Vor 70 Jahren pferchten die Nazis am Asperger Bahnhof 490 Sinti und Roma in Bahnwaggons und karrten sie nach Polen.

Hohenasperg - Die Geschehnisse vom Mai 1940 haben sich tief in unser kollektives Gedächtnis eingegraben. Vor 70 Jahren sind 2500 Sinti und Roma aus Deutschland von den Nazis in das besetzte Polen verschleppt worden. Zusammen mit der Deportation von 1000 Juden aus dem Raum Stettin im Februar 1940 handelt es sich um die erste Verschleppung von deutschem Boden aus in das sogenannte Generalgouvernement.

Und zum ersten Mal wurden ganze Familien deportiert: kleine Kinder ebenso wie alte Menschen.Es gibt eine weitere Besonderheit. Vorbereitung und Ablauf wurden von den beteiligten Beamten akribisch schriftlich und fotografisch festgehalten. Die Deportation der Sinti- und Roma-Familien wird in den Täterdokumenten als eine bürokratische, arbeitsteilig organisierte Prozedur erkennbar. Es war der Auftakt eines Prozesses der Entmenschlichung, der wenige Jahre später in den Gaskammern von Auschwitz seinen furchtbaren Höhepunkt erreichte.

Bereits im Erlass, den der "Reichsführer SS", Heinrich Himmler, am 8. Dezember 1938 verabschiedete, ist explizit von der "endgültigen Lösung der Zigeunerfrage" die Rede. Als die SS nach der Besetzung Polens begann, eine "völkische Flurbereinigung" auszuarbeiten, stand schon fest, dass alle deutschen Sinti und Roma gemeinsam mit den Juden in das Generalgouvernement deportiert werden sollten.

Richtlinien für die Deportation


Am 27. April 1940 ordnete Himmler per Schnellbrief an, dass "der erste Transport von Zigeunern" Mitte Mai in der Stärke von 2500 Personen "in Marsch gesetzt" werde, und zwar in geschlossenen Familien. Als regionale Schwerpunkte wurden die "westlichen und nordwestlichen Grenzgebiete" festgelegt. Insgesamt umfassen die "Richtlinien" sieben Schreibmaschinenseiten. Himmlers Anordnung zeigt eindringlich, dass sich die Deportation ganzer Familien als standardisierter bürokratischer, gleichsam technischer Vorgang darstellte. Die präzisen Vorgaben aus Berlin, die den Ablauf der Aktion bis in jedes Detail regelten, sollten für moralische Skrupel der ausführenden Beamten keinen Raum mehr lassen.

Wie im Nordwesten und im Rheinland war auch im Südwesten als Verhaftungstag der 16.Mai festgelegt worden. Lokale Dienststellen der Polizei hatten im Vorfeld entsprechende Namenslisten erstellt. Laut Bericht der Kriminalpolizeistelle Darmstadt begannen die Festnahmen in Mainz und in Ingelheim in aller Frühe. Zunächst wurden die Familien ins Mainzer Polizeigefängnis eingeliefert, ab 9 Uhr begann man mit dem "Verladen auf dem Güterbahnhof". Um den Transport zum Sammellager Hohenasperg reibungslos zu organisieren, hatten im Vorfeld Verhandlungen mit der Reichsbahndirektion stattgefunden, die einen Sonderzug zur Verfügung stellte.

Der Zug traf am späten Nachmittag in Asperg ein, nachdem auf dem Weg weitere Eisenbahnwaggons mit Sinti und Roma aus der Pfalz angehängt worden waren. Mit dabei war die damals sechsjährige Ottilie Reinhardt aus Ludwigshafen. Sie erinnert sich: "Unsere Mutter hat jedem von uns Kindern zwei Kleider angezogen. Sie packte Bettbezüge ein und wieder aus, weil wir nur ganz wenig mitnehmen durften. Mit Lastwagen wurden wir zum Zug gebracht. Wir Kinder hatten schreckliche Angst. Unsere Mutter sagte, wir müssten dicht beisammenbleiben. Niemand wusste, wohin wir kommen. Die Polizei hatte den Familien gesagt, dass wir Häuser, Felder und Vieh bekämen, deshalb bräuchten wir nichts mitzunehmen."

Nach der Ankunft am Bahnhof Asperg mussten die Menschen einen etwa dreißigminütigen Fußmarsch in das oberhalb der Stadt gelegene ehemalige Zuchthaus Hohenasperg zurücklegen. Dort hatte man ein Sammellager eingerichtet. Alle Deportierten, die älter als vierzehn Jahre waren, wurden fotografiert und mit einer Nummer gekennzeichnet, die noch nicht wie später in Auschwitz eintätowiert, sondern "auf den linken Unterarm mittels Farbe anzubringen" war. Persönliche Papiere, Schmuck, Geld wurden beschlagnahmt.