlechtes Gewissen habe, dass man Angehörigen der Opfer nicht mehr zu den Tätern habe sagen können. Ein so privates Bekenntnis nimmt den Gegnern den Wind aus den Segeln.

 

Eine Aufforderung, miteinander zu reden

Was aber tut man, wenn man ehrlich leidet? „Man muss seine Situation bewerten, sich überlegen, was man wirklich ändern kann, wo man die Prioritäten im Leben setzt“, empfiehlt die Psychologin Alexandra Rohe. Auf eine kurze Formel gebracht heißt das: „Ich übernehme Verantwortung. Dann habe ich zwei Möglichkeiten. Ich akzeptiere die Situation oder ich mache in Zukunft etwas anders.“ Vor allem aber sei das schlechte Gewissen die Aufforderung, miteinander zu reden und zu besprechen, was man gegenseitig voneinander erwarte.

Eines aber steht für Rohe über allen Entscheidungen: „Wenn ich immer allen helfen möchte, helfe ich mir selbst am wenigsten.“ Das könnte für alle Gewissensgeplagten ein in die Zukunft weisender Ansatz sein. Dann ist der Platz auf dem Sofa irgendwann wieder frei für die wirklich willkommenen Besucher.