Wie wäre es, sich in die Vergangenheit oder die Zukunft zu versetzen? Dichter und Denker spekulieren darüber seit eh und je. Die Quantenphysik hat diese Spekulationen sehr befeuert. Aber selbst, wenn es möglich wäre – wäre es wünschenswert?

Stuttgart - Ein Bostoner Geschäftsmann findet sich 1985 plötzlich um hundert Jahre zurückversetzt, erzählt den Leuten von Autos und Videorekordern, wird eingesperrt und muss sich wegen seiner vermeintlichen Lügen vor Gericht verantworten. Als Gutachter beruft man Edison. Der interessiert sich sehr für die angeblichen Erfindungen. Aber unser Mann ist kein Techniker und kann sie nicht erklären, und so wird er wegen Betrugs verurteilt. Zum Schluss will sein Verteidiger etwas notieren, bittet um einen Bleistift, und der Angeklagte zieht gedankenverloren seinen Kugelschreiber aus der Tasche . . .

 

Diese Geschichte von Alan Lightman spielt mit einem alten Menschheitstraum: dem der Zeitreise. Wir erleben die Zeit als einen linearen, zielgerichteten Verlauf von der Vergangenheit in die Zukunft; Newton sprach deshalb auch vom Zeitpfeil. Gegenwart ist nur ein Punkt, ist im nächsten Augenblick schon Vergangenheit. Die nimmt stetig zu und die Zukunft ab: Unser Lebensfaden wird immer kürzer.

Seitdem man solche Überlegungen anstellen kann, hat man auch davon geträumt, ändernd in diesen Ablauf einzugreifen. Die Entwicklung des menschlichen Geistes war immer ein Streben aus engen Grenzen hinaus ins Weite. Noch ehe die Erde ganz erforscht war, erfand man Reisen zu Sonne und Mond, und als Edwin Hubble 1924 nachwies, dass es außer unserer Galaxie noch viele andere gibt, als damit die riesigen Dimensionen des Universums den Menschen zugleich drastisch auf seine räumliche und zeitliche Begrenztheit verwiesen, dachten die Physiker zum ersten Mal ernsthaft über Reisen weit hinaus ins All nach, die dann auch Zeitreisen würden sein müssen – anders wären die riesigen Entfernungen nie zu überwinden.

Ein Thema für Dichter und für Physiker

Zuvor waren Zeitreisen Sache derer gewesen, die ihre Fantasie spielen ließen, ohne sich um physikalische und technische Machbarkeit zu kümmern. Der Dichter kann den Verlauf der Zeit beschleunigen (etwa in Balzacs Erzählung „Das Chagrinleder“; sein Held zieht an seinem Lebensfaden und lässt so die lästige Gegenwart einfach hinter sich), er kann ihn verlangsamen oder ganz anhalten, kann ihn umkehren und seine Helden in die Vergangenheit schicken, wie Mark Twain seinen Yankee aus Connecticut an den Hof von König Artus oder H. G. Wells seinen Reisenden mit der Zeitmaschine.

In Fantasy-Romanen ist derlei inzwischen gang und gäbe. Science-Fiction lebt davon, riesige Entfernungen im Universum, die man, wenn überhaupt, nur in gewaltigen Zeiträumen zurücklegen könnte, einfach mit einem „Zeitsprung“ zu überwinden, also einer Art Hops, oder mit „Beamen“, unbekümmert nicht nur um physikalische Gesetze, sondern auch um die der Logik: Um jemanden hier entmaterialisieren und auf einem fernen Planeten wieder rematerialisieren zu können, müsste man dort eine Beam-Station errichtet haben und dazu erst einmal dort gewesen sein.

