Der Krebsspezialist, Cello-Virtuose und Bergsteiger Michael Geißler hat das StZ-Publikum in den Redaktionsräumen mit Charme und Selbstbewusstsein für sich gewonnen

Esslingen - Es ist eine Premiere in der Esslinger Redaktion der Stuttgarter Zeitung gewesen: Durch die ehrwürdigen Räume im Palmschen Bau klangen sanfte Cello-Töne. Michael Geißler, Krebsexperte und Chefarzt am Klinikum Esslingen, hätte die mit stürmischem Beifall bedachte musikalische Zugabe, Brahms e-Moll Sonate und die Rokoko-Variationen von Tschaikowsky, nicht nötig gehabt. In den kurzweiligen zwei Stunden zuvor hatte er mit viel Charme, aber auch mit einer klaren Ansage das Publikum für sich gewonnen.

 

Im Gespräch mit dem Esslinger Redaktionsleiter Kai Holoch hat er den rund 70 Leserinnen und Lesern Einblicke in seine vielen Leben gewährt: Bergsteiger, Cellist im Europäischen Jugendorchester, Spitzenmediziner und schließlich auch noch Sohn. Sohn des früheren Bundesfamilienministers, langjährigen CDU-Generalsekretärs und Stuttgart 21-Schlichters Heiner Geißler.

„Stuttgart ist eine Betonwüste“

„Heiner, warum tust Du Dir das an“, habe er seinen Vater gefragt, als dieser bei der Schlichtung zum umstrittenen Stuttgarter Bahnhofsprojekt in den Ring gestiegen sei. Aus seiner eigenen Meinung zu diesem und anderen Großprojekten und deren Folgen für das Stadtbild macht Michael Geißler keinen Hehl. „Die Renditearchitektur hat die Stadt zur Betonwüste gemacht“, sagt er. Allerdings sei für ihn auch klar gewesen, dass zur Demokratie gehöre, auch missliebige Entscheidungen zu akzeptieren. „Ich habe meinen Aufkleber inzwischen auch abgemacht“, sagt er. Mit seinem Vater, mit dem er Klettertouren bis zum Schwierigkeitsgrad 8 in den Alpen in Angriff genommen hätte, habe er sich natürlich auch gerieben. „Ich fand es beispielsweise als 23-Jähriger große Klasse, wie die Grünen in ihrer Anfangszeit den Laden aufgemischt haben“, sagt er. Der Vater nicht. „Da hat es zuhause schon mal Krach gegeben“, erinnert sich Michael Geißler, der mittlere von drei Brüdern.

Die Berge sind sein Hobby geblieben. Im Kofferraum seines Autos, so sagt er, lägen die Steigeisen immer griffbereit. Noch näher aber ist ihm, der vor seinem Medizinstudium Musik studiert hatte, das Cello. Die spätabendlichen Übungseinheiten entspannen ihn nach einem Zwölfstundentag in der Klinik. Die Auszeit gönne er sich, auch des seelischen Gleichgewichts wegen. „Als Onkologe darf man kein Zyniker sein“, sagt er. Wenn es ungeachtet aller Fortschritte in der Krebstherapie so weit sei, dann helfe nur noch, den Patienten mit der Wahrheit zu konfrontieren und damit, „dass die Reise endlich ist“.

Was er macht, das macht er gut

Ob er glaube – mit dieser Frage hatte ihn Kai Holoch zu Beginn überrascht. „Sich nur auf den Glauben zu verlassen, ist als Arzt gefährlich“, lautete die Antwort. Die christlichen Werte seien zwar seine Richtschnur im Leben, doch als Arzt müsse er sich immer hinterfragen, was er mache. Was er macht, das macht er gut. Sein Name taucht regelmäßig in der Focus-Liste der besten deutschen Ärzte auf. Das hat schon seine Richtigkeit, erklärt Geißler selbstbewusst. „In den Bereichen Krebs/Magen-Darm/Leber verfügen wir in Esslingen über die allerhöchste medizinische Kompetenz. Da können sich einige Universitätskliniken warm anziehen“, sagt er.

Nicht nur die Unikliniken müssen sich warm anziehen. Der ein oder andere Leser seit Dienstagabend wohl auch. „Ich sehe hier zu viele Flaschen“, sagt Geißler und weist auf die guten Tropfen, die bei „StZ im Gespräch“ traditionell auf den Tisch kommen. Alkohol in Maßen, gesunde Ernährung, kein Übergewicht, keine Zigaretten und viel Ausdauersport, das ist für Geißler die beste Gesundheits- und Krebsvorsorge. Wenn schon Fleisch, dann nicht aus der Kühltruhe des Discounters, sondern vom Biosortiment beim Metzger. „Das kostet mehr, aber dafür lassen Sie halt die blöde Autowäsche weg“, so lautet der praktische Rat des Arztes.

Trotz seines bundesweiten Renomees fühlt sich Geißler in Esslingen wohl. Die Kombination aus flachen Hierarchien, kurzen Wegen, dem guten Draht zu den Kollegen und den patientenorientiert arbeitenden Ober- und Assistenzärzten böten ihm beste Arbeitsbedingungen. Das habe sich seit seinem Amtsantritt im Jahr 2005 nicht geändert. „Die Größe des Klinikums Esslingen ist perfekt“, urteilt Geißler über das 700-Betten-Haus, auch wenn die letztlich untersagte Fusion mit den Esslinger Kreiskliniken aus wirtschaftlichen Gründen zwingend notwendig gewesen wäre. Das Geißlersche Urteil über die von den Kartellwächtern getroffenen Entscheidung lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Das Bundeskartellamt hat Mist gebaut“, sagt er.