Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Mit bewundernswerter Heiterkeit erzählt Johannes (65) von den Glücksgefühlen, die sich bei seinen Wegwerfaktionen in den vergangenen Monaten eingestellt haben. Er ist jetzt Rentner, hat einen Job mit viel Verantwortung hinter sich gelassen. Ein Leben lang hat er sich durch Bücher gewühlt, liebt Musik und das Singen. Johannes ist ein Mensch mit Sinn für Zwischentöne. Dennoch hat er das Haus der Schwiegermutter vor einiger Zeit zusammen mit Schwager und Schwägerin mit der brachialsten aller Methoden geräumt. In einem randvoll beladenen 3,5-Tonner haben sie die Ausbeute eines ganzen Lebens auf den Wertstoffhof gefahren. „Wir waren in einem richtigen Wegwerfrausch“, sagt er. So wie ihm damals klar war, dass keiner seiner drei Söhne und deren Familien etwas aus diesem großmütterlichen Haus benötigt, sagt er jetzt rational: „Das braucht niemand hier“, und zeigt auf zusammengesammeltes Meißner Porzellan und Bücherberge in seinem Haus. Entrümpelungsaktionen will er seinen Kindern ersparen.

 

„Was ist wirklich wichtig?“, fragt Johannes sich. Das, was sie besitzen, haben er und seine Frau sich selbst erarbeitet: Haus, Auto, Ausbildung der Kinder, den Familienurlaub mit allen, jedes Jahr bis heute. Es geht ihnen gut. Als sie geheiratet haben, zogen sie in eine leere Wohnung. Sie hatten schlicht nichts. „Sachen sind mir nicht wichtig“, sagt Johannes. Höchstens die Taschenuhr seines Großvaters, die rettete dem im Ersten Weltkrieg das Leben. Weil er sie vergessen hatte, verließ er den Unterstand, den dann ein feindliches Geschoss zerstörte. „Ohne diese Uhr gäbe es mich nicht“, sagt Johannes. „Ansonsten könnte ich alles hergeben.“ Am liebsten bei Lebzeiten.

Die Dinge sind emotional aufgeladen

Und dann kann er dennoch erklären, wie emotional die Dinge manchmal aufgeladen sind. Als Johannes vor einigen Jahren im Krankenhaus lag und es um Leben und Tod ging, denkt er viel nach. Er gibt sich und dem Schicksal ein Versprechen. „Wenn ich überlebe, gebe ich das Ding weg, das ich am liebsten habe“. Es ist der Flügel, den er wider alle Vernunft noch als Student gekauft hat. 13 000 Mark hat er gekostet, in Raten hat er ihn abbezahlt.

Nach Johannes’ Genesung kommt der Flügel zu einem Klavierbauer und Händler. Er tut nun seinen Dienst bei einem Kammersänger in Hamburg. Für seinen Sohn lässt Johannes das Klavier seiner Mutter aufarbeiten. Ein Traditionsstück aus dem Jahr 1912, auf dem er selbst mit ihr musiziert hat. „Als ich mit meinem Sohn vierhändig auf dem Klavier gespielt habe, sind mir fast die Tränen gekommen“, erinnert Johannes sich. Auch für ihn haben die Dinge sehr wohl eine Stimme, die er, mal lauter und mal leiser, doch hört. Und die den Wegwerfrausch übertönen kann. Die Dinge machen es uns manchmal nicht leicht.