Wer bei der Deutschen Börse nachfragt, erhält eine ähnliche Reaktion. Im DAX, dem Aktienindex der 30 größten und umsatzstärksten deutschen Unternehmen, zeigt sich zähe Konstanz. Seit der ersten Zusammenstellung im Dezember 1987 wurde im Schnitt pro Jahr etwa ein Unternehmen ausgetauscht. Zwischen 2012 und 2015 blieb die Zusammensetzung sogar konstant. 2016 gab es nur einen Wechsel.

 

„In der Regel kommt die Entwicklung nicht mit Lichtgeschwindigkeit“, sagt Kai Görlich, Chief Futurist des Softwarekonzerns SAP und als solcher qua Stellenbeschreibung auf Veränderungen gepolt. Das Gerede von der Disruption sei Marketing. „Es geht darum, Angst zu machen: ,Wenn ihr jetzt nicht einsteigt, werdet ihr überholt.’“ Doch diese Drohung hält er für gefährlich. Denn die typische Reaktion darauf sei: Festhalten am Alten und die Klage darüber, dass alles viel zu schnell gehe. Diese Furcht verhindert Kreativität. „Wenn ich angstgetrieben auf die Disruption schaue, nehme ich Chancen nicht mehr wahr“, sagt Görlich. Viele Veränderungen seien „technologisch nicht verblüffend“.

Hinter dem Gefühl verbirgt sich ein ernstes Problem

Warum glauben dennoch so viele an die These? Weil unser Zeitgefühl sie als zutreffend erscheinen lässt, meint die Philosophin Yvonne Förster von der Universität Lüneburg. Ursache sei die gestiegene Informationsdichte. „Vor 30 Jahren war ein normaler Tagesablauf: arbeiten, einkaufen, essen, Tagesschau schauen.“ Bei manchen gab es außerdem die Zeitung schon zum Frühstück: Das Weltgeschehen hatte seinen festen Platz. Heute fällt es uns an, sobald wir das Handy einschalten. „Deshalb haben wir den Eindruck, die Zeit vergeht schneller“, sagt Förster: Das Leben wird scheinbar dichter, überall scheint auf einmal Neues aufzukommen. „Aber es gibt kaum Phänomene, die objektiv als beschleunigt beschrieben werden können.“

Bei dieser Analyse könnte man es belassen und sich beruhigt zurücklehnen. Das aber wäre ein Fehler. Denn die Beschleunigung mag zwar lediglich gefühlt sein – aber hinter dem Gefühl verbirgt sich ein ernstes Problem. Und das lässt sich nicht aussitzen. Um den Gedankengang zu veranschaulichen, holt Görlich Stift und Papier aus der Tasche. Dann zeichnet er eine Kurve. Es sind die langen Wellen, die der russische Ökonom Nikolai Kondratjew ins Gespräch gebracht hat. Sie beschreiben die langfristige Konjunkturentwicklung in Zyklen von 40 bis 60 Jahren: Am Beginn jeder Welle steht eine neue Technik, die zu Veränderungen führen wird, beispielsweise wurde die erste lange Welle von 1787 bis 1842 laut Kondratjew durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst.

Kai Görlich zeigt auf die fünfte Welle: Hier steht die Informations- und Kommunikationstechnologie am Anfang. Am Beginn steigt Görlichs Kurve nur sehr langsam. „Hier werden die Technologien erfunden.“ Das Mobiltelefon etwa stammt aus dem Jahr 1973. Dann wird der Anstieg steiler, schließlich verharrt der Stift an der steilsten Stelle der Kurve, kurz vor dem Plateau im Jahr 1990. „An diesem Punkt bemerken die Unternehmen, dass es eine neue Technologie gibt“, sagt Görlich. Weil Grundlagen vorhanden sind, kann sich die Entwicklung schnell vollziehen: Die Unternehmen entwickeln Geschäftsmodelle etwa auf der Basis der Smartphones.

Furcht verhindert Kreativität

Wer bei der Deutschen Börse nachfragt, erhält eine ähnliche Reaktion. Im DAX, dem Aktienindex der 30 größten und umsatzstärksten deutschen Unternehmen, zeigt sich zähe Konstanz. Seit der ersten Zusammenstellung im Dezember 1987 wurde im Schnitt pro Jahr etwa ein Unternehmen ausgetauscht. Zwischen 2012 und 2015 blieb die Zusammensetzung sogar konstant. 2016 gab es nur einen Wechsel.

