Fliegender Wechsel im Sitzungssaal des Esslinger Landratsamts. Am Donnerstag ist der alte Kreistag verabschiedet und die neue Ratsrunde verpflichtet worden.

Esslingen - Sie weiß es wahrscheinlich nicht. Aber die nach einem schweren Trainingsunfall im Rollstuhl sitzende Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Bahnradsport, Kristina Vogel, hat dem neuen Esslinger Kreistag die Richtung vorgegeben. Mit dem ihr zugeschriebenen Zitat, „Machen ist wie Wollen, nur krasser“, hat der Esslinger Landrat Heinz Eininger den symbolischen Wegweiser gesetzt, der das kommunalpolitische Tun der Ratsrunde in den kommenden fünf Jahren leiten soll. Wie sieht die Arbeit der 98 Abgeordneten aus, wer macht sie und wer legt die Regeln fest? Wir fassen das Wissenswerte zum Kreistag und seiner Arbeit zusammen.

 

Wie lautet die Vereidigungsformel?

Das Zitat fasst etwas verkürzt zusammen, was die 98 Kreisrätinnen und Kreisräte – das sind zwei mehr als in der vorausgegangenen Legislaturperiode – am Donnerstag in der Vereidigungsformell beschworen haben. „Ich gelobe Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Pflichten. Insbesondere gelobe ich, die Rechte des Landkreises Esslingen gewissenhaft zu wahren, sein Wohl und das seiner Einwohner nach Kräften zu fördern.“

Wer sind die langgedienten Kräfte?

Wenn einer den von dem Esslinger Landrat Heinz Eininger (CDU) verlesenen Wortlaut auswendig kennen müsste, dann ist das Wolfgang Drexler. Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Landtags-Vizepräsident ist seit 48 Jahren Mitglied im Kreistag. Nachdem seine langjährigen Weggefährten Gerhard Remppis und Werner Schmid (beide SPD) nicht mehr dabei sind, ist Drexler das mit weitem Abstand langgedienteste Mitglied der Kreisversammlung. Im neuen Kreistag können ihm nur noch Wolfgang Haug (FDP), der seit 1984 ununterbrochen dabei ist, Marianne Erdrich-Sommer (Grüne) sowie Ulrich Deuschle (Republikaner) mit jeweils 30 Jahren kommunalpolitischer Erfahrung annähernd das Wasser reichen. Der älteste Kreisrat ist mit 77 Jahren das SPD-Urgestein Erich Bolich aus Neuhausen. Auf der anderen Seite der Altersskala steht der Linken-Abgeordnete Marc Dreher mit seinen 24 Lenzen.

Wie hoch ist die Belastung?

Allein in den vergangenen fünf Jahren haben der Kreistag und seine Ausschüsse rund 1200 Tagesordnungspunkte diskutiert. In der Regel tritt der Kreistag im Jahr fünf Mal zusammen. Die Vorarbeit wird in den Ausschusssitzungen geleistet. Die Mitglieder im Verwaltungs- und Finanzausschuss, im Ausschuss für Technik und Umwelt, im Kultur- und Schulausschuss, im Sozialausschuss und im Jugendhilfeausschuss treffen sich zu jeweils drei bis fünf Sitzungen im Jahr. Dazu kommen die Fraktionssitzungen, deren Zahl den Parteien überlassen ist. Als Entschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit stehen jedem Kreisrat und jeder Kreisrätin pro Sitzung 75 Euro zu. Dazu kommt eine monatliche Aufwandspauschale in Höhe von 80 Euro.

Wie lernt man Kreisrätin/Kreisrat?

Für die 36 neu gewählten Kreisrätinnen und -räte bietet die Kreisverwaltung einen Informationstag an. Voraussichtlich im September informieren die Dezernenten und der Landrat über die Grundzüge der Gremienarbeit, den Ablauf der Sitzungen und die Struktur des Landratsamts. Zudem gibt es eine Kurzeinführung in die Herausforderungen, vor denen der Kreistag in den kommenden fünf Jahren steht.

Was ändert sich im neuen Jahr?

