Alle Gemeinderatsfraktionen bemängeln im Zwiebelfeststreit, dass ihnen Jürgen Zieger (SPD) wichtige Informationen vorenthalten hat. Seine eigene Partei fordert von ihm eine glaubhafte Erklärung für sein einseitiges Engagement für die Weinstube Eißele.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Die Vorsitzenden der im Esslinger Gemeinderat vertretenen Fraktionen reagieren mit Unverständnis auf das Vorgehen des Esslinger Oberbürgermeisters Jürgen Zieger (SPD). Wie berichtet, hat der Rathauschef die in einer Gesellschaft zusammengeschlossenen Gastronomen des Zwiebelfestes gezwungen, dem Wirt der Weinstube Eißele, Oliver Brehmer, die Teilnahme an der diesjährigen Sommerhocketse auf dem Marktplatz zu ermöglichen. Für seine Initiative hatte sich Zieger am 27. April zwar die Zustimmung des Verwaltungsausschusses des Gemeinderats geholt, den Mitgliedern aber wesentliche Details über das zerrüttete Verhältnis zwischen den Festwirten und der Weinstube Eißele vorenthalten. Am Freitag haben sich alle Fraktionen kritisch zu Ziegers Engagement geäußert.

 

Die SPD, so deren Fraktionschef Andreas Koch, gehe davon aus, dass die Wirte sich ihrer Verantwortung, das Zwiebelfest weiterzuentwickeln, bewusst seien. Deshalb sehe seine Partei keine Notwendigkeit für die Politik, sich in deren Belange einzumischen. Eine klare Vorstellung habe die SPD aber trotzdem: Das Lokalkolorit dürfe beim Zwiebelfest nicht zu kurz kommen. Das gelte nicht zuletzt für die Wirte.

Zwiebelfest „verursacht Tränen in den Augen“

Vor diesem Hintergrund habe die SPD Ende April mit den anderen Fraktionen zusammen Zieger „bei seinem Bemühen unterstützt, dem Zwiebelfest-Urgestein ,Weinstube Eißele‘ ein Verbleiben auf dem Esslinger Marktplatz zu ermöglichen“. Koch weiter: „Wie sich jetzt herausstellt, waren wir in der entsprechenden Verwaltungsausschusssitzung im April aber keinesfalls ausreichend informiert. Die Gründe für dieses Informationsdefizit sollte uns der Oberbürgermeister zeitnah und glaubhaft benennen. Das ist schon allein deshalb unabdingbar, weil die Entscheidung sicher anders ausgefallen wäre, wenn unser Kenntnisstand damals der von heute gewesen wäre.“ Koch rät den Beteiligten dazu, alles dafür zu tun, dass das Zwiebelfest rasch wieder positive Schlagzeilen schreibt. Der SPD-Chef: „Im Augenblick treibt es einem – die Zwiebel lässt grüßen – eher die Tränen in die Augen.“

Wie berichtet, hatte Zieger sich seit April mehrfach persönlich bei den Festwirten für eine Wiederaufnahme der „Weinstube Eißele“ in den Reigen der Zwiebelfest-Gastronomen stark gemacht – und damit gedroht, die Traditionshocketse andernfalls nicht zu genehmigen. Das Restaurant gehöre zu den Gründungsmitgliedern des Festes, begründete der OB sein Engagement. Zudem lege er Wert darauf, dass beim Zwiebelfest vor allem Esslinger Wirte zum Zuge kommen. Die Zwiebelfest-Wirte ihrerseits hatten sich mit der „Weinstube Eißele“ vor dem Landgericht auf eine Trennung geeinigt, nachdem es unter dem früheren Betreiber Unregelmäßigkeiten gegeben hatte. Der neue Pächter Oliver Brehmer sei „in Unregelmäßigkeiten involviert gewesen, die Zweifel an seiner Zuverlässigkeit geweckt haben“, so Frank Jehle, der Geschäftsführer der Festwirte. Deshalb hätten die Gesellschafter beschlossen, „nicht mit Herrn Brehmer zusammenzuarbeiten“. Am Ende aber gaben die Gastronomen Zieger nach – und lassen die Weinstube in diesem Jahr doch mitmachen.

