Einst waren sie eine Institution in New York: die jüdischen Schnellrestaurants. Heute hat die Zugkraft von Pastrami-Sandwiches, Bagels mit Frischkäse und Matzenknödelsuppe stark nachgelassen. In Berlin schmeckt’s besser, sagen Kritiker.

New York - Im Herbst 2013 unternahm Pete Wells, der Restaurantkritiker der „New York Times“, eine Reise nach Deutschland, um sich umzuschauen, was sich hierzulande kulinarisch so tut. Eine der großen Entdeckungen, die Wells mit nach Amerika zurück brachte, war das Berliner Etablissement Melzer und Moog.

 

Der Gründer und Besitzer Oscar Melzer, Spross einer alteingesessenen jüdischen Berliner Familie, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das klassische New Yorker Pastrami-Sandwich nach Deutschland zu bringen. Bei einem New York Besuch anlässlich seiner Bar Mitzwah war Melzer im legendären Katz’s Deli (kurz für „Delikatessen“) an der Houston Street auf den Geschmack gekommen. Seither suchte er nach einem Weg, das leckere Pökelfleisch in seine Heimat zu bringen.

Kopie schmeckt besser als das Original

Das Ergebnis entzückte auch Pete Wells, dessen Büro bei der Times in New York nur drei U-Bahn Stationen vom Katz’s entfernt liegt. Der Topgourmet der Stadt musste zu seinem eigenen Schock befinden, dass die Kopie besser schmeckt als das Original.

So gibt es heute das vielleicht beste Pastrami-Sandwich der Welt nicht mehr in New York, sondern in Berlin. Die Liebhaber jüdisch-amerikanischer Küche haben heute in der Bundesrepublik eine fast so gute Auswahl wie in New York. Das klassische Deli – seit mehr als hundert Jahren in der neuen Welt Zentrum jüdischer Einwanderergemeinden – liegt in Deutschland im Trend. Im Fahrwasser von Moog und Melzer sprießen Delis in Frankfurt, Berlin und Hamburg aus dem Boden wie Pilze.

In New York kämpfen Delis ums Überleben

Im Ursprungsland kämpfen die Delis dagegen um das Überleben. Von den Hunderten klassischer Delis, die es zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts in New York gab, sind gerade einmal 15 übrig geblieben. Einige wenige, wie das Katz’s oder das Carnegie Deli, sind Institutionen und Touristenattraktionen. Trendig sind sie jedoch ganz gewiss nicht.

In seiner Heimatstadt ist das Deli nicht exotisch, die Küche ist keine Offenbarung auf einem Gastromarkt, der ständig nach Innovation giert, sondern eher traditionelle Hausmacherkost. Ein Pastrami – oder Corned Beef Sandwich hat für den New Yorker Gaumen einen ähnlichen Geschmack wie die Leberkäs-Semmel oder die Weißwurst für den Münchner.

Über der Theke hängen dicke Salamiwürst

Dementsprechend setzen die verbleibenden Delis auf Nostalgie. Im Katz’s, das seit 128 Jahren in Betrieb ist, hängen noch Bierreklamen aus den 50er Jahren. Wie dermaleinst zieht man am Eingang eine Nummer, nicht elektronisch, sondern auf Papier versteht sich und darf dann zusehen, wie das Rindfleischstück frisch aufgeschnitten wird. Über der Theke hängen dicke Salamiwürste, wie man sie schon seit dem Zweiten Weltkrieg für die Truppen in Übersee kaufen und verschicken kann.

Zu der Zeit, als Katz’s die Würste an die US-Truppen in Frankreich und im Pazifik verschickte, war das Deli in New York allerdings bereits auf dem absteigenden Ast. Schon zur Mitte des 20. Jahrhunderts hatte das Konzept den Zenit seiner Popularität überschritten.

Die 1920er waren das goldene Jahrzehnt der Delis

Die ersten Delis wurden in New York Ende des 19. Jahrhunderts eröffnet. Wie Ted Merwin in seinem Buch „Pastrami on Rye – an Overstuffed History of the Jewish Deli““ schreibt, waren die Restaurants mit jüdischer Küche oft ein Vehikel und ein Zeichen der Integration der jüdisch-osteuropäischen Einwanderer in der Neuen Welt. Hier konnten sie hier ihre eigene Tradition pflegen, sie aber auch mit ihren nichtjüdischen Mitbürgern teilen und somit den Schmelztiegel mit gepökeltem Würzfleisch und gehackter Leber bereichern.

In 20er und 30er Jahren waren die Delis zur Institution geworden. Vor und nach einem Theater- oder Konzertbesuch am Broadway ging man ins Carnegie Deli oder ins Lindy’s um ein Corned-Beef- Sandwich oder eine Matzenknödel-Suppe zu essen. Spät am Abend trafen sich dort die Künstler und Entertainer wie der legendäre Sänger Al Jolson oder der Liedtexter Martin Kalmanoff mit Publikum und Kritikern. Buchautor Merwin bezeichnet die 20er Jahre als die „Deli Dekade“.

Das Deli wandelte sich vom Schnellrestaurant in einen Gemischtwarenladen

Seit den 40er Jahren, als die großen Einwandererwellen nach Amerika abgeebbt waren und es die dritte Generation zur Assimilation drängte, schwand die Präsenz des Deli jedoch rapide. Nur wenige Häuser wurden bis in die vierte oder fünfte Generation weiter geführt. Als Woody Allen dann 1984 seinen Film „Broadway Danny Rose“ im Carnegie Deli drehte und dort einen Stammtisch abgehalfterter Komiker stattfinden ließ, war dies längst die Verneigung vor einer untergegangenen Ära.

Wie so viele Dinge in New York wurde das Konzept Deli nach dem Krieg an die folgenden Einwanderergruppen weitergereicht. Seit den 60er Jahren wanderte das Deli-Geschäft zunehmend in koreanische Hände. Deli wandelte sich vom Schnellrestaurant in einen Gemischtwarenladen. Die Koreaner brachten frisches Obst und Gemüse auch in die Viertel, in denen sie bis dahin schwer zu bekommen waren. Der ursprüngliche Deli-Gedanke wurde durch eine Sandwich-Theke weiter getragen, an der es zwar noch Pastrami, Bagels und Corned Beef gab, zunehmend aber auch Truthahn-Aufschnitt und normale Hamburger.

Arbeit und Anker für Neuankömmlinge

So funktioniert bis heute das, woran die meisten New Yorker denken, wenn sie „Deli“ hören – der bequeme Eckladen, wo man Obst, ein Sandwich, aber auch bei dringendem Bedarf morgens um drei eine Rolle Klopapier bekommt. Betrieben werden sie heute zunehmend von pakistanischen und arabischen Einwanderern. Wieder sind es Orte, die den Neuankömmlingen Arbeit und einen ersten Anker in der Neuen Welt bieten.

Vor den Originalen wie dem Katz’s, dem Second Avenue oder dem Carnegie Deli stehen derweil die Touristen Schlange, um sich für 18 Dollar pro Sandwich ein wenig Geschichte auf der Zunge zergehen zu lassen. Günstiger und – wie die „New York Times“ bestätigt - auch besser, hat man es da in Berlin. Das Pastrami-Sandwich hat ein neues Leben auf der anderen Seite des Atlantik gefunden – eine anschauliche Demonstration der kulturellen Verkehrswege im globalen Dorf.