Nun ist es freilich das Vorrecht fiktionaler Literatur, Schwierigkeiten technischer Art einfach zu ignorieren oder mit viel Fantasie zu überspielen. Trotzdem fällt auf, wie wenig sich Dichter um Technisches kümmern, wie ungern sie sich damit befassen. H. G. Wells’ „Zeitmaschine“ trägt die Technik zwar im Romantitel, aber wie sie funktioniert, wird ausgespart. Ähnlich geht es in fast allen Geschichten und Romanen und auch Filmen über Zeitreisen zu. Es gilt wohl für die meisten, was einst Hans Henny Jahnn sagte: „Mein Geist ist so beschaffen, dass er die Impulse von einer naturhaften Umwelt empfängt, niemals von einer Maschine oder einem technischen Gerät.“

Aber das könnte sich ändern, falls der Flug ins All, falls die Zeitreise nicht utopisches Märchen oder SF-Film bliebe, sondern Realität würde. Wie stehen die Chancen dafür?

Zeitreisen – viele Wissenschaftler sind optimistisch

Zwar halten viele Fachleute Zeitreisen nach wie vor für unmöglich, aber andere, und darunter sind durchaus hochrangige Wissenschaftler, sind optimistischer. Denn inzwischen weiß man, dass die Zeit nicht so verläuft, wie wir sie erleben: stetig und linear. Das Universum hat sich vom Urknall bis heute keineswegs gleichmäßig entwickelt, und manche Vorgänge im Elektromagnetismus kann man so betrachten, als wäre der Zeitpfeil dort außer Kraft gesetzt. Die Quantenphysik spricht von Teilchen, die sich in der Zeit vor und zurück bewegen können. Und in der Nähe Schwarzer Löcher wird die physikalische Zeit für einen Beobachter außerhalb stark verzerrt – im Loch selber gibt es sie nicht mehr. Könnte man mit Lichtgeschwindigkeit reisen, bliebe die Uhr wie im Schwarzen Loch ganz stehen, und könnte man noch rascher reisen, ginge sie rückwärts.

Warum ist das so? Wir sind ständig in Bewegung. Ruht ein Objekt im Raum, dann verbraucht es all seine Bewegung im Raum-Zeit-Kontinuum für die Zeit: es altert. Verbraucht es aber einen Teil davon für Bewegung im Raum, dann bleibt für die Bewegung in der Zeit weniger übrig. Es bewegt es sich in der Zeit langsamer: umso langsamer, je rascher es sich im Raum bewegt. Bei Lichtgeschwindigkeit bliebe für die Bewegung in der Zeit nichts mehr übrig. Deshalb altert das Licht nicht. Ein beim Urknall erzeugtes Photon (Lichtteilchen) ist heute genau so alt wie damals.

Reisen in die Vergangenheit sind laut Einstein unmöglich

Freilich, so gut die Chancen für Reisen in die Zukunft stehen, so wenig wahrscheinlich ist es, dass wir je den Zeitpfeil umkehren, also in die Vergangenheit reisen können wie Alan Lightmans Bostoner Geschäftsmann. Einsteins Spezielle Relativitätstheorie besagt, dass die gegebene Reihenfolge von zwei Ereignissen nur umzukehren wäre, wenn es Bewegungen über die Lichtgeschwindigkeit hinaus gäbe. Das erscheint zwar inzwischen manchen Forschern nicht mehr ganz ausgeschlossen, auch wenn man noch keine Tachyonen – so heißen Teilchen, die sich rascher bewegen als Licht – nachgewiesen hat. Aber Zeitreisen in die Vergangenheit stünde die Unverletzbarkeit der Kausalität entgegen, also der Reihenfolge von Ursache und Wirkung. Wenn mir jemand mit Überlichtgeschwindigkeit eine Schüssel an den Kopf wirft, kann ich ihr nicht ausweichen, weil ich sie erst kommen sehe, nachdem sie mich getroffen hat.

Stephen Hawking fordert deshalb, dass der Rückwärts-Zeitreisende die Vergangenheit nur beobachten dürfte, nicht handelnd in sie eingreifen, denn sonst befände er sich in der alogischen Welt des berühmten Großmutter-Paradoxons: Angenommen, ein Mann reist in die Vergangenheit und tötet dort seine Großmutter, ehe sie seine Mutter geboren hat, dann kann es ihn gar nicht geben, und er kann auch seine Großmutter nicht umbringen.

Laut Einsteins Relativitätstheorie sind Reisen in die Zukunft möglich, allerdings ohne Rückkehr in die Gegenwart, denn die wäre von der Zukunft aus eine Reise in die Vergangenheit. Paradoxa treten nicht auf.

