Esslinger Weinwirtschaft im Umbruch Weil Alkohol für viele nicht mehr cool ist

Der Rebensaft gehört zu Esslingen wie die Brücke zwischen den Stadtkirchentürmen. Aber die Aussichten für das Kulturgut Wein sind derzeit schwierig. Foto: /Robin Rudel

Esslinger Wengerter passen sich nach der Devise „Klasse statt Masse“ der veränderten Nachfrage an. Verstärkt nehmen sie auch Alkoholfreies in ihr Produktportfolio auf. Schrumpfprozesse beim Weinbau sind aber keineswegs ausgeschlossen.

Weniger, aber besser. Das passt auf vieles. Für die Wengerter in Esslingen und den Rest der Welt birgt der Spruch eine Überlebensstrategie. Denn: Der Weinkonsum geht, wie der aller alkoholischen Getränke, merklich zurück. Aber Hochwertiges , so die Hoffnung, wird sich bei den Wenigertrinkern durchsetzen.

 

„Viele Junge trinken gar nichts Alkoholisches mehr“, sagt Adolf Bayer, der das gleichnamige Esslinger Weingut betreibt. Sein Kollege Maximilian Kusterer kontert eine entsprechende Frage mit einer Gegenfrage: „Wann haben Sie zum letzten Mal bei einem geschäftlichen Termin Wein getrunken?“ Stimmt. Ist branchenübergreifend ziemlich aus der Mode gekommen. Anders als immer längere „Trockenperioden“, die sich immer mehr Menschen verordnen. Nicht nur den berühmten „Dry January“ mit Alkoholverzicht gemäß den Neujahrsvorsätzen oder die vorösterliche Enthaltsamkeit.

„Den Leuten muss die Flasche Wein mindestens zwischen acht und 30 Euro wert sein“: Adolf Bayer, Inhaber des Esslinger Weinguts Bayer. Foto: Roberto/ Bulgrin

Weinkonsum in Maßen: Dann darf die Flasche auch mehr kosten

Es ist nicht so, dass die Wengerter den Zeiten der dauerhaft hohen Promillepegel nachtrauern. Im Gegenteil, versichert nicht nur Kusterer: „Zum Glück hat sich das geändert.“ Wer Wein als Kulturgut sieht, freut sich über kultivierten Genuss. Den Esslinger Erzeugern kommt entgegen, dass auch die, die nicht generell der Abstinenz frönen, die Quantität zügeln – zugunsten der Qualität. „Dann darf die Flasche Wein auch mal etwas kosten“, sagt Kusterer. Klasse statt Masse lautet die Devise, bei den beiden Weingütern ebenso wie bei der Weingärtnergenossenschaft Teamwerk, versichert deren Vorsitzender Achim Jahr. Für Adolf Bayer steckt darin das künftige Geschäftsmodell: „Den Leuten muss die Flasche Wein zwischen mindestens acht und 30 Euro wert sein.“ Weinerzeuger, die dieses Preis-Leistungs-Verhältnis nicht erreichen, „fallen künftig unten durch“, erwartet der Wengerter. Kusterer sieht es ähnlich: „Wir haben einen guten Stand, weil mein Vater rechtzeitig erkannt hat, dass es nicht auf Menge ankommt. Aber insgesamt ging es der Weinwirtschaft schon mal besser – auch im Ausland, zum Beispiel in Bordeaux.“

Kusterer kritisiert, dass „die Agrarpolitik in vergangenen Jahrzehnten zu einseitig auf Mengenertrag gesetzt hat“. Umgekehrt kommt Qualität nicht von selbst. „Für Wetterkapriolen können wir nichts“, sagt Achim Jahn. „Aber was wir können, tun wir: gezielter arbeiten.“ Vor allem beim Rebschnitt sortiere man strenger aus. „Früher hat man es halt wachsen lassen.“ Quantitativ war der Ertrag größer: „Noch vor 30 Jahren hat man pro Ar 200 bis 300 Kilo Trauben rausgeholt“, erzählt ein Wengerter. Heute: die Hälfte oder weniger. Dafür hat der Wein ein anderes Niveau.

Trollinger noch immer Verkaufsschlager bei Teamwerk Esslingen

Und er stammt teilweise von anderen Rebsorten. Der Geschmackswandel unter den Weinzähnen ist ein Thema, das württembergische Wengerter seit Langem beschäftigt. Wobei Jahn das Klischee vom Trollinger als „Rentnerwein“ schon nicht mehr hören kann: „Das heißt es schon seit Jahren, und wir verkaufen immer noch einen Riesenanteil an Trollinger.“ Insgesamt sei der freilich rückläufig, gibt der Teamwerker zu. Aber: „Wir haben auch einen schönen, leichten Trollinger. Irgendwann ist der vielleicht wieder gefragt, denn alles kommt irgendwann zurück.“ Vorerst aber rangieren Grau- und Weißburgunder oder Riesling an der Spitze der Trend-Hitliste. Auch auswärtige Sorten wie Cabernet Sauvignon oder Merlot gedeihen in Esslingen inzwischen gut, sagt Jahn. Kusterer ergänzt noch den Spätburgunder, den Chardonnay und – „als Leitsorte für die Identifikation mit Württemberg“ – den Lemberger.

„Die Agrarpolitik hat in vergangenen Jahrzehnten zu einseitig auf Mengenertrag gesetzt“: Maximilian Kusterer, Inhaber des Esslinger Weinguts Kusterer. Foto: Roberto/ Bulgrin

Vielleicht ebenfalls eine Folge der Klimaerwärmung: Weißweine seien auf dem Vormarsch, sagt Kusterer, und Jahn bestätigt das. 40 Prozent Weiß, 60 Prozent Rot sei inzwischen das Verhältnis bei der Produktion im Weingut Kusterer. Bei Teamwerk 45 zu 55, sagt Jahn. Wobei auch Rosé mittlerweile gut nachgefragt sei. Ebenso wie Schaumweine.

Promillefreie Drinks auf Traubensaftbasis oder alkoholfreie Weine?

„Wir arbeiten gezielter – vor allem beim Rebschnitt. Früher hat man es halt wachsen lassen“: Achim Jahn, Vorsitzender der Esslinger Weingärtnergenossenschaft Teamwerk. Foto: Roberto/ Bulgrin

Nicht zuletzt reagieren Esslingens Weinproduzenten auch auf jene, die Alkohol gar nicht mehr cool finden. Bayer nimmt vermehrt Alkoholfreies in sein Portfolio auf, die Teamwerker haben dies schon getan. Promillefreie Drinks auf Traubensaftbasis schweben Bayer vor, ebenso ein alkoholfreier Sekt. Zu alkoholfreiem Wein kann er sich nicht durchringen.

Alkoholfreier Sekt läuft hervorragend

Teamwerk hat welchen im Angebot, aber „wir arbeiten noch an einer aromaschonenderen Technologie“, räumt Jahn ein. Bei Schaumwein sei das weniger problematisch. Der entalkoholisierte Sekt, den man seit vier Jahren anbiete, laufe hervorragend. Wobei all diese Produkte das Kerngeschäft Wein nicht ersetzen könnten.

Weinberge für umme

Die weiteren Aussichten für Weinbau und -landschaft schätzen manche für Esslingen und darüber hinaus skeptisch ein: Gerechnet wird mit einer schrumpfenden Zahl der Betriