Die Anzahl der Feuerwehreinsätze nimmt immer weiter zu. Hauptsächlich wegen der Rauch- und Brandmelder.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Der Kirchheimer Kommandant Roland Schultheiß hat schon alles erlebt: Die Feuerwehr wurde wegen eines Gasalarms gerufen, dabei kochte eine Frau nebenan nur Sauerkraut, die Feuerwehr wurde wegen eines quer auf der Straße liegenden Baumes gerufen, dabei war es nur ein Ast, den man hätte selbst wegziehen können. Die Feuerwehr wurde wegen einer zugefallenen Tür gerufen, dabei hätte das jeder Schlüsseldienst erledigt.

 

Die Zahl der Einsätze im Kreis Esslingen steigt an. Sie ist zwar nicht so hoch wie im Jahr 2013 als der große Hagelsturm über die Kreise Tübingen und Esslingen fegte und die Zahl der Einsätze enorm in die Höhe trieb. Das hat auch die Feuerwehren in den Nachbarkreisen belastet, die in Esslingen und Reutlingen Hilfe leisten. Aber sie steigt kontinuierlich. Die Kirchheimer Wehr verzeichnet manchmal bis zu sieben Alarme am Tag, punktuell sind manche Wehren an der Obergrenze angelangt.

Der Hauptgrund

Das Phänomen trifft alle Kreise rund um Stuttgart, auch Böblingen und der Rems-Murr-Kreis verzeichnen einen Zuwachs. Göppingen hat keine belastbaren Zahlen, aber auch hier seien es „gefühlt mehr geworden“, sagt der Kreisbrandmeister Michael Reick. Der Hauptgrund sind die Rauchmeldeanlagen in den Firmen und die häuslichen Rauchmelder, sogenannte Hausrauchwarnmelder wie die Feuerwehr sie nennt, sowie Bagatell-Einsätze.

Die Zahl der Brände ist seit dreißig Jahren etwa gleich im Kreis Esslingen und liegt bei zwischen 650 und 700 im Jahr. Verändert hat sich das Brandbild: Ölofenbrände gibt es so gut wie keine mehr, dafür brennt heute die Elektrik. Sehr viele Einsätze muss die Esslinger Wehr zu Brandmeldern in Betrieben fahren. Die meisten sind Fehlalarme und auf technische Defekte oder auf mangelnde Wartung zurückzuführen. „Hier versuchen wir, auf die Firmen einzuwirken, dass sie ihre Anlagen auf dem neuesten Stand halten“, sagt Bernhard Dittrich, der Esslinger Kreisbrandmeister. „Wenn irgendwo ein Loch in einer Sprinkleranlage ist, dann meldet das System einen Druckabfall. Bei einem Druckabfall wird automatisch die Feuerwehr alarmiert, denn dieser könnte auch von einem Brand kommen“, erklärt Roland Schultheiß.

Aber auch die häuslichen Brandmelder verursachen Fehlalarme, meist durch unaufmerksame Köche. Während angebranntes Essen im privaten Bereich keine so große Schwierigkeit ist, weil Privatleute selbst entscheiden können, ob sie die Feuerwehr rufen oder nicht, ist es in großen Unterkünften wie etwa in Asylbewerberheimen schwieriger, weil dort automatisch die Feuerwehr alarmiert wird.

„Darunter leidet auch die Motivation der Feuerwehrleute“, weiß auch der Kreisbrandmeister Guido Plischek aus dem Kreis Böblingen. „Wenn man losfährt, denkt man, ist ja eh wieder ein Fehlalarm. Grundsätzlich sagen wir aber: lieber einmal zu oft als einmal zu wenig alarmiert.“

Diese Devise gilt auch im Kreis Esslingen, denn bei Bränden geht es um Schnelligkeit. „In der ersten Sekunde genügt ein Glas Wasser zum Löschen, in der ersten Minute ein Eimer, und dann muss man die Feuerwehr rufen“, sagt Bernhard Dittrich. Zudem sei die Gefahr durch das moderne Wohnen mit viel Kunststoff größer geworden: Heute stehe ein Zimmer in vier Minuten in Brand – in einem traditionellen Zimmer mit Möbeln aus Holz dauere es zehn Minuten. Dabei darf man aber den Wert der Rauchmelder nicht verkennen. Im Kreis Böblingen gab es früher fünf bis sechs Brandtote jährlich, zur Zeit ist es maximal einer.