Zeitreisen – Zahlreiche Denkmodelle

Es gibt eine ganze Reihe von Denkmodellen, die sich mit Zeitreisen in die Zukunft oder in beide Richtungen befassen, basierend auf Schwarzen Löchern, Wurmlöchern und der String-Theorie. Fast alle gehen von technisch (noch) unerfüllbaren Voraussetzungen aus und argumentieren auch physikalisch oft mit fantastischen Hypothesen. Nur: die Existenz von Strings ist noch nicht bewiesen, und zur Herstellung von Wurmlöchern wäre mehr Energie nötig, als auf unserem Planeten vorhanden ist. Aber selbst wenn man sie hätte, könnte man Wurmlöcher wahrscheinlich nur extrem kurze Zeit aufrechterhalten, so dass die Reise durch sie hindurch äußerst riskant wäre; steckt man noch drin, wenn das Wurmloch zusammenbricht, dann zerreißt es einen so ähnlich, wie es auch im Schwarzen Loch geschehen würde.

Deshalb gibt es aus heutiger Sicht nur eine einzige Möglichkeit für Reisen in die Zukunft. Die allerdings scheint in absehbarer Zeit realisierbar. In winzigen Dimensionen ist sie es sogar schon, und wenn der technische Fortschritt so rasch weitergeht wie im zwanzigsten Jahrhundert und die allerdings sehr hohen Kosten keinen Strich durch die Rechnung machen, dann wird man eines Tages in die Zukunft reisen. Der amerikanische Astrophysiker Richard Gott schreibt in seinem Buch „Zeitreisen in Einsteins Universum“: „Die NASA möge aufmerken: Wenn wir Protonen auf mehr als 99,995 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen können, könnten wir auch einen Astronauten mit dieser Geschwindigkeit auf die Reise schicken. Es ist nur eine Frage der Kosten.“ Er schränkt freilich ein: „Da ein Mensch rund 40 Quadrillionen Mal schwerer wiegt als ein Proton, wäre es . . . sehr viel teurer, einen Menschen derart zu beschleunigen“ – vom Gewicht des Raumschiffs und den Vorkehrungen zur Vermeidung eventueller gesundheitlicher Schäden bei langer Schwerelosigkeit und so weiter ganz zu schweigen. Denn mit der Geschwindigkeit steigt auch die Masse des zu bewegenden Flugkörpers und damit der Energiebedarf. Bis zu einer Grenze von 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erscheint das noch halbwegs als machbar, darüber hinaus wird’s schwierig, viele sagen: unmöglich. Würden diese Schwierigkeiten aber trotzdem überwunden und würde man einen Astronauten zu einem 500 Lichtjahre entfernten Planeten schicken (ein Lichtjahr ist die Strecke, die das Licht in einem Jahr zurücklegt; in einer Sekunde legt es rund 300 000 Kilometer zurück), dann bräuchte er, wenn man ihn auf 99,9992 Prozent der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen könnte, für Hin- und Rückweg keine vier Jahre, aber auf der Erde wären inzwischen tausend vergangen. Unser Astronaut würde weit in der Zukunft zurückkehren, und wenn sich die Menschheit bis dahin erfolgreich umgebracht hätte, träfe er womöglich auf eine atomverseuchte oder vom Ozonloch verbrannte Wüstenei. Jede Stelle hinter dem Komma zählt dabei enorm: Angenommen, er könnte mit 99,999999996 Prozent der Lichtgeschwindigkeit reisen, dann würde er nach gut drei Tagen auf eine Erde zurückkehren, auf der tausend Jahre vergangen wären.

Die technischen Schwierigkeiten sind immens

Man versteht, dass die Frage der Zeitreisen die Physiker sehr beschäftigt: Auch wenn alle Möglichkeiten, solche Reisen zu unternehmen, vorläufig an technischen Schwierigkeiten, an der Unmöglichkeit, riesige Mengen von Energie aufzubringen, und an den immensen Kosten scheitern (neuartige Antriebe müssten her, Ionenantriebe sind im Gespräch, Antriebe mit Laserstrahlen, sogar mit Antimaterie) – schließlich wären Zeitreisen die einzige Chance, mit bemannten Fähren wirklich weiter in den Weltraum vorzudringen, die riesigen Entfernungen zu überwinden, vielleicht mit Raumschiffen, in denen mehrere Generationen einander ablösten, jede davon, gentechnisch verändert, mehrere tausend Jahre lang lebend.