Alle Kreisrätinnen und Kreisräte sollten sich den Termin am 10. September 2019 rot in ihrem Kalender anstreichen. Dann erklärt die Verwaltung, wie die Umstellung auf den digitalen Sitzungsdienst funktioniert. Vom 1. Januar 2020 werden Sitzungsunterlagen nur noch auf Laptops abrufbar sein, die den Abgeordneten zur Verfügung gestellt werden. Bis dahin gibt es die Informationen parallel auch noch auf Papier. „Alle machen mit“, fasst Peter Keck die zuvor abgefragte digitale Stimmungslage des Kreistags zusammen.

Wie ist die Sitzverteilung?

Der neue Kreistag ist mit 98 Mitgliedern nicht nur größer, sondern auch weiblicher geworden. Die Zahl der Kreisrätinnen ist von 26 auf 33 gestiegen. Vorreiterin dieser Entwicklung ist die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die – bei einem Verhältnis von 13:6 – mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer in das Kreisparlament schickt.

Mit ihren 19 Sitzen sind die Grünen auf Augenhöhe mit der CDU, die ebenfalls über 19 Sitze verfügt. Die Freien Wähler stellen mit 28 Sitzen nach wie vor die mitgliederstärkste Fraktion. Die SPD kommt auf 15 Sitze, die FDP ebenso wie die neu im Kreistag vertretene Alternativen für Deutschland (AfD) auf sechs und die Linke auf vier Sitze. Hinzu kommt noch Ulrich Deuschle (Notzingen) als Einzelkämpfer der Republikaner. Den 34 teils freiwillig, teils unfreiwillig ausgeschiedenen Männern und Frauen stehen 36 Neuzugänge gegenüber.

Wo sitzt die AfD

Im Gegensatz zu anderen Landkreisen hat es mit der Sitzordnung im Großen Sitzungssaal des Landratsamts keine Probleme gegeben. Den Angaben von Peter Keck, der nicht nur Pressesprecher der Landkreisverwaltung, sondern auch Leiter der Geschäftsstelle des Kreistags ist, zufolge ist die Sitzordnung einvernehmlich so geregelt worden, dass die AfD-Kreisräte mittig in der vorletzten Reihe sitzen, eingerahmt von vier Mitgliedern der Grünen und vier CDU-Kreisräten. Den den Fraktionen zustehenden Besprechungsraum im Landratsamt teilen sich die Rechtsaußen mit der FDP. Die Tatsache, dass mit der AfD eine sechste Fraktion ins Kreisparlament einzieht, zieht keine organisatorischen Änderungen nach sich. „Wir hatten ja bisher schon die Gruppe der Republikaner, die es jetzt nicht mehr gibt“, sagt Peter Keck.

Was sind die brennenden Themen

Vor dem 16. Kreistag in der Geschichte des Landkreises Esslingen liegt ein ganzer Berg von Herausforderungen. So wird an den Standorten der kreiseigenen Mediusklinik der Balanceakt zwischen sowohl wirtschaftlichen, als auch patientenfreundlichen Betriebsabläufen mit Investitionen in Gebäude, Personal und Ausbildung weitergehen. Eine Dauerbaustelle sind auch die beruflichen Schulen des Landkreises. Beherrschendes Thema hier ist neben dem Neubau der Albert-Schäffle-Schule und dem Abschluss der 50 Millionen Euro teuren Sanierung der Rohräckerschulen auf dem Esslinger Zollberg die Digitalisierungstrategie, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Als alternativlos gilt der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Die Verlängerung von U5, U6 und S2 auf den Fildern kommentiert Eininger mit den Worten „wir kriegen es hin, aber es wird deutlich teurer und dauert länger.“ Der Neubau des Landratsamts, Klimaschutz, der Breitbandausbau und die Sozialpolitik sind weitere Stichworte, die die Diskussion beherrschen werden.

Wer legt die Tagesordnung fest

Zu den Kreistagssitzungen beruft der Landrat ein. Die Einladung muss eine Woche vor dem Sitzungstag auf den Weg gebracht werden. Die Tagesordnung wird von ihm in Abstimmung mit dem Ältestenrat des Kreistags gemacht. Bei den Ausschusssitzungen ist ein Einvernehmen mit dem Ältestenrat nicht nötig. Hier entscheidet der Landrat im Alleingang darüber, was auf die Tagesordnung kommt und was nicht.