Die neuen Esslinger Studien widmen sich auch der Kriminalität im Hochmittelalter.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Mit dem jetzt erschienenen Band 49 der Esslinger Studien hat das Stadtarchiv aus zwei eins gemacht. Der neue Band, der sich vor allem mit dem mittelalterlichen Archivwesen befasst, vereinigt die bislang getrennten Reihen „Esslinger Zeitschrift“ und „Esslinger Schriftenreihe“ zu einem einzigen Band.

 

Der wiederum ist weit mehr als seine beiden Vorgänger an der Universität Stuttgart verortet. Vor allem Studenten haben zahlreiche Aufsätze beigesteuert, indem sie die Archivalien Esslingens erforschten.

Hier gab es manchen überraschenden Fund. Der Historiker Clemens Kech etwa hat die Urfehdebriefe erforscht. Das waren schriftlich festgehaltene Eide, in denen sich Missetäter verpflichteten, sich nicht für Haftstrafen oder Gerichtsurteile zu rächen oder jene Fehden nicht fortzuführen, wegen denen sie ins Gefängnis gekommen waren.

Nicht nur Mord und Totschlag

Herausgekommen ist dabei ein Überblick über die Verbrechen vom Hochmittelalter bis in die frühe Neuzeit. Dabei ging es nicht nur um Mord und Totschlag, es war der Diebstahl, der am meisten geahndet wurde. In den 245 erhaltenen Briefen stehen 74 Eigentumsdelikte, 30 Gewaltdelikte und nur 16 Religions- und Sittlichkeitsvergehen. Dazu zählt auch die Unzucht mit Verwandten, wobei eine damals kriminalisierte Tat aus dem Jahr 1591 aus heutiger Sicht eine eher lässliche Sünde war: Ursula Scheuer aus Schwäbisch Gmünd und Johann Sperhan aus Esslingen, Cousine und Vetter, mussten innerhalb 14 Tagen die Stadt verlassen, weil sie gemeinsam gebadet hatten. Geahndet wurde auch die Beleidigung der Obrigkeit oder Müßiggang bis hin zu exotischen Delikten: das Tragen von Männerkleidung durch Frauen, Fleischessen an Fasttagen und mehr.

Aufschlüsse durch Makulaturquellen

Die Historikerin Sarah Kupferschmied und Joachim Halbekann, der Direktor des Stadtarchivs, haben sogenannte Makulaturquellen erforscht. Im Mittelalter wurden nicht mehr benötigte Pergamente oftmals als Buchumschläge weiter verwendet. Diese Umschläge wurden meist schon im 19. Jahrhundert von den Büchern abgelöst und warten vielerorts bis heute darauf, dass sie erforscht werden. Dabei sind Halbekann und Kupferschmied auf Reste mittelalterlicher religiöser Prachthandschriften gestoßen, die in Esslingen sonst nicht überliefert sind.

Für Halbekann ist es der „Eros des Originals“, der die Archivarbeit so wertvoll mache. Erst die Möglichkeit, die Originale zu sehen und zu sichten, würde den Ehrgeiz der Forscher beflügeln. Und gerade die Bestände des Esslinger Stadtarchivs, da sind sich die Forscher einig, würden noch viel Ehrgeiz verdienen.