Der digitale Fortschritt geht rasant voran, und er eröffnet immer neue Möglichkeiten – vorausgesetzt, man kann sie in vollem Umfang nutzen. Doch längst nicht jeder bringt genügend technisches Verständnis mit, manchen fehlt es an der nötigen Ausstattung. Der Esslinger Stadtseniorenrat (SSR) möchte Seniorinnen und Senioren dazu ermuntern, sich auf digitale Neuerungen einzulassen. Gleichwohl warnt er aber davor, all jene abzuhängen, die mit dem technischen Fortschritt nicht mehr Schritt halten. „Die Veränderungen sind gigantisch“, sagt der SSR-Vorsitzende Josef Birk. Und er beklagt, „dass die Schwierigkeiten, die solche Veränderungen mit sich bringen, strukturell nicht ausreichend aufgefangen werden“.
Viele sind noch offline
Der Stadtseniorenrat sieht viele positive Seiten einer zunehmenden Digitalisierung – gerade für ältere Menschen: Arzttermine können per Internet vereinbart, Bankgeschäfte und Behördengänge können digital erledigt, Tickets können am Computer gebucht werden. Und wer für den Einkaufsbummel nicht mobil genug ist, kann via Internet einkaufen. Und wenn man sich mit Freunden oder der Familie nicht von Angesicht zu Angesicht austauschen kann, weil das Gegenüber weit entfernt lebt oder weil man nicht mehr gut zu Fuß ist, kann das weltweite Netz helfen, Distanzen zu überwinden.
All das wissen Josef Birk und seine Stellvertreterin Hanna Scherieble zu schätzen, doch sie erinnern auch daran, dass mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland das Internet noch nie genutzt haben. Den größten Anteil macht die Altersgruppe der 65- bis 74-Jährigen aus – etwa 15 Prozent von ihnen sind offline. Bei den 45- bis 64-Jährigen sind es immer noch knapp fünf Prozent, immerhin etwa zwei Prozent der 16- bis 44-Jährigen haben das Internet noch nie genutzt. „Wer keinen Zugang zur digitalen Welt hat, ist von vielem, was unseren Alltag ausmacht, abgehängt“, betont Josef Birk. Und er beklagt: „Das wird noch immer viel zu sehr zum persönlichen Problem der Betroffenen gemacht. Viele empfinden das als eine Form der Diskriminierung.“
Fachkundige Enkel helfen
Der Esslinger Stadtseniorenrat tut einiges, um der älteren Generation den Weg in die digitale Welt zu ebnen. So hat er einen Smartphone-Kurs mit Medienmentorinnen und -mentoren des Mörike-Gymnasiums initiiert, die älteren Menschen nützliche Funktionen ihres Handys näherbrachten – 23 Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten kürzlich mit, der älteste war fast 100 Jahre alt und mit großem Interesse dabei. Auch Initiativen wie „Bürger gehen online“ in Esslingen sorgen dafür, dass niemand die ersten Schritte in die Welt von Computer und Internet alleine gehen muss. Und viele Omas und Opas haben ja auch Enkelkinder, die in der digitalen Welt zuhause sind und gerne erklären, wie es funktioniert.
Immer schwieriger wird es allerdings für diejenigen, die keine Unterstützung oder keinen Zugang zum Internet haben – sei es, dass ihnen die nötigen Geräte fehlen oder sei es, dass es am Wissen und Können mangelt, um die Möglichkeiten digitaler Endgeräte zu nutzen. Hanna Scherieble hört oft, wie schwer sich Betroffene tun, wenn sie etwa Bankgeschäfte erledigen wollen und mit dem Online-Banking nicht klarkommen. Oder wenn zum Beispiel ein neuer Personalausweis beantragt werden soll und der Termin im Bürgeramt online vereinbart werden soll, obwohl man sich mit der Anmeldung nicht zurechtfindet. Oder wenn Karten für einen Ehrenamtsabend im Kino auf der Burg per Internet reserviert werden sollen. Oder wenn ein Termin beim Arzt vereinbart werden muss, das Telefon in der Praxis seit Tagen jedoch unbeantwortet durchklingelt oder per Anrufbeantworter auf die Möglichkeit zur Online-Buchung verwiesen wird. Oder wenn man einen kommunalen Mängelmelder nutzen will, der festgestellte Mangel aber nur per Internet gemeldet werden kann. Oder wenn der Müllkalender nur noch digital verfügbar sein wird. Oder wenn das Deutschlandticket nur noch digital erhältlich sein soll. Oder wenn man die digitale Bahncard zwar als „Ersatzdokument“ ausdrucken könnte, aber keinen Drucker hat.
Große Aufgabe für die Solidargemeinschaft
Solche Beispiele könnten Josef Birk und Hanna Scherieble viele nennen. Deshalb fordern sie, zumindest für die Zeit des digitalen Umbruchs Möglichkeiten vorzuhalten, damit alles, was im Alltag zu erledigen ist, nicht nur digital zu machen ist. „Dazu gehört etwa, dass für die Kontaktaufnahme mit der öffentlichen Verwaltung nicht nur Mailadressen angegeben werden, sondern auch Telefonnummern, die erreichbar sind“, empfiehlt Hanna Scherieble. Der Stadtseniorenrat will dieses Thema weiterhin konsequent bearbeiten und auf Defizite hinweisen, zumal der Vorstand weiß, dass längst nicht alle Seniorinnen und Senioren offen mit digitalen Nöten umgehen – aus Sorge, nicht ernstgenommen zu werden. Doch für Josef Birk ist klar: „Das ist eine große Aufgabe für die Solidargemeinschaft.“
Das sagt der Landesseniorenrat
Chancen
Der Landesseniorenrat Baden-Württemberg sieht in der Digitalisierung unseres Alltags gerade für Ältere viele Möglichkeiten, das Leben einfacher und reichhaltiger zu gestalten: „Das lebenslange Lernen ist ein Schlüssel, um an den neuen Entwicklungen der Digitalisierung zu partizipieren und Teilhabe langfristig zu ermöglichen. Je älter wir werden, desto wichtiger wird Digitalisierung als Fenster zur Welt. Mit digitaler Unterstützung können ältere Menschen möglichst lange in den eigenen vier Wänden wohnen und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben und digitalen Wandel teilhaben.“
Herausforderungen
Gleichzeitig betont der Landesseniorenrat aber auch: „Eine Stigmatisierung, Beschämung oder Diskriminierung von Nicht-Onlinern darf auf keinen Fall erfolgen. Solchen Entwicklungen muss mit Nachdruck auf allen Ebenen entgegengewirkt werden. Neben digitalen Angeboten sind auch analoge Lösungen aufrechtzuerhalten, damit ein selbstbestimmtes und autonomes Leben bis ins hohe Alter möglich ist. Das Voranschreiten der Digitalisierung geht mit ethischen und moralisch sensiblen Herausforderungen und Chancen einher, die besonders für ältere Menschen neu bewertet werden sollten.“