Lokales: Sybille Neth (sne)

Vielleicht ist es also doch nicht ganz so verwunderlich, dass manche Leute Manieren in einem Kurs lernen wollen – wie Vokabeln, die man auswendig lernen muss. Wer von sich aus kein Mitgefühl und keine Empathie empfindet, dem ist das Prinzip der Rücksichtnahme sicher fremd. Er kommt nicht von selbst darauf, wie höfliches Benehmen aussehen könnte.

 

Der Verfall der Umgangsformen – das prominenteste Beispiel ist der US-Präsident Donald Trump – verursacht einen allgemeinen Vertrauensverlust. Das Sicherheitsgewerbe, professionelle Streitschlichter und die Ratgeberliteratur lebt davon. Der Soziologe Emile Durkheim beschrieb 1893 einen gesellschaftlichen Zustand, in dem gemeinschaftliche Normen verschwinden, die Gruppenmoral ins Wanken gerät und soziale Kontrolle kaum noch vorhanden ist. Als Folge davon skizzierte er die Grundzüge einer Gesellschaft mit steigender Selbstmordrate, mehr Scheidungen, Kirchenaustritten, Bindungslosigkeit, zunehmenden psychischen Erkrankungen, Vereinzelung und der Zunahme von Gewalt. Die Folgen seien andauernde Unzufriedenheit und Angst, so Durkheim. Ein Schilderung, die auch die Gegenwart meinen könnte.

Anstatt jedoch dem Kern dieser gesellschaftlichen Phänomene eingehender nachzuspüren, versucht die Wissenschaft, das Vertrauen auf andere Weise wiederherzustellen. In Tierversuchen mit Mäusen haben Forscher herausgefunden, dass der Botenstoff Oxytocin Stress abbaut und prosoziales Verhalten fördert. Eine Firma in Florida hat daraufhin sogleich „Liquid Trust“ – flüssiges Vertrauen – als Spray auf den Markt gebracht. Verkehrte Welt.