Nicht nur eine Armenspeisung: Zahlreiche Stuttgarter Kirchengemeinden servieren einen Mittagstisch. Oft sind Senioren die Stammgäste. Aber manche Angebote wurden auch modernisiert. In Münster gibt es sogar Gutscheine für den Restaurantbesuch.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Stuttgart - Er kommt jeden Dienstag und bekommt die Suppe geschenkt: Gleich im Flur isst der Mann den Behälter leer, der eigentlich zum Mitnehmen gedacht ist, weil er kein Zuhause hat. Auch eine Trottwar-Verkäuferin zählt zu den Stammgästen des Martinscafés der evangelischen Kirchengemeinde im Norden der Stadt, die gleich zu Beginn an der Ausgabe stehen. Zwei Suppen holt sie sich jedes Mal und besteht darauf, die fünf Euro dafür zu bezahlen. „Sie sind immer so freundlich zu mir“, sagt sie zur Mitarbeiterin, die ihr die Suppe gibt. In Stuttgart ist die Vesperkirche die herausragende kirchlich organisierte Begegnungsstätte mit Mittagessen, aber andere Gemeinden servieren dauerhaft ein warmes Essen – mit ganz unterschiedlicher Resonanz.

 

Die Suppe ist oft ausverkauft

Bohneneintopf, Chili con Carne oder Flädlesuppe vom Martinscafé sind oft ausverkauft. Nicht nur arme Menschen holen sich die Suppe to go, auch Büromitarbeiter, Eltern, Schüler und Senioren zählen zur Kundschaft. Wegen der Pandemie stellte die Kirchengemeinde auf den Abholservice um, bis zu 60 Portionen in eigens dafür gekauften Pfandgläsern gehen über den Tresen. „Es funktioniert ausgesprochen gut“, sagt der Diakon Martin Pomplun, „wir sind selbst erstaunt.“ Das Kochen für Familien und im Homeoffice sei für viele Menschen im Nordbahnhofviertel eine Herausforderung.

Das Martinscafé besteht seit 20 Jahren, vor der Pandemie wurde zweimal in der Woche das von einem Pflegeheim gekochte Essen ausgegeben. „Als alle hier saßen, war es schöner“, sagt Eleonore Seibel und zeigt auf die leeren Tische im Gemeindezentrum. Ihr fehlt der Small Talk mit den Stammgästen und ihr zufriedenes Lächeln. „Die älteren Kunden bedauern sehr, dass sie eine Anlaufstelle verloren haben“, sagt Martin Pomplun. Aber er ist stolz darauf, dass Corona das Angebot der Gemeinde nicht unterbrochen hat.

Mehr Gäste wären willkommen

In der Begegnungsstätte West der Paul-Gerhardt-Kirche steht nach wie vor jeden Mittwoch unter der 2G-plus-Regel ein Essen für 5,50 Euro auf dem Tisch, für Bonuscard-Besitzer ist es günstiger. Früher trafen sich dort bis zu 20 Personen, jetzt nicht einmal mehr die Hälfte. Eine 90-jährige Dame zählt dazu, eine Jazz-Combo, eine Frau, die im Homeoffice sitzt. Es gibt zwei Uhrzeiten, um 12 Uhr für Senioren, nach 13 Uhr kann man auch mit Kindern kommen. „Mehr Gäste wären schon schön“, sagt Beate Kaag-Binder, aber momentan will die Diakonin für ihr Angebot lieber keine Werbung machen. Ihr Ziel ist es, damit auch die anderen Angebote der Gemeinde bekannt zu machen und für Begegnungen in der Nachbarschaft zu sorgen. Zum Senioren-Stammtisch lädt die evangelische Kirche in Stammheim weiterhin ein. Die älteren Herrschaften erhalten ein dreigängiges Menü und werden bedient. In Degerloch sind „Groß und Klein, Jung und Alt“ donnerstags zum „Mittagstisch für alle“ eingeladen. „Jeder zahlt, so viel er kann“ lautet die Regel. In der Wangener Begegnungsstätte findet sogar an fünf Tagen in der Woche der Soziale Mittagstisch statt. Zwischen zehn und 20 Stammgäste sitzen an den Tischen, die meisten sind Senioren, ein paar bekommen das Essen nach Hause geliefert. Auch hier wären mehr Gäste willkommen.

Für Zwei-Euro-Bons gibt’s ein Essen im Wert von zehn Euro

Die Gartenstadtgemeinde geht freitags einfach ins Gasthaus Luginsland. Begleitender Mittagstisch nennt sich die Aktion. Und die Kolpingsfamilie in Münster schickt Bewohner ihres Stadtteils alleine in die Gaststätte: Im Bezirksamt können sich Menschen mit geringem Einkommen für zwei Euro Bons kaufen, die bis 31. Januar in sieben Gastronomiebetrieben und der Metzgerei gegen ein Essen im Wert von bis zu zehn Euro eingelöst werden können. „Das ist eine Aktion für die Leute und die Lokale“, sagt Rainer Gehrig von der katholischen Organisation. Bei der Premiere im vergangenen Januar machten 80 Teilnehmer mit, auf Platz eins stand die örtliche Pizzeria. Mehrere hundert Bonuscard-Besitzer leben in Münster. „Sie sollen sich etwas leisten können, was sonst nicht möglich ist“, sagt Rainer Gehrig.