Sie ist schon auf altägyptischen Wandmalerien zu sehen: Die Nilgans hat jedoch ihr altes Verbreitungsgebiet verlassen und will im Esslinger Nistkasten für Wanderfalken einziehen. Wer ist besser Nilgans oder Falke? Hier der Vergleich:

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Neulich ist es wohl im ornithologischen Anzeiger gestanden: günstige Ferienwohnung im Stadtzentrum, etwa einen halben Kubikmeter groß, geistlicher Beistand gewährleistet, S-Bahn-Anschluss vorhanden, kaltes Wasser und günstiger Mittagstisch in nächster Umgebung. Einziger Nachteil: eine Webcam direkt im Schlafzimmer, die das Tun und Treiben dort ins Internet überträgt und ebenso in die Geschäftsstelle der Lokalpresse am Marktplatz.

 

Diese Anreize haben nicht nur den Wanderfalken (Falco Peregrinus) seit vielen Jahren in den Nistkasten auf dem Nordturm der Esslinger Stadtkirche St. Dionys gelockt, sondern nun auch einen Nachmieter. Die Nilgans (Alopochen aegyptiacus) beginnt gerade, den Nistkasten auf dem Nordturm der Stadtkirche St. Dionys zu besetzen. Gestern konnte man den bunten Vogel schon am Esslinger Amtsgericht herumflattern sehen. Wenn die Nilgans in den Turm zieht, um dort zu brüten, ist es wohl aus mit den Vormietern, einem Wanderfalkenehepaar.

Dem Naturschutzbund Nabu indessen ist es gleich, wer unter dem Turmdach von St. Dionys wohnt: „Uns sind alle Wildtiere willkommen“, sagt der Nabu-Ehrenvorsitzende Dietrich Francke. Dennoch sind die Unterschiede zwischen den beiden Vögeln ganz gehörig. Hier sind die wichtigsten:

Vorkommen Am Nil ist die Nilgans so gut wie ausgestorben. Dafür lebt sie in den Rückhaltebecken Südafrikas und in den feuchten Sumpfniederungen Afrikas. Außerhalb des schwarzen Erdteils war sie einst in Ungarn und Bulgarien heimisch, wurde dort aber ausgerottet. Aus entflohenen Zuchtvögeln sind in Europa neue Kolonien entstanden. Der Wanderfalke war in Mitteleuropa praktisch ausgerottet. Die aufopferungsvolle Arbeit der Naturschützer hat die Population so weit hochgebracht, dass er nicht mehr als gefährdet gilt. Jetzt kommt der Wanderfalke auf der ganzen Welt vor. Einzige Ausnahme natürlich: Der Nordturm der Stadtkirche St. Dionys.

Ernährung Der Wanderfalke frisst andere Vögel, vorausgesetzt sie sind kleiner als er. Die Nilgans dürfte ihm also entschieden zu groß sein. Die Gans wiederum futtert Gras, Getreide, Brot und vermutlich die Pizzareste im Esslinger Maille-Park. Wie die Spatzen mittlerweile von den Dächern pfeifen, sind die Stadttauben auf St. Dionys von der Gans als möglichem Nachmieter eher angetan als vom Vormieter.

Ganzheitlichkeit Die Nilgans zählt zu den Halbgänsen. Der Wanderfalke ist ein vollständiges Mitglied der Falkenfamilie.

Gans versus Falke Die Nilgans ist ein äußerst wehrhafter Vogel, der es nicht nur schafft, alle anderen Gänse, wie die Graugänse zu vertreiben, sondern auch den vergleichsweise zarten Wanderfalken.

Spiritualität Die Nilgans ist dem ägyptischen Fruchtbarkeitsgott Amun geweiht, der Falke dem Himmelsgott Horus.

Kulinarische Bedeutung Falken stehen unter Naturschutz und dürfen nicht getötet werden. Die Nilgans darf im Gegensatz zur geschützten Graugans auch in Baden-Württemberg gejagt werden, informiert das Esslinger Landratsamt. Sie schmeckt am besten mit Cherryessig, Wildgewürz, Zwiebeln, Zucker und Salz, als Beilage werden Bratkartoffeln, Salat oder Rotkohl und Kartoffelbrei empfohlen. Dennoch dürfte die Nilgans wohl kaum im Kochtopf landen. Die Jagd ist in der Esslinger Innenstadt verboten.