Der alte jüdische Friedhof in der Esslinger Beutau ist ein geschichtliches und kulturelles Kleinod. Weil die Grabsteine zerfallen, müssen sie konserviert werden. Doch die Stadt kommt nicht in die Gänge.

Esslingen - Wenn ein Kirchenmann, der sich ein Berufsleben lang mit dem ewigen Werden und Vergehen befasst hat, von sich sagt, er werde langsam ungeduldig, dann ist das ein Alarmzeichen. Gerhard Voß, dem evangelischen Pfarrer und Oberstudienrat im Ruhestand, brennt der beklagenswerte Zustand der wenigen noch erhaltenen Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof in der Esslinger Beutau unter den Nägeln.

 

Um deren anhaltenden Verfall zu stoppen, verhandelt Voß im Namen des Vereins Denkzeichen schon seit Jahren mit der Stadt Esslingen und der Israelitischen Religionsgemeinschaft im Land.

Deren Zustimmung liegt vor, alle Bedenken sind aus dem Weg geräumt. Im Frühjahr hätten die Arbeiten an den rund 20 noch existierenden Grabsteinen endlich in Angriff genommen werden sollen – finanziert unter anderem mit einer Spende, die beim ökumenischen Silvestergottesdienst in Esslingen von den Gottesdienstbesuchern gesammelt worden war.

Spendengeld liegt brach

Die 600 Euro Spendengeld, laut Voß nur ein kleiner Solidarbeitrag, sind nach wie vor unangetastet. Auf dem kleinen Friedhof herrscht, was die Konservierungspläne angeht, Friedhofsruhe. „Wenn nicht bald etwas geschieht, dann ist das Erbe hier verloren – und mit ihm die Chance, Schulklassen und interessierten Besucher einen wichtigen Teil der jüdischen Kultur und Geschichte in der Stadt vor Augen zu führen“, sagt Voß. Schon jetzt sind die hebräischen Schriftzeichen nur noch an vereinzelten Grabsteinen zu entziffern.

Voß hatte im Jahr 2011, damals noch als Vorsitzender des Vereins Denkzeichen, erreicht, dass sich das bisher verschlossene Friedhofstor wieder geöffnet hat. Seither führt der ehemalige Pfarrer regelmäßig an den ersten Sonntagen der Sommermonate im Rahmen einer öffentlichen Führung Besucher über den Gottesacker – immer darauf bedacht, dem Friedhof als stillem und würdigen Gedenkort gerecht zu werden. Auf Anfrage öffnet der ehrenamtliche Friedhofwächter das Tor außerhalb der regelmäßigen Führungen für Schulklassen, für Konfirmanden-Jahrgänge oder andere Gruppen. Auch im Rahmen des Tages des offenen Denkmals am Sonntag, 9. September, wird Voss um 12, 14 und 16 Uhr durch das im Jahr 1807 angelegte und im Jahr 1874 wegen Vollbelegung wieder geschlossene Gräberfeld führen.

Führungen am Tag des offenen Denkmals

In der Denkmaltag-Broschüre der Stadt ist die Führung unter der Rubrik „Besonderes“ gelistet. Zumindest diese Einschätzung ist unbestritten. Der Friedhof zeugt von der wechselhaften Geschichte der Juden in der Stadt. Die hatten sich, nachdem sie im Mittelalter mehrfach aus der Stadt vertrieben wurden, im Jahr 1806 aufgrund eines Schutzbriefes des Königs Friedrich I. von Württemberg, in Esslingen wieder ansiedeln können. Der erste Vorsitzende der damals rasch wachsenden jüdischen Gemeinde, Isaak Levi, ist auf dem Beutaufriedhof begraben. Seine letzte Ruhestätte gehört zu den vier Gräbern, die trotz des Wütens der Nationalsozialisten und der Schändung des Friedhofs noch an ihrem angestammte Platz stehen. Die restlichen Grabsteine sind an die Mauer gelehnt.

„Wir wissen zwar , wo die Gräber sind, doch erlaubt es der jüdische Glaube nicht, die Totenruhe zu stören“, sagt Voß. Die Fixierung der Grabsteine ist ein Kompromiss, den er der jüdischen Gemeinde abgerungen hat. Andernfalls, davon ist Voß überzeugt, gibt es in zehn Jahren nichts mehr, was zu zeigen sich lohnen würde.