Die A-Jugendfußballer des FC Esslingen erleben die Welt blinder und sehbehinderter Menschen. Denn im Leitbild des Vereins ist nicht nur die sportliche Ausbildung, sondern auch eine Stärkung der Persönlichkeit verankert.

Esslingen - Claudia Lychacz ist am grünen Star erkrankt und besitzt nur noch zwei Prozent Sehvermögen. Für Sehende ist es kaum vorstellbar, wie die junge Frau ihren Alltag bewältigt. Aber genau das möchten Claudia Lychacz und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Verein aus:sicht vermitteln, der sich die Integration von Blinden und Sehbehinderten in unsere Gesellschaft zum Ziel setzt. Am Freitagabend haben sie ihr Mobil vor dem Eberhard-Bauer-Stadion in Esslingen-Weil geparkt, um an fünf Stationen den A-Jugendfußballern des FC Esslingen (FCE) zu zeigen, wie es sich anfühlt blind oder sehbehindert zu sein, wie es trotz der Dunkelheit gelingt, am Leben teilzuhaben. Und die Blindenfußballer des MTV Stuttgart haben den jungen Kickern in einer Trainingseinheit und einem gemeinsamen Spiel demonstriert, wie Passen, Stoppen und Torschuss nach Gehör funktioniert.

 

Der Gehörsinn rückt in den Mittelpunkt

Claudia Lychacz verteilt an ihrer Station Brillen, die verschiedene Sehbehinderungen simulieren. Schlagartig wird Dominik, Tiago und Martin Hägele, dem Vorstand Sport des FC Esslingen, klar, dass auf jene Sinne und Fertigkeiten, mit denen sie sich im Alltag und auf dem Fußballfeld bewegen, plötzlich kein Verlass ist. Ohne die Zurufe von Claudia Lychacz wären sie nicht in der Lage, den zugeworfenen oder gepassten Ball zu fangen oder zu stoppen. Nur schemenhaft nehmen sie ihre Umwelt war, der Gehörsinn rückt in den Mittelpunkt.

An anderen Stationen lernen die jungen Fußballer, bei einem rein taktilen Dominospiel, sich allein auf ihren Tastsinn verlassen zu müssen. Wie wichtig in der Welt der Sehbehinderten der Geruchssinn ist, wird an einer weiteren Station vermittelt. Ebenso, wie schwierig es ist, sich nur mit Hilfe eines Langstocks in der Umgebung zu orientieren oder wie man seinen Namen in Blindenschrift schreibt.

In der Trainingseinheit mit den Blindenfußballern des MTV Stuttgart werden die FCE-Kicker mit Blindenbrillen ausgestattet und versuchen sich nach der Anleitung von Alexander Fangmann und Florian Günther auf dem Spielfeld in der Sporthalle zurecht zu finden. Für die beiden nicht sehenden Fußballer ist es umgekehrt auch interessant zu erfahren, wie sehende Kollegen mit Ballgefühl „an diese Aufgabe heran gehen“, sagt Florian Günther.

Empathie, Verständnis und Rücksichtnahme

Die Idee, sich in die Welt der blinden und sehbehinderten Menschen zu begeben, kam von den A-Jugendfußballern selbst. Denn jede Jugendmannschaft des FCE ist Martin Hägele zufolge angehalten, sich ein Sozialprojekt zu überlegen. Die B-Jugend beispielsweise spiele gemeinsam mit gehandicapten Menschen Fußball und eine Mädchenmannschaft nehme sich Schwerstbehinderten im Rollstuhl an. Das Engagement der Nachwuchsfußballer wird von der Esslinger Bürgerstiftung unterstützt und im Rahmen des Projekts „Mission Integration“ gefördert.

Der FC Esslingen will dem Sportvorstand Martin Hägele zufolge den jungen Menschen nicht nur die Fähigkeiten und Fertigkeiten am Ball vermitteln, sondern ihnen auch zeigen, wie wichtig Empathie, Verständnis und Rücksichtnahme im Leben seien. Der Verein habe sich auf die Fahne geschrieben, neben der fußballerischen Ausbildung auch die Persönlichkeit der jungen Menschen zu stärken. „Wer nur die Ellenbogen einsetzt, der schafft es nicht – auch nicht auf dem Fußballplatz.“