Esslingen war mit Jazz nicht unterversorgt. Dann aber hat der Jurist Maximilian Merkle ein paar neue Spielstätten erfunden und war früh dran mit Namen, die heute jeder kennt. Ein Treffen mit einem echten Enthusiasten.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Esslingen - Am Ende ist es vielleicht ganz gut, dass im Hackbarth’s in Berlin-Mitte keine Musik läuft, die einen ja auch manchmal draus bringen kann, gedanklich. Es surrt nur ab und zu ein Radl vorbei, wenn man draußen am Trottoir sitzt, und vom Eck kommt konsequent Lachen – ein Kinderspielplatz. Sonst keine weltbewegenden Klänge außer Gläserklingeln, kein Beat, keine Melodie, kein Lauf. Da redet sich’s leichter: über Musik.

 

Maximilian Merkle, heute 39 Jahre alt, musste die Musik in den neunziger Jahren daheim in Esslingen bei seinen Eltern nicht lange suchen. In Form von Schallplatten war sie immer schon da, und natürlich vergisst man nicht, was man dann doch eher liegen gelassen hat (die Rolling Stones) oder eben dauerhaft in die Hand genommen (Oscar Peterson). Es gab ein Klavier, auf dem es irgendwann nicht weiterging, und eine Gitarre, mit der Maximilian Merkle dann doch sehr intensiv umgegangen ist. Er hatte auf dem Gymnasium diverse Bands, und im Hinterkopf spukte schon der Gedanke herum, aus der Neigung vielleicht eine Profession werden zu lassen. Andererseits hätte er dann „hundert Prozent geben müssen“, sagt Merkle. Die hatte er nicht. Er war auch noch an anderen Dingen interessiert.

Mit Mitteilungsdrang

Vor diesem Hintergrund sollte man sich jetzt Maximilian Merkle zwanzig Jahre später vorstellen, wie er im vergangenen Sommer bei den Jazztagen, die er im Jahr zuvor initiiert hatte, auf diversen Esslinger Bühnen stand, um Jacob Collier oder Avishai Cohen (den Trompeter) anzusagen. Immer mit ziemlich viel Enthusiasmus in der Stimme, immer mit begeisterndem Mitteilungsdrang, aber auch immer noch mit einem leichten Erstaunen darüber, dass so etwas wie die Jazztage in Esslingen überhaupt hatten möglich werden können.

Jazz hat in sich selber etwas Umweghaftes. Man ist nie da, wenn man denkt, dass man da ist. Die Lösung liegt immer auch ein bisschen um die Ecke. So gesehen war Merkles Weg dann doch wieder fast ein gerader. Er entschied sich fürs Jurastudium in Berlin, machte aber auch ein Praktikum bei einem Hamburger Musikverlag, wo er später als Werksstudent arbeitete. Nach dem ersten Examen ging er zum legendären Münchner Plattenlabel ECM, mittlerweile ein halbes Weltreich, das der Gründer, Manfred Eicher, teils immer noch so betreibt, als handle es sich um ein kleines Familienunternehmen.

Nach dem zweiten Examen wechselte Merkle in Berlin zum Großlabel Universal in die Rechtschutzabteilung. Was man da macht? Verträge verhandeln mit Künstlern, Agenturen und Lizenzträgern, aber natürlich ist es mehr als Vertragsrecht. Es war Merkle klar, wessen Positionen er im Zweifelsfall zu vertreten hatte, aber wenn man einmal Musiker gewesen ist, dann bleibt man halt Musiker und hat eindeutige Sympathien. Den ECM-Katalog kann Merkle seit seiner Münchner Zeit jedenfalls auswendig, und im Hintergrund ergibt sich eine erste Verbindung zum Jazzfestival, das in kühnen Träumen entsteht: Im Jahr 2015 wird Anouar Brahem mit seinem Quartett die Tage in Esslingen eröffnen.

Natürlich – keinem war das bewusster als Maximilian Merkle – brauchte Esslingen nicht unbedingt Nachhilfe in Sachen Jazz, gab es doch den Jazzkeller und die Dieselstraße. Vielleicht aber bräuchte es einen „Leuchtturm“, wie Merkle dachte. Interessiertes Publikum war da, das wusste er. Seine Eltern würden helfen, Sponsoren vor Ort konnte er gewinnen. Merkle hätte gerne Wayne Shorter gehabt – „Wer hätte den nicht gerne?“ –, ließ dann aber doch die Kirche in der Stadt. Am Hafenmarkt und in St. Dionys, aber eben auch im Jazzkeller wurde es hochlebendig mit Roy Hargrove, den Fur Brothers, Manu Katché und Stefano Bollani, immer waren zwischen 300 und 400 Zuhörer da. Merkle und seine Gäste kamen auf ihre Kosten, auch wenn „die Stuttgarter oft nicht den Weg nach Esslingen finden“, wie Merkle kopfschüttelnd feststellt. Umgekehrt sei das kein Problem. Mit einem Konzert von John Scofield im Theaterhaus am Pragsattel sprengte Merkle im letzten Jahr denn auch bewusst den Esslinger Rahmen. Mit Erfolg.

Als Berater fungiert Eberhard Weber

Wie gut seine Antizipationsfähigkeit ist, beweist die Tatsache, dass sich die wesentlich finanzstärkeren Jazz Open in Stuttgart heuer den jungen Virtuosen Jacob Collier gesichert haben, den Maximilian Merkle im letzten Jahr am Esslinger Theater vorstellen konnte. Der Bassist Eberhard Weber, Emeritus jetzt in Südfrankreich, aber alter Esslinger und mittlerweile Schirmherr des Festivals, hatte auf den jungen Briten aufmerksam gemacht. Es war ein sensationelles Konzert, und es wurde dadurch aufgewertet, dass Merkle den ersten Programmteil von der Festivalband bestreiten ließ, jungen Musikern, die sich ausprobieren konnten und denen das Publikum mit offenen Ohren begegnete. Merkle selber führte durchs Programm und entpuppte sich als eine Mischung aus stolzem, sorgenden Herbergsvater und beständigem Antreiber. Etwas Fieber gehört für ihn dazu.

Vermittlung ist ein Wert, den Merkle schätzt. Hauptberuflich hat ihn das mittlerweile zum Klassik-Streaming-Dienst Idagio geführt, der mit höheren Preisen als Spotify (und profunden Erläuterungen im Angebot) sowohl für Kunden als auch Künstler mehr herausholen will aus der Musik. „Man muss sich auch in der Klassik“, sagt Merkle, „allmählich davon verabschieden, dass die Sachen noch physisch greifbar bleiben.“ Umso eher ist er überzeugt als Mensch und Musiker, dass diese Auseinandersetzung live stattfinden muss, sobald sich Musiker und Publikum im September und Oktober in Esslingen begegnen und, wenn’s gutgeht, miteinander ins Benehmen setzen. Wiederum beginnt am Hafenmarkt Avishai Cohen (diesmal aber ist es der Bassist), auch Trilok Gurtu und Pablo Held sind erneut im Programm. Weiterhin gastieren, unter anderen, Bugge Wesseltoft und Kayhan Kalhor & Erdal Erzincan in der Stadtkirche, zwei Meister auf der Laute aus dem Iran und der Türkei. Sie werden Musik spielen, die es noch nicht gibt – beide sind für ihre hingebungsvollen Improvisationen bekannt –, und Maximilian Merkle sagt mit seinem Freund-und-Helfer-Gesicht, dass er auf ihre Wege und vor allem auf ihre Umwege gespannt ist.