Die Frage nach dem Zusammenhalt in der Gesellschaft treibt die Haushaltsredner im Esslinger Kreistag um. Das Auseinanderdriften lässt die Kommunalpolitiker ratlos zurück.

Esslingen - Woran liegt’s, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet? Auf der Suche nach einer Antwort hat der Esslinger Kreistag in seiner jüngsten Haushaltssitzung sogar mit einem lieb gewordenen Ritual gebrochen.

 

Früher haben, bevor es um Sachthemen wie Kreisumlagenhebesatz, Schulneubauten, Kliniksanierung und Müllgebühren gegangen ist, die Haushaltssprecher der Roten und der Grünen meist auf die Schwarzen, die der Schwarzen auf die Roten und die Grünen oder die der Freien Wähler und der Linken auf alle geschimpft – je nachdem, welche Koalition gerade in Bund oder Land das Sagen hatte. Doch jetzt schlägt Bernhard Richter, der Fraktionschef der Freien Wähler, ganz andere Töne an: „Wir werden seit Jahren solide regiert, egal welche Partei gerade an der Regierung ist. Deshalb haben wir auch einen Wohlstand, den es so noch nie gab.“

Woran liegt’s?

Woran liegt’s also? Woran liegt es, dass sogar Bernhard Richter, als Kreisrat und Bürgermeister von Reichenbach ein Kommunalpolitiker der eher volksnahen Art, das Volk nicht mehr begreift? „Bislang haben wir es doch immer geschafft, die Aufgaben zu erledigen“, sagt er. Trotzdem gebe es eine Spaltung der Gesellschaft. Einzelne Themen würden benutzt, um Zwietracht und Hass zu schüren und so zu tun, als ob das Abendland unterginge. Obwohl alle Fakten eine anderes Sprache sprächen, werde so getan, „als ob wir von einer Regierungskrise in die nächste stolpern“.

Woran liegt’s? Der Landrat Heinz Eininger (CDU) weiß es auch nicht. „Wir stehen ökonomisch glänzend da. Acht Jahre Aufschwung in Folge führen zu einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent. Das bedeutet Vollbeschäftigung. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind gefüllt. Die kommunalen Steuereinnahmen wuchsen in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent. Davon können andere nur träumen“, sagt er. Und trotzdem erlebten wir eine Gesellschaft, die auseinanderdriftet, eine Gesellschaft, in der Individualismus zum Dogma zu werden scheint. „Die Frage der Unzufriedenheit ist im Kern die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagt der Kreischef. Den zu stärken, könne auf der kommunalen Ebene am besten durch Nähe und Identifikation gelingen.

Liegt’s daran?

Liegt’s vielleicht daran? Sonja Spohn, die Fraktionschefin der SPD, verweist auf die andere Seite der Medaille. Auf die um 4,7 Prozent gestiegenen Sozialausgaben. Auf eine Arbeitslosenstatistik, die die Realität verschleiere. Auf die zunehmende Kinderarmut. „Der Landkreis ist keine Insel der Seeligen“, sagt sie. Und doch: „Wir sollten bewusst machen, dass es sich lohnt, sich für unsere Demokratie einzusetzen, uns zu positionieren und Haltung zu zeigen, wenn es Äußerungen und Handlungen gibt, die im Widerspruch zu unserem demokratischen Gemeinwesen stehen.“

Woran liegt’s? An den Parteien, schwant Martin Fritz, dem Fraktionschef der CDU. Die würden, statt das Zusammenstehen gegen rechte Populisten zu üben und ein höheres Maß an Kompromissfähigkeit zur Lösung der das Land umtreibenden Probleme aufzubringen, permanent mit dem Finger aufeinander zeigen.

Die einzigen, die genau zu wissen scheinen, woran es liegt, sind die beiden Republikaner im Kreistag. „Um dem Bürger wieder Halt zu geben, bedarf es einer Debatte um den aufgeklärten Patriotismus“, sagt Ulrich Deuschle. In Bekenntnis zur jüdisch-christlichen-abendländischen Kultur sei in den Einrichtungen des Landkreises vom 1. Januar an ein Kreuz aufzuhängen, als Symbol der geschichtlichen und kulturellen Prägung des Landkreises.

Woran liegt es wirklich?

Zwischen Kreuz und (Identitäts-)Krise – woran liegt es wirklich? „Es ist ein Wort der alten Schriftsteller, dass die Menschen im Unglück kleinmütig, oder des Glückes überdrüssig werden, und dass beide Zustände die gleiche Wirkung zeitigen“, sagt Niccolò Machiavelli. Der italienische Philosoph, Staatsmann und Schwarzseher hat schon vor 500 Jahren geglaubt zu wissen, wo das endet. „Da die Menschen teils mehr zu haben wünschen, teils das Erworbene zu verlieren fürchten, kommt es zu Feindseligkeiten und Kriegen“, schreibt er. Ihn zu widerlegen, ist den Schweiß der Edlen auch im Esslinger Kreistag wert.