Rund 120 Jahre nach der ersten Bestandsaufnahme gibt es wieder ein Verzeichnis der örtlichen Pflanzen.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Zuerst die schlechte Nachricht. 152 Pflanzenarten sind seit der letzten Kartierung im Jahr 1900 auf der Markung Esslingen verloren gegangen. Und nun die gute: Etwa 260 Arten sind dafür dazugekommen. Das hat der Naturkundeverein in einer aufwendigen Kartierung festgestellt. Dieses Material gibt es jetzt in Buchform, am Mittwoch wird das Werk „Flora von Esslingen“ vorgestellt.

 

Verschwunden sind die Arten, die auf Schafs- oder Kuhweiden lebten, verschwunden sind auch die Arten, die in Magerwiesen, Triften oder Flussauen heimisch waren, denn es sind ja auch die Weiden und Auen verschwunden. Dazu gekommen sind Gäste aus der ganzen Welt. Etwa der japanische Knöterich oder der Riesenbärenklau, die entweder aus Gärten verwilderten oder mit dem Gütertransport eingeschleppt wurden. Bestes Beispiel war der alte Esslinger Güterbahnhof, wo die fleißigen Forscher etwa 196 Arten nachweisen konnten. Wohlweislich: konnten. Denn dieses Biotop ist Geschichte und wird gerade mit der Neuen Weststadt bebaut.

Die Biotoe müssen geschützt werden

Aus dieser Geschichte kann man vor allem lernen: Wer Arten schützen will, der muss die Biotope schützen. Denn nur in speziellen Lebensumständen gedeihen spezielle Pflanzen, ist also das möglich, das was Charles Darwin als das „Überleben des am besten Angepassten“ beschreibt.

Angepasst war der Autor und ehemalige Vorsitzende des Esslinger Naturkundevereins, Reinhold Beck, nie. Überlebt hat er trotzdem und feiert demnächst seinen 83. Geburtstag. In seinem Arbeitsleben war er Grund- und Hauptschullehrer und hat sich immer für die Schüler eingesetzt, ihnen versucht, eine bestmöglichste Ausbildung zu verschaffen, manchmal auch im Widerstand zu Kollegen oder Beamten aus dem Kultusministerium. Dass er als Lehrer Vorsitzender des Naturkundevereins war, ist kein Zufall gewesen. Denn ebenfalls vor etwa 120 Jahren gab es Volksschullehrer, die sich nicht damit begnügen wollten, den Kindern das Nötigste an Rechnen und Schreiben beizubringen. Sie wollten ihnen auch die Phänomene der Natur zeigen. Also beschlossen sie, sich selbst zu bilden und einen Naturkundeverein zu gründen, um die reale Welt zu studieren, die sogenannten Realien. Aus diesem Gedanken hat sich dann die Realschule abgeleitet, die bis zum heutigen Tag eine überaus erfolgreiche Schulform darstellt.

Während seiner Ausbildung am Lehrerseminar in Esslingen war Reinhold Beck ein handschriftliches Pflanzenverzeichnis in die Hände gefallen, das von Georg Adam Schairer, dem Präzeptor des humanistischen Gymnasiums in Esslingen angefertigt worden war, dem heutigen Georgii-Gymnasium. Jahrzehnte hat ihn das Heft begleitet, und der Wunsch wuchs, eine neue Flora von Esslingen zu schreiben. Doch ohne seine Mitstreiter im Naturkundeverein wäre das nie gegangen.

Sie unterteilten die Markung von Esslingen in Planquadrate und gingen dann jahrelang Quadrat für Quadrat ab, im Frühling, im Sommer und im Herbst, denn auch die Pflanzen haben ihre verschiedenen Jahreszeiten. Je nachdem, wie aufgequollen die Pflanzenlisten sind, erkennt man heute noch, ob es an diesem Tag regnete oder trocken war. Anschließend kam die mühselige Arbeit des Nachbestimmens, entweder mit dem Binokular oder unter dem Mikroskop, „denn mache Pflanzen unterscheiden sich durch Merkmale, die kaum sichtbar sind“, sagt Beck. Sieben Jahre lang hat Reinhold Beck an diesem Werk gearbeitet und das Ergebnis ist grandios. Es könnte sogar einmal eine politische Dimension bekommen, denn es weist ja auch in jedem geplanten Baugebiet nach, welche seltenen oder auch gewöhnlichen Pflanzen dort wachsen.