Schon kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine haben die Stadt Esslingen und viele Menschen vor Ort begonnen, Hilfe zu organisieren. Nun plant man in Rathaus eine Solidaritätspartnerschaft mit der ukrainischen Stadt Kamianets-Podilskyi.

Als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Herbst die Ukraine besuchte, hat er den Menschen dort versprochen: „Ihr könnt euch auf Deutschland verlassen. Wir werden die Ukraine weiter unterstützen: militärisch, politisch, finanziell und humanitär. Und eben auch ganz konkret vor Ort – durch viele zwischenmenschliche und kommunale Verbindungen.“ Um dieses Bekenntnis mit Leben zu erfüllen, ließ die örtliche SPD-Gemeinderatsfraktion prüfen, „ob und in welcher Form und mit was für Inhalten Esslingen eine partnerschaftliche Beziehung zu einer Stadt in der Ukraine aufbauen kann“. Zunächst solle eine Partnerschaft „vor allem helfenden Charakter“ haben. Auf Vorschlag des Rathauses hat der Verwaltungsausschuss nun beschlossen, eine Solidaritätspartnerschaft mit der westukrainischen Stadt Kamianets-Podilskyi anzustreben.

 

Rasch Hilfe mobilisiert

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hatten die Stadt Esslingen und einige örtliche Initiativen rasch Hilfe auf den Weg gebracht. Oberstes Ziel war, „Ukrainerinnen und Ukrainer zu unterstützen, die entweder in Esslingen ankommen oder zum Zwischenaufenthalt oder dauerhaften Bleiben in Esslingens Partnerstädten Eger in Ungarn und Piotrków Trybunalski in Polen sind“, betonte Katrin Radtke, die Leiterin der Abteilung Städtepartnerschaften im Rathaus. Und natürlich wolle man auch den Menschen in der Ukraine helfen – ganz im Geiste des Esslinger Anspruchs, sich für ein friedliches Europa zu engagieren und den Zusammenhalt zu stärken.

Eine klassische Städtepartnerschaft ist nach Radtkes Einschätzung derzeit nicht der hilfreichste Weg: Der Aufbau regulärer Kontakte zu einer ukrainischen Stadt werde in der aktuellen Situation Monate dauern, persönliche Begegnungen seien kaum möglich – wichtiger seien derzeit konkrete Hilfen etwa durch die Lieferung von Generatoren, Lebensmitteln oder medizinischen Produkten. Deshalb empfahlen Katrin Radtke und OB Matthias Klopfer zunächst eine Solidaritätspartnerschaft mit einer Stadt, die noch keine deutsche Städtepartnerschaft pflegt. Das ukrainische Riwne, das mit Esslingens polnischem Partner Piotrków Trybunalski verbunden ist, hat bereits Beziehungen nach Bayern und strebt eine weitere Partnerschaft mit der Stadt Essen an.

Kontakte mit Perspektiven

Unterstützt durch die gemeinnützige Gesellschaft Engagement Global hat Esslingen drei ukrainische Kommunen genauer in den Blick genommen. Weil Melitopol im Osten der Ukraine und die Hafenstadt Tschornomorsk bei Odessa mehrere Partnerschaften haben, fiel die Wahl auf Kamianets-Podilskyi – eine der ältesten Städte der Ukraine mit etwa 100 000 Einwohnern. Dort gibt es bereits eine Strategie für die Zeit nach dem Krieg. Katrin Radtkes Vorschläge für den weiteren Weg zu einer Solidaritätspartnerschaft haben im Verwaltungsausschuss viel Beifall gefunden: Verlaufen die ersten Kontakte positiv, wollen die Esslinger zunächst Hilfsgüter bereitstellen und dabei auch Förderprogramme des Bundes nutzen. Nach Kriegsende soll dann der Wiederaufbau unterstützt werden – etwa durch einen inhaltlichen Austausch von Fachleuten. Später könnten dann konkretere Kontakte in Bereichen wie Kultur, Sport, Wirtschaft oder Politik angeknüpft werden. Ob sich daraus eine klassische Städtepartnerschaft entwickeln kann, muss die Zeit zeigen.

OB Matthias Klopfer begrüßte den Vorstoß der SPD und betonte, dass eine Solidaritätspartnerschaft nur ein weiterer Schritt sei: „Wir werden in den nächsten Jahren noch über viele Solidaritätsaktionen für die Ukraine reden müssen.“ Für ein Gelingen sei das Engagement vieler Menschen nötig. Nicolas Fink (SPD) dankte „allen, die den Gedanken der Solidarität mit Leben erfüllen“. Mit Kamianets-Podilskyi könne etwas entstehen. Was Esslingen nun plane, sei ein kraftvolles Zeichen der Solidarität. Carmen Titel (Grüne) begrüßt das Konzept der Stadtverwaltung: „Es ist wichtig, dass die Menschen in der Ukraine Solidarität spüren und Hilfe erfahren.“ Wenn ein konkretes Spendenziel bekannt sei, sei die Bereitschaft, etwas zu geben, noch größer.

„Ein wichtiges Zeichen“

Annette Silberhorn-Hemminger (Freie Wähler) betrachtet eine Solidaritätspartnerschaft als „das richtige Instrument in dieser Zeit“. Aktuell sei es „am wichtigsten zu helfen und Not zu lindern“. Sven Kobbelt (FDP) und Tim Hauser (CDU) sehen in einer Solidaritätspartnerschaft „ein wichtiges Zeichen“. Lediglich Martin Auerbach (Linke) lehnte das Konzept der Stadt ab und verwies darauf, dass auch anderswo in der Welt Kriege toben und Menschen in Not sind, um die man sich in gleicher Weise kümmern müsse. Dezent fragten einige der Ratsmitglieder nach, ob andere Städte in der Ukraine vielleicht sogar noch mehr auf Hilfe angewiesen sein könnten als Kamianets-Podilskyi. Für OB Matthias Klopfer war die Antwort jedoch klar: „Es gibt nicht die eine richtige Stadt. Das ist ein schwieriger Abwägungsprozess, weil überall in der Ukraine Hilfe gebraucht wird.“

Esslingen zeigt seine Solidarität

Hilfe
 Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Esslingen auf vielfältige Weise Solidarität gezeigt: Unter anderem hat die Stadt ein Spendenkonto eingerichtet, im März 2022 gab es einen Hilfstransport in die ungarische Partnerstadt Eger zur Unterstützung der aus der Ukraine dorthin Geflüchteten. Die West-Ost-Gesellschaft und die Aktion „Ukrainische Engel“ wurden bei Hilfstransporten in die polnische Partnerstadt Piotrków Trybunalski und deren ukrainische Partnerstadt Riwne unterstützt. Im Dezember gingen Hilfsgüter im Wert von 10 000 Euro nach Riwne. Zudem hat Esslingen angeboten, die Partnerstädte Piotrków Trybunalski und Eger vor Ort bei der Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen.

Gedenken
 „Ein Jahr russischer Angriffskrieg auf die Ukraine – Gedanken und Gebet“ ist eine Gedenkveranstaltung überschrieben, die am 24. Februar um 17.30 Uhr in der Esslinger Stadtkirche St. Dionys beginnt. Dekan Bernd Weißenborn, OB Matthias Klopfer und die Ukrainerin Kateryna Kurlap werden sprechen, der ukrainische Saxofonist Lev Sorokin und der Russische Chor Esslingen werden das Programm musikalisch umrahmen. Anschließend soll es eine Gedenkminute auf dem Marktplatz geben, um die Solidarität mit der Ukraine zu bekunden.