Am Parking-Day haben Künstler und Aktivisten die Frage aufgeworfen, wie es wäre, wenn die Natur die Stadt zurückeroberte.

Esslingen - Zwischen den beiden mächtigen Türmen der Esslinger Stadtkirche St. Dionys wächst ein noch mächtigerer Baum, der seine Wurzeln vereinnahmend durchs Kirchenportal schiebt. Der Dicke Turm, das zweite Wahrzeichen der Stadt, befindet sich im Würgegriff einer fleischfressenden Pflanze. Die mit dem Stift zu Papier gebrachte Fiktion zeigt eine verkehrte Welt. Eine teilweise verkehrte Welt, denn tatsächlich befindet sich die Stadt im Würgegriff – nur dass der nicht pflanzlicher, sondern blecherner Natur ist. Am Parking-Day, einem weltweit ausgerufenen Aktionstag, haben junge Esslinger Künstler in der Abt-Fulrad-Straße auf das Ungleichgewicht zwischen dem automobilen Platzhirsch-Gehabe und dem Nischendasein von Mensch und Natur in der Stadt aufmerksam gemacht.

 

„Wir wollen zeigen, wie es wäre, wenn die Natur Esslingen zurückerobern würde“, sagt Lea Mauz, die gemeinsam mit Joanna Greiner die Stadtkirche und den Dicken Turm „bepflanzt“ hat. Ergänzend malen die beiden Aktionskünstlerinnen jetzt grüne Schlingpflanzen auf den grauen Asphalt. Sie lassen sich bei ihrer Arbeit von der Musik von Lukas Wögler treiben. Die melancholischen Klänge, die der Student der Musikhochschule Stuttgart seinem Saxofon entlockt, schaffen eine wohltönende Insel im verbrennungsmotorgespeisten Geräuschteppich, der sonst über der Stadt liegt.

Der Kampf um die Parkplätze

„Was wäre, wenn die Pflanzen so auf ihren Raum bestehen würden, wie wir auf unsere Parkplätze?“, steht auf einem kleinen Blatt, das die Arbeit der beiden flankiert. Genau diese Frage stellt sich für einen Touristen aus Österreich nicht. Der Mann füttert die Parkuhr nach und dreht der Kunst auf dem Nachbarparkplatz wieder den Rücken zu. Sein Wagen belegt einen der drei Stellplätze, auf die auch Lea und Joanna mit ihrer Straßenkunst ein Auge geworfen haben. Auch ein zweiter Parkplatz gegenüber der Kirche ist besetzt. 2:1 für das Auto. Das ist aus Aktionskünstlersicht zwar ärgerlich, macht die innerstädtische Verdrängungsproblematik aber nur noch augenfälliger.

Zwei Stunden später steht es 2:1 für die Kunst. Das eine Auto ist weg, auf dem Platz liegen Kissen. Nur der Tourist hält blechern die Stellung. Inzwischen haben Lea und Joanna, die zum Esslinger Straßenkunst-Festivalteam gehören, Verstärkung bekommen. Greenpeace Esslingen und die Initiative „Esslingen aufs Rad“ bespielen das gute Dutzend Parkplätze, das sich in Richtung Agnesbrücke anschließt. Ein Zelt, Liegestühle und Teppiche machen aus den mit einem zeitlich begrenzten Halteverbot belegten Parkplätzen einen Aufenthaltsraum. Wo sonst Autos Abgase produzieren, pusten Kinder Seifenblasen in die Luft. Bis zum Abend werden die Seifenblasen zerplatzt sein. Nur ein Smart-Fahrer wird sich wohl noch länger an die Aktion erinnern. Sein parkendes Auto ist abgeschleppt worden, weil es den Parking-Day behindert hat.