Die Städtische Wirtschaftshilfe in Esslingen ist nach dem Krieg gegründet worden, um dem Schwarzmarkt auszutrocknen. Jetzt versteht sie sich als Sozialeinrichtung.

Esslingen - Der Fotograf ist vom ersten Motiv kaum noch wegzubekommen. „Toll, eine Canon-Spiegelreflexkamera aus Japan, erste Generation“, sagt er mit Blick auf die Vitrine und hebt anerkennend die Augenbrauen. Daneben noch zwei Agfa-Sucherkameras, zu ihrer Zeit ebenfalls begehrte Spitzenprodukte. Die Esslinger Wirtschaftshilfe in der Sirnauer Straße 7 ist eine Schatzkiste für Zeitreisende. Das Sortiment in dem von außen kaum wahrnehmbaren Laden ist stark von den Wechselfällen des Zufalls abhängig. Am Vortag Kaffeemaschine und Katzenkorb, heute Toaster und Trompete und morgen Porzellanpuppe und Playboy.

 

„Verkaufsstelle für Gebrauchswaren“

Seit 70 Jahren leistet sich die Stadt Esslingen, inzwischen als einzig übrig gebliebene Kommune in Deutschland, den Luxus einer eigenen „Verkaufsstelle für Gebrauchswaren“. Die Wirtschaftshilfe war nach dem Zweiten Weltkrieg ins Leben gerufen worden, um dem florierenden Schwarzmarkt und dem Tauschhandel die Basis zu entziehen. „Die raren Waren sollten nicht in dunklen Kanälen verschwinden, sondern ordentlich registriert, bezahlt und versteuert, ihren Besitzer wechseln“, sagt Michael Jakob, der die Einrichtung seit beinahe 30 Jahren als Geschäftsführer leitet. Historisch bedingt ist die Wirtschaftshilfe deshalb immer noch im Finanzdezernat der Stadt angesiedelt, obwohl sie sich von ihrem Anspruch her als eine zutiefst soziale Einrichtung definiert. Das spiegelt sich nicht nur im Sortiment, sondern auch in den Beschäftigungsverhältnissen wider. So beschäftigt die Einrichtung, vor allem über ihr zweites Standbein, die Haushaltsauflösungen, immer auch eine ganze Reihe von Menschen, die aus dem Arbeitsprozess herausgefallen sind und über Teilzeitjobs im regulären Arbeitsleben wieder Fuß fassen möchten.

Für den sozialen Anspruch steht auch der Geschäftsführer, der mehr macht, als nur die Geschäfte zu führen. Michael Jakob, Oberamtsrat in Diensten der Stadt Esslingen, ist Verkäufer, Berater, Reparaturdienst, Monteur, Sozialarbeiter, Fachmann für Bares und Rares – und ganz nebenbei auch noch öffentlich beliehener Versteigerer. Wenn er hemdsärmelig und mit launigen Kommentaren übrig gebliebene Fahrräder und andere Fundsachen wie Handys, Brillen, Schmuck oder auch mal eine Autolautsprecheranlage an den Mann oder die Frau bringt, sind die provisorisch aufgestellten Stuhlreihen in dem immer ein bisschen kruschtelig wirkenden Verkaufsraum stets voll besetzt.

Wie ein Kurzurlaub

Aber auch im Normalbetrieb hat die Wirtschaftshilfe ein Warensortiment zu bieten, in dem zu stöbern manche Stammgäste mit einem Kurzurlaub gleichsetzen. Wer sucht und Geduld hat, findet Herrenanzug oder das passende Abendkleid für schlanke 15 Euro. „Überall wird alles teurer, nur bei uns in der Wirtschaftshilfe wird alles Jahr für Jahr günstiger“, sagt Jakob. Wer schon immer die fünfbändige Enzyklopädie über die Säugetiere dieser Welt, herausgegeben von Bernhard Grzimek, in seinen Bücherschrank stellen wollte, muss aktuell lediglich fünf Euro pro Band investieren. Ein Schnäppchen, gemessen an dem ehemaligen Verkaufspreis, der noch mit Bleistift auf der zweiten Aufschlagseite notiert ist: 128 D-Mark.

Auch wer es weniger schwergewichtig mag, wird in der Wirtschaftshilfe bedient. Sieben Bände Schundromane, vom Chef selbst mit Paketband zusammengeschnürt, gehen für fünf Euro über die Verkaufstheke. „Dr. Burger: Schicksale zwischen Tal und Gipfel“, Band 1550, hat durchaus seine Liebhaber.

Die bibliophilen Schnäppchenjäger aber, wie der inzwischen pensionierte Journalist, der so manche verstaubte Erstausgabe mit nach Hause genommen hat, sind selten geworden. „50 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, haben inzwischen einen Migrationshintergrund“, sagt Jakob. Die brauchen keinen Grzimek, sondern eine günstige Matratze, eine Waschmaschine oder Kinderkleidung. Und auch sie werden in der Wirtschaftshilfe fündig.