„In der Regel kommt die Entwicklung nicht mit Lichtgeschwindigkeit“, sagt Kai Görlich, Chief Futurist des Softwarekonzerns SAP und als solcher qua Stellenbeschreibung auf Veränderungen gepolt. Das Gerede von der Disruption sei Marketing. „Es geht darum, Angst zu machen: ,Wenn ihr jetzt nicht einsteigt, werdet ihr überholt.’“ Doch diese Drohung hält er für gefährlich. Denn die typische Reaktion darauf sei: Festhalten am Alten und die Klage darüber, dass alles viel zu schnell gehe. Diese Furcht verhindert Kreativität. „Wenn ich angstgetrieben auf die Disruption schaue, nehme ich Chancen nicht mehr wahr“, sagt Görlich. Viele Veränderungen seien „technologisch nicht verblüffend“.

Hinter dem Gefühl verbirgt sich ein ernstes Problem

Warum glauben dennoch so viele an die These? Weil unser Zeitgefühl sie als zutreffend erscheinen lässt, meint die Philosophin Yvonne Förster von der Universität Lüneburg. Ursache sei die gestiegene Informationsdichte. „Vor 30 Jahren war ein normaler Tagesablauf: arbeiten, einkaufen, essen, Tagesschau schauen.“ Bei manchen gab es außerdem die Zeitung schon zum Frühstück: Das Weltgeschehen hatte seinen festen Platz. Heute fällt es uns an, sobald wir das Handy einschalten. „Deshalb haben wir den Eindruck, die Zeit vergeht schneller“, sagt Förster: Das Leben wird scheinbar dichter, überall scheint auf einmal Neues aufzukommen. „Aber es gibt kaum Phänomene, die objektiv als beschleunigt beschrieben werden können.“

Bei dieser Analyse könnte man es belassen und sich beruhigt zurücklehnen. Das aber wäre ein Fehler. Denn die Beschleunigung mag zwar lediglich gefühlt sein – aber hinter dem Gefühl verbirgt sich ein ernstes Problem. Und das lässt sich nicht aussitzen. Um den Gedankengang zu veranschaulichen, holt Görlich Stift und Papier aus der Tasche. Dann zeichnet er eine Kurve. Es sind die langen Wellen, die der russische Ökonom Nikolai Kondratjew ins Gespräch gebracht hat. Sie beschreiben die langfristige Konjunkturentwicklung in Zyklen von 40 bis 60 Jahren: Am Beginn jeder Welle steht eine neue Technik, die zu Veränderungen führen wird, beispielsweise wurde die erste lange Welle von 1787 bis 1842 laut Kondratjew durch die Erfindung der Dampfmaschine ausgelöst.

Kai Görlich zeigt auf die fünfte Welle: Hier steht die Informations- und Kommunikationstechnologie am Anfang. Am Beginn steigt Görlichs Kurve nur sehr langsam. „Hier werden die Technologien erfunden.“ Das Mobiltelefon etwa stammt aus dem Jahr 1973. Dann wird der Anstieg steiler, schließlich verharrt der Stift an der steilsten Stelle der Kurve, kurz vor dem Plateau im Jahr 1990. „An diesem Punkt bemerken die Unternehmen, dass es eine neue Technologie gibt“, sagt Görlich. Weil Grundlagen vorhanden sind, kann sich die Entwicklung schnell vollziehen: Die Unternehmen entwickeln Geschäftsmodelle etwa auf der Basis der Smartphones.

Unternehmen beschäftigen sich nicht mit Trends

„Viele Prinzipien, mit denen wir arbeiten, sind wahnsinnig alt: es gibt keine grundlegenden Neuerungen“, sagt Daimler-Zukunftsforscher Alexander Mankowsky. „Das Prinzip der Prozessoren wurde am Ende des zweiten Weltkriegs entwickelt“, und das maschinelle Lernen werde in C++ programmiert, einer 40 Jahre alten Programmiersprache. Das Grundprinzip der Computerchips etwa habe sich in all den Jahrzehnten nicht geändert. Exponentiell entwickelt habe sich nur ihre Leistung. Wer daraus schließt, dass fortan der gesamte technologische Fortschritt exponentiell abläuft, begeht einen Denkfehler.