Lingnau hält Einsatz für übertrieben

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Jörn Lingnau findet es „prinzipiell zwar gut, wenn sich ein Oberbürgermeister für die ortsansässige Wirtschaft einsetzt“. In diesem Fall habe sich Zieger aber deutlich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Lingnau: „Seinen Einsatz halte ich für übertrieben.“ Mit Unverständnis reagiert auch die Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Annette Silberhorn-Hemminger, auf die Zwiebelfest-Querelen. Aus ihrer Sicht ist das Vorgehen Ziegers „unbegreiflich“. „Natürlich ist es Aufgabe der Politik, auch Wirtschaftspolitik zu betreiben – aber ganz so wörtlich hätte es der Oberbürgermeister nun auch nicht nehmen müssen.“ Man werde nach der Sommerpause intensiv aufarbeiten müssen, wer an welcher Stelle Druck ausgeübt habe. In den vergangenen 28 Jahren habe das Zwiebelfest trotz gelegentlicher Streitigkeiten der Festwirte untereinander nie gelitten. Zudem hätten sie sich immer wieder zusammengerauft, so Silberhorn-Hemminger. Zwar habe sich der Charakter des Fests verändert, aber es sei nach wie vor eine Attraktion.

Rückendeckung vom Stadtmarketing

Das sieht Carmen Tittel, die Fraktionschefin der Grünen, genauso: „Das Zwiebelfest ist eine Esslinger Tradition.“ Tittel: „Das Fest ist bei den Wirten in guten Händen. Da muss sich nichts ändern.“ Der FDP-Stadtrat Ulrich Fehrlen formuliert es so: „Man hätte es gewiss geschickter machen können.“ Das Zwiebelfest sei eine „gute Einrichtung“. Natürlich sei es wünschenswert, dass das Fest von möglichst vielen Esslinger Wirten bestritten werde. Die Realität sei aber, dass es heute nicht mehr so viele Restaurants in der Stadt gebe, die das wirtschaftliche Risiko des Fests tragen könnten. Das bestätigt Frank Jehle, der Geschäftsführer der Zwiebelfest-Gesellschaft. Er sei schon froh gewesen, dass man mit Julia und Ulrike Wiedemann vom Hotel Rosenau Esslinger Gastronomen als Ersatz für den ausgeschiedenen Walter Ulmer vom Blauen Bock gefunden habe.

Tourismusattraktion Nummer zwei in Esslingen

Immer wieder in der Stadt kursierenden Gerüchten, die Esslinger Stadtmarketing und Tourismus Gesellschaft (EST) plane ihrerseits, als Veranstalter einer anders gearteten Sommerhocketse das Zwiebelfest vom Marktplatz zu vertreiben, erteilt der EST-Geschäftsführer Michael Metzler auf Anfrage der Stuttgarter Zeitung eine klare Absage: „Man soll zwar nie nie sagen. Aber momentan gibt es absolut keine Diskussion darüber.“ Er habe vielmehr den Eindruck, dass die Gastronomen – nach dem Streit über den Verkauf von Bottwartalwein im Jahr 2010 – das Image des Zwiebelfests wieder kräftig aufpoliert hätten. Metzler: „Das Zwiebelfest ist eine Marke und liegt hinter dem Mittelalter- und Weihnachtsmarkt als touristische Attraktion der Stadt klar auf Platz zwei.“ Aus seiner Sicht gibt es deshalb keinen Grund, etwas an der Konstellation zu ändern. Darüber hinaus sei die EST mit den ihr übertragenen Aufgaben bereits jetzt „sehr gut ausgelastet“.

Von Oberbürgermeister Jürgen Zieger war derweil am Freitag trotz Anfrage keine weitere Stellungnahme zu bekommen.