Und vollends verständlich ist, dass sich dieses Themas auch Pseudo- und Halbwissenschaftler wie Erich von Däniken, Robert Temple oder Ernst Meckelburg bemächtigt haben. Sie mogeln sich allerdings in ihren Büchern über die wirklichen Probleme hinweg. Wo seriöse Physiker fragen: Wenn Zeitreisen in die Vergangenheit möglich wären, wie kommt es dann, dass wir noch nie von unseren späten Nachfahren besucht worden sind – da antworten die Scharlatane: Wer sagt denn das? Vielleicht kommen die Ufos gar nicht aus dem Weltraum, sondern aus unserer Zukunft . . .

Zeitreisen – Es bleibt beim Wunschdenken

Vorläufig bleibt es beim Wunschdenken. Ob eine Zivilisation, die sich wesentlich weiter entwickelt hat als wir, also die unserer Nachfahren oder eine fremde, imstande ist oder je sein wird, bisher unüberwindlich scheinende Hindernisse doch zu überwinden, wissen wir nicht. Immerhin darf man ein bisschen träumen. Nur – soll man sich Zeitreisen tatsächlich wünschen? Wer zweihundert Jahre in die Zukunft reist, erfährt zwar, wie es dort aussieht. Aber alle Menschen, die ihm bis dahin etwas bedeutet haben, wären längst tot. Er käme in eine ihm völlig fremde Welt, ohne jede Garantie, dort freundlich aufgenommen zu werden, und würde riskieren, so einsam zu sein wie Max Frischs Rip van Winkle, der sich, anders als die Originalfigur von Washington Irving, nach fünfzig Jahren Schlaf nicht mehr zurechtfindet.Ähnlich verlockend mag es scheinen, bei Rückwärts-Zeitreisen historischen Gestalten begegnen zu können – etwa Jesus predigen oder Bach auf der Orgel improvisieren zu hören. Man könnte auch jedes Verbrechen rekonstruieren oder sogar verhindern. Aber das Überschreiten von Zeitgrenzen, wäre es denn möglich, würde die menschliche Existenz, die durchaus sinnvoll in ihre Bedingungen eingebettet ist, zu einem wahrscheinlich jeder Ethik spottenden Spiel machen, mit unabsehbaren Folgen, die man sich noch gar nicht alle recht überlegt hat. Was geschähe zum Beispiel, wenn jemand in seine Kindheit zurückreisen könnte und dort, verdoppelt, nicht als Klon, sondern als ein Mensch in zwei Altersstufen, sich selbst begegnete? Wer ist dann noch wer?

Aber so ist unsere Welt nicht eingerichtet. Und vielleicht ist das ganz gut so. Falls es einen Schöpfer gibt, wird er sich etwas dabei gedacht haben.

Einstein und die Relativitätstheorie

Im Frühjahr 1905 schrieb Albert Einstein vier Arbeiten, die die Physik revolutionierten. Zwei davon begründeten die Spezielle Relativitätstheorie, die den Zeitreisen bis heute einen Riegel vorschiebt. Grundlage für die Relativitätstheorie ist die Prämisse, dass sich das Licht immer mit derselben hohen Geschwindigkeit ausbreitet, egal wie schnell der Beobachter selber unterwegs ist. Wenn man die Lichtgeschwindigkeit konstant hält, werden Raum und Zeit relativ: Für einen Beobachter, der sich schnell bewegt, vergeht die Zeit langsamer. Er merkt davon nichts, weil sich für ihn die Strecke verkürzt. Um auf hohe Geschwindigkeiten zu kommen, muss man viel Energie aufbringen. In der Nähe der Lichtgeschwindigkeit erhöht sich merklich die Masse: bei 99 Prozent liegt sie beim Siebenfachen des Normalgewichts.