Die Esslingerin Anika Roll ist in ihrem Ausbildungsjahrgang die beste Modistin Deutschlands. Dass sie einmal in der Hutmacherei landen würden, hätte sie bei ihrem Abitur vor vier Jahren nicht gedacht.

Esslingen - Ausgerechnet Deutschlands beste Jungmodistin hat nach dem Abitur eigentlich gar nichts mit Hüten am Hut gehabt. Sie hat keine getragen und erst recht keine entworfen. Eine Ausbildung zur Hutmacherin kam ihr also vor vier Jahren zunächst gar nicht in den Sinn. „Ich wollte lieber Modedesign studieren“, sagt Anika Roll. Ein Praktikum beim Staatstheater in Stuttgart, das sie als Vorbereitung für das Studium absolviert hatte, führte sie dann aber durch die unterschiedlichen Abteilungen – neben der Schneiderei und dem Kunstgewerbe eben auch in die Modisterei.

 

Dort arbeitete sie vor allem mit den Händen, statt am Computer Kleidung zu entwerfen. „Das hat mir sofort gefallen“, erzählt sie – so gut, dass sie sich für eine Ausbildungsstelle bewarb, sie bekam und im vergangenen Sommer abschloss. So gut, dass sie in ihren Ausbildungsjahrgang bundesweit die Beste wurde und im Wettbewerb um die „Gute Form“ den zweiten Platz erzielte. Und so gut, dass die Esslingerin jetzt, im Alter von 24 Jahren, erste Schritte in der Selbstständigkeit wagt.

Mit Mützen hat es angefangen

Am vergangenen Wochenende stand sie in Stuttgart auf der Dekumo, einer Verkaufsplattform für Design, Kunst und Mode, und brachte ihre Werke an den Mann. Mit Erfolg. „Was machst du?“, will ein kleines Mädchen wissen. Die Antwort, Hüte und Mützen nämlich, würdigt es mit einem einzigen Wort: „Geil!“ Auch bei Erwachsenen finden Rolls Kreationen Anklang. So einiges hat sie in den drei Tagen verkauft und auch manche Aufträge mit nach Hause genommen.

Mit Mützen hat es einst begonnen. Kurz vor Beginn der Ausbildung fing Anika Roll an, Mützen zu häkeln, viel zu viele für einen einzigen Kopf. Sie versorgte zunächst Freunde und Bekannte, verkaufte sie dann über Facebook und machte Auftragsarbeiten. Dann kamen sogenannte Headpieces dazu: Schmuckstücke fürs Haar, zu groß, um ordinär „Haarspange“ genannt zu werden. Mittlerweile verkauft sie ihre Kreationen auf der Onlineplattform Dawanda, wo Hobby- und Profikunsthandwerker ihre Waren anbieten.

Eine Stippvisite im Land der Pferderennen ist geplant

Auch wenn das so weit zufriedenstellend läuft, studieren will sie trotzdem noch. Modedesign ist aber vom Tisch. „An der Uni Pforzheim, an die ich eigentlich von Anfang an wollte, gibt es einen neuen Studiengang“, sagt Anika Roll. Und der ist ihr wie auf den Leib geschneidert: Von März an wird sie dort Accessoiredesign studieren.

Auch sonst hat sie mittlerweile ziemlich genaue Vorstellungen von der Zukunft. Für die Semesterferien will sie einen Auslandsaufenthalt in London organisieren, um dort, im Land der Gutbehüteten, der Queen und der Pferderennen, noch etwas mehr in Sachen Handwerk zu lernen. Später will sie sich voll auf eine eigene Werkstatt konzentrieren und das Repertoire vielleicht noch ausbauen – mal sehen, was das Studium bringt. Den Hüten allerdings wird sie treu bleiben. „Vielleicht kommen noch Taschen oder Gürtel dazu“, sagt sie.

Lieber freie Kreativität als genaue Kopien

Auch, wenn sie ihren Ausbildungsplatz am Staatstheater als „Sechser im Lotto“ bezeichnet: zurück ans Theater will sie nicht. „Das Theater hat mehr oder weniger konkrete Vorstellungen, was gebraucht wird“, sagt Roll. Wenn sie einen Hut nach einer Vorlage genau kopieren soll, sind der Kreativität selbstverständlich Grenzen gesetzt. Als selbstständige Hutmacherin könne sie freier arbeiten, sagt sie.

Mit Gestaltungsfreiheit kann sie umgehen. Für eine Modenschau ihrer Schule entwarf sie am Anfang des Jahres eine Kopfbedeckung, für die sie Silberdraht zu einer gotisch inspirierten Hörnerhaube verhäkelte. Für den Alltag ist das sicher nichts. Aber dafür gibt es ja Mützen.