Alle zwei Jahre rückt die Esslinger Tonart zeitaktuelle Musik in den Fokus. Die Festival-Macher wollen ihrem Publikum vom 22. Januar bis 26. Februar Lust machen, sich auf die Neue Musik einzulassen, die sich nicht jedem Zuhörer auf Anhieb erschließt.

Die Welt ist voller Mythen. Manche haben ihre Wurzeln bereits in der Antike, es gibt sie in vielen Kulturen, und sie können auch heute noch als moderne Großstadtmythen ihre Kreise ziehen. Weil Mythen seit jeher Künstlerinnen und Künstler aller Sparten beschäftigen und auch in der Musik ihren Niederschlag gefunden haben, hat sich das Esslinger Tonart-Festival für zeitaktuelle Musik in diesem Jahr „der musikalischen Reflexion über das Phänomen der Mythen aus 4000 Jahren“ verschrieben. Musikerinnen und Musiker wollen vom 22. Januar bis 26. Februar unterschiedliche Interpretationen zum Klingen bringen.

 

Lange Tradition

Sechs Esslinger Komponisten hatten 1985 zusammen mit der Volkshochschule, der damaligen Hochschule für Kirchenmusik und mit Unterstützung der Stadt die Esslinger Studiokonzerte für zeitgenössische Musik begründet. Das Konzept fand in der Stadt und weit darüber hinaus so große Resonanz, dass daraus ein Festival wurde, das seinen Bogen bewusst weit spannt und verschiedene Kultureinrichtungen und Institutionen mit ins Boot holt – diesmal sind das Kulturzentrum Dieselstraße, das Kommunale Kino, die Villa Nagel und die Stunde der Kirchenmusik in der Stadtkirche St. Dionys dabei.

Getragen wird die Tonart seit 2005 von einem eigens gegründeten Verein. „Was aus dem Miteinander vieler entsteht, ist ein farbenreiches Festival, das es in dieser Art wohl nur in Esslingen gibt“, resümiert der Musiker Albrecht Imbescheid, der die Programmplanung zusammen mit Frank Wörner, Klaus Dreher und Christian Pfeiffer verantwortet.

Die Organisatoren stellen jedes Festival unter ein Motto, das sich wie ein roter Faden durchs Programm zieht. Eigentlich sollte sich bereits im vergangenen Jahr alles um Mythen ranken, doch Corona machte der Tonart wie so vielen Kulturveranstaltungen damals einen Strich durch die Rechnung. „Wir hatten schon länger mit dem Gedanken gespielt, Mythen und die Auseinandersetzung der Musik mit ihnen in den Fokus zu nehmen“, verrät Imbescheid. „Mythen sind ein Spiegelbild unseres Seins. Das ist ein Thema, das sich seit der frühen Renaissance durch die Musikgeschichte zieht.“ Und das auch in der Neuen Musik seinen Niederschlag findet. Deshalb ist dieses Thema auch in früheren Festivals immer wieder aufgetaucht – allen voran im Jahr 2018, als die Tonart unter dem Leitmotiv „America“ stand. Denn die Geschichte von der Suche nach dem Glück jenseits des großen Teichs und von Auswanderern, die als Tellerwäscher begannen und zu Millionären wurden, hat ebenfalls ihren festen Platz im Fundus der Mythen. Nicht umsonst ist ein Abend im Kulturzentrum Dieselstraße dem „Mythos Amerika“ gewidmet, den Frank Wörner, Michael Kiedaisch, Ingvo Clauder und Snejana Prodanova in Liedern, Songs und Texten lebendig werden lassen.

Wiederhören mit Ennio Morricone

Für Imbescheid ist das Tonart-Festival längst zum unverzichtbaren Baustein im kulturellen Angebot der Stadt und der Region geworden. Alle zwei Jahre gelingt es den Machern, Neue Musik, die sich nicht jedem Musikliebhaber ohne Weiteres erschließt, so zu vermitteln, dass sich Zuhörerinnen und Zuhörer gerne darauf einlassen. Dazu trägt auch bei, dass die Festivalmacher nicht nur die zeitgenössische Musik im Blick haben, sondern auch Bezüge zu anderen Genres wie bildender Kunst, Film oder Theater herstellen. So zeigt das Kommunale Kino diesmal eine filmische Hommage an Ennio Morricone, der seine Karriere in den 1950er Jahren als Komponist der Avantgarde begann.

Der Esslinger Künstler Matthias Kunisch präsentiert in der Villa Nagel ein von ihm gezeichnetes zwei mal zwölf Meter großes Fries zur Figur der Medea aus der griechischen Mythologie – der Mythos dient als Inspirationsquelle, „um dem komplexen Beziehungskonflikt zwischen Frau und Mann eine weitere Interpretation hinzuzufügen“. Dazu erklingen Michael Obsts elektronische Komposition „Visioni di Medea“ in einer konzertanten Fassung sowie Musik von Giacinto Scelsi, Richard R. Bennett und Claude Debussy.

Infos zu Vorverkauf und Programm: https://tonart-esslingen.de

Der Fahrplan für das Tonart-Festival

Eröffnung
 Das Tonart-Ensemble lädt am Sonntag, 22. Januar, ab 17 Uhr zu einem Konzert unter dem Titel „UrSprünge“ ins Neue Blarer ein. Zu hören sind Kompositionen von Tristan Murail, Wolfgang Rihm, Giacintio Scelsi und Iannis Xenakis, die Bezüge zu ganz verschiedenen Mythen aufweisen. Musikalische Miniaturen von Britten und Strawinsky blicken zurück auf arkadische Idyllen.

Programm
 Das Metamorphosen-Quintett erzählt am Donnerstag, 26. Januar, ab 20 Uhr in der Dieselstraße Geschichten von Cyparissus bis Pygmalion. „Beyond Myths – Hinter Her Hören“ heißt es am Samstag, 28. Januar, in einer Stunde der Kirchenmusik. Beginn ist um 19 Uhr in der Stadtkirche St. Dionys. Der Künstler Matthias Kunisch stellt am Sonntag, 5. Februar, ab 11 Uhr in der Villa Nagel sein Fries zur Figur der Medea vor, musikalisch begleitet von Klaus Dreher, Diego Casado Rodriguez und Albrecht Imbescheid. Das Kommunale Kino zeigt am Mittwoch, 8. Februar, ab 19 Uhr den Film „Ennio Morricone – der Maestro“. Das Duo Enßle-Lamprecht ist am Samstag, 11. Februar, ab 19 Uhr mit seinem Konzertprogramm „The anonymous Lover“ in St. Dionys zu Gast. Das sh|ft Ensemble nähert sich dem Sisyphos-Mythos am Donnerstag, 16. Februar, ab 20 Uhr in der Dieselstraße. Und am Donnerstag, 23. Februar, bringt Tonart den „Mythos Amerika“ ab 20 Uhr in der Dieselstraße zum Klingen.

Finale
Das Aleph Gitarrenquartett gibt am Sonntag, 26. Februar, ab 11 Uhr im Amtsgericht ein Abschlusskonzert unter dem Titel „Metamorphosen“.