Ein Leben lang hat Walter Jost Kleider gereinigt. Für ihn war ein Fleck kein Problem, sondern eine Herausforderung.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Mit nichts in der Tasche hat er in Esslingen angefangen, hat zwei Reinigungsbetriebe geführt und war die letzten Jahre allein hinter der Ladentheke im Geschäft in Esslingen Hohenkreuz gestanden. Walter Jost ist jetzt 77 Jahre alt und wird Ende August sein Geschäft schließen.

 

Es fällt ihm schwer, aufzuhören, weil es seine Leidenschaft ist, Textilien zu reinigen, und weil er das Arbeiten gelernt hat, damals vor einer halben Ewigkeit auf dem Bauernhof im Burgenland. „Mit 14 hab ich auf dem Hof arbeiten müssen wie ein Erwachsener, und an Geld übrig geblieben ist nichts.“ Da las er in der Zeitung, dass die Esslinger Textilfabrik Merkel und Kienlin Arbeiter suche. Er packte seinen Koffer und fuhr mit dem Zug nach Esslingen, amüsierte sich über die vielen Ortsnamen auf –ingen zwischen Bempflingen und Esslingen, stand am Bahnhof und verstand erst mal – Bahnhof. „Spula“, die er holen sollte, was war das? Doch die Leute im Materiallager wussten, dass Spulen gemeint waren. Er arbeitete in der Färberei, nach und nach wurden alle schwierigen Aufgaben ihm überlassen, besonders das Färben in Pastell. Nach zwei Jahren kündigte er für einen besseren Job in einer Wäscherei. Er musste persönlich zum Direktor gehen und zum Meister. Beide versuchten, ihn zu halten, letzterer mit echt schwäbischem Charme: „Du bischt ein Hurgler“, schimpfte der Meister, womit man im Schwäbischen einen nicht allzu geschickten Menschen bezeichnet.

Seine Kollegen von Merkel und Kienlin haben den Schritt nicht verstanden: „Willsch jetzt versoichte Hosa macha, statt färben?“, fragten sie verwundert. Doch Jost hatte Großes vor, und das war mehr als „versoichte“ verpisste Hosen.

Er arbeitete für zwei

Der Hurgler nahm seinen Koffer und heuerte in der Pliensauvorstadt an. Er entdeckte, dass ihm das Reinigen die liebste Tätigkeit war. Er wurde Reiniger und Betriebsleiter zugleich, was seinem Chef in die angenehme Lage versetzte, nur einmal Lohn zahlen zu müssen, für die beiden Arbeitsplätze, die Jost ausfüllte. Es gab überall in der Stadt Annahmestellen für Reinigungen, erinnert sich Jost, aber es gab kaum Reinigungsbetriebe. 1971 machte er sich selbstständig und ging nach Hohenkreuz, nach und nach wurden es zwei Betriebe mit 14 Angestellten. Es war die beste Zeit. Im Sommer wurden bergeweise Anzüge in die Reinigung gebracht.

Walter Jost nimmt einen Abholzettel und malt eine Textilfaser auf. „Beim Waschen quillt die Faser und sie wird kürzer, der Anzug läuft ein. Beim textilen Reinigen mit Kohlenwasserstoff bleibt sie gleich lang“, doziert er. Jost hat sich viel mit der chemischen und technischen Seite des Reinigens befasst. Vier Patente auf Reinigungsmaschinen hat er angemeldet, sodass er tatsächlich sagen kann, es gebe weltweit keine Maschine, die nicht seine Handschrift tragen würde.

Doch entwickelte die Industrie immer mehr Textilien, die man selbst waschen konnte, und über die Jahrzehnte ging den Reinigern die Kundschaft aus. Trotzdem hat Jost viele Konkurrenzbetriebe überlebt. Betriebe, die fleckige Kleidung einfach in die Maschine werfen und gucken, was dabei herauskommt, und damit das teure Kleid für immer ruinieren.

Ein Mensch häutet sich ständig

„Eine Schlange häutet sich einmal, der Mensch ständig“, sagt Jost. Die braunen Ränder an den Hemdkragen bestehen aus Hautpigment, aus Fett und aus Hautabrieb. Farbe, Fett, Eiweiß. Jost lässt sich oft Tage Zeit, um die Flecken zu entfernen. Immer wieder sprüht er sie mit seinem geheimen Rezept ein, saugt ab, sprüht ein, saugt ab. Bis der Fleck weg ist. Wenn der Mensch mit einem Kleidungsstück seinen Laden betritt, dann wird er sofort Nebensache, die Hauptsache ist der Fleck. Woraus besteht er, wie ist er in den Stoff gekommen? „Es gibt keine reinen Fettflecken“, sagt er, „wenn der Fleck beim Mittagessen entstand, ist meist Eiweiß dabei, das muss ich anders behandeln.“ Ist der Fleck weg, ist der Mensch wieder da. Und er wird oft zu einem Kunden, der ihm seine Lebensgeschichte erzählt. Mit einem feinen Lächeln hört Walter Jost dann zu. Genauso ruhig hört er zu, wenn Leute kommen, die ihn betrügen oder austricksen wollen, weil sie keine Abholscheine für die Ware haben und mehr.

Jetzt nimmt er keine Aufträge mehr an, er gibt nur noch die bereits gereinigten Textilien heraus. Drei Monate muss er sie aufbewahren, dann wirft er sie weg, denn vieles wird nicht abgeholt.

Was Jost im Ruhestand tun wird, das weiß er beim besten Willen noch nicht. Das ist zur Zeit noch außerhalb seines Lebens, das auch jetzt zu 100 Prozent aus der Textilreinigung besteht.