Und doch prägt dieser letzte, rasche Anstieg der Kurve die Wahrnehmung. Die Ursache für hektische Betriebsamkeit ist daher nicht der rasante Fortschritt. Sondern die Unbeweglichkeit vorher. Auf dem falschen Fuß erwischt die Entwicklung nur jene, die den langen Anlauf übersehen haben. Nur wer spät startet, muss schneller rennen. Das beste Rezept gegen den atemlosen Wettlauf ist daher: früher loslaufen. „Disruption kommt nur für diejenigen überraschend, die sich nicht mit den wissenschaftlichen Trends beschäftigen“, sagt Wolfgang Wahlster, Direktor des Deutschen Forschungszentrums für künstliche Intelligenz DFKI. Zu seinem Leidwesen tun das deutsche Unternehmen nicht. „Der Begriff Industrie 4.0 ist ein Konzept aus Deutschland, das wir 2010 geprägt haben.“ Erst als er zeitverzögert als „Industrial Internet“ in den USA aufgegriffen wurde, stieg in deutschen Unternehmen das Interesse stark an. Chatbots? Schon Ende der 1990er habe er den ersten dieser Art für den Versandhändler Otto entwickelt. „Vor 60 Jahren hatte man schon einfache mehrschichtige neuronale Netze – und viele Vorstandsvorsitzende hören jetzt den Begriff maschinelles Lernen zum ersten Mal.“ Warum sich dennoch viele förmlich überrannt fühlen, komme daher, „dass Entwicklungen oft erst dann ernst genommen werden, wenn sie aus dem Silicon Valley in englischer Übersetzung zurückkommen“.

Gute Erfindungen fallen schwer

Dabei entstehen auch im Silicon Valley keine Wundermaschinen. Kuri beispielsweise ist derzeit einer der meistgehypten Roboter für Privatkunden. Er erinnert in Gestalt und Größe an einen Pinguin, das Startup Mayfield Robotics hat ihn im Januar 2017 auf der CES vorgestellt. Was kann er? Vielleicht sprechen? „Nein, das kann Kuri natürlich nicht“, sagt Marketingchef Chris Matthews. Trotz der jüngsten Erfolge im maschinellen Lernen gibt Kuri nur roboterartige Laute von sich. Er kann auf Wunsch beispielsweise Musik abspielen, seinen Besitzer informieren, falls eine bestimmte Person das Haus betritt. Kuri lässt sich per Smartphone fernbedienen, wenn sein Besitzer nicht zu Hause ist. Dann kann dieser durch Kuris Kamera-Augen schauen und durch seinen Lautsprecher reden. Während Forscher davon schwärmen, wie eine KI-Methode namens Deep Learning die Spracherkennung vorantreibt, verzichten die Praktiker lieber noch auf sie.

Wir müssen uns einen Umstand eingestehen: Wirklich bahnbrechende Erfindungen fallen unglaublich schwer. Selbst unter Mithilfe von künstlicher Intelligenz wird sich der Prozess nicht beschleunigen lassen. Vielleicht könnte diese Technologie sogar das Gegenteil bewirken. „Sie könnte für eine Verlangsamung der Entwicklung sorgen, weil sie auf Basis von Daten aus der Vergangenheit lernt“, fürchtet Daimler-Zukunftsforscher Mankowsky. Konsequent zu Ende gedacht sei eine Zukunft mit künstlicher Intelligenz eine Wiederholung des ewig selben. „Wenn man zehn Rembrandts hat, kann man den elften automatisch malen.“ Filme und Fernsehserien könnten zwar auf der Basis von KI geschrieben werden – aber mit dem Ergebnis, dass alle ähnlich wären. „KI ist das Gleiche in Varianten“, sagt Mankowsky. Computer haben keine Visionen. Und sie sind nicht innovativ. Menschen sind es – aber dafür brauchen sie Zeit. Der Befehl, schneller zu denken, hat noch nie zum Ziel geführt.