Stark gestiegen sind die Bagatell-Einsätze. „Die Fähigkeit zur Selbsthilfe hat abgenommen“, bilanziert Roland Schultheiß. Hinzu komme, dass die Leute gern übertreiben würden, nur damit die Feuerwehr kommt: „Wir hören dann, der ganze Keller sei vollgelaufen, und wenn man ankommt, dann sind zwei Zentimenter Wasser über dem Boden.“

Die Hauptlast tragen die Ehrenamtlichen

Eine Beobachtung, die auch der Kreisbrandmeister René Wauro aus Böblingen macht. „Früher ist man zum Nachbarn gegangen, wenn man Hilfe gebraucht hat, heute holt man die Feuerwehr“. Der Grund dafür seien seiner Ansicht nach soziale Veränderungen in der Gesellschaft. Eine Besonderheit in Esslingen sind die zwei Berufsfeuerwehren am Flughafen und auf der Messe. Sie würden quasi als Mädchen für Alles vielfach für technische Aufgaben herangezogen, wie Reinigungsarbeiten, die nicht unbedingt zum klassischen Einsatzgebiet der Feuerwehr zählen, oder vorsorglicher Natur sind. „Wenn ein Flugzeug auf dem Landefeld betankt wird, muss immer ein Feuerauto dabei stehen“, sagt Bernhard Dittrich. Auch das würde die Zahl der Einsätze nach oben treiben.

Die Hauptlast der Einsätze tragen aber nach wie vor die ehrenamtlichen Kräfte. Den 3826 ehrenamtlichen Einsatzkräften im Kreis Esslingen im Jahr 2016 stehen 149 Hauptamtliche gegenüber. Weder die Arbeitgeber noch die Familien der Feuerwehrleute freuen sich besonders über die Zunahme an Einsätzen. Bernhard Dittrich sieht schon eine neue Aufgabe auf die Wehren zukommen: Zurzeit wird das von der EU beschlossene automatische Notrufsystem in verunglückten Autos eingeführt, das nach Einschätzung der Feuerwehr weitere Fehlalarme nach sich ziehen wird.

Wie verkraften die Wehren die Belastung? „Wir haben nach wie vor eine starke innere Motivation, den Menschen zu helfen“, sagt beispielsweise Patrick Linn, einer der Stellvertreter von Bernhard Dittrich und ein aktiver Feuerwehrmann. Oft genug sehen die Mitarbeiter des Landratsamts Patrick Linn über die Flure spurten zur Feuerwache gegenüber in den Pulverwiesen. Auch dann, wenn mal wieder jemand hinter sich die Tür zugeschlagen hat.

Zahlen:

Einsätze
2016 haben die Wehren im Kreis Esslingen 661 Brände gelöscht. 1363 Mal sind sie zu Fehlalarmen ausgerückt. Sie haben 2543 Mal technische Hilfe geleistet und 4294 Mal sonstige Einsätze gehabt.

Feuerwehrangehörige
In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der Feuerwehrangehörigen um etwa zehn Prozent gestiegen. 3717 Einsatzkräfte sind in 44 freiwilligen Feuerwehren im Kreis organisiert, 217 in den sieben Werksfeuerwehren. In beiden Bereichen tun zusätzlich rund 149 Hauptamtliche ihren Dienst.

Jugend
1034 Jugendliche sind in den 44 Jugendfeuerwehren organisiert, darunter sind 164 Mädchen. In den Jugendfeuerwehren gibt es auch sieben Kindergruppen, die von Erzieherinnen begleitet werden. Die erste Gruppe wurde 2006 in Notzingen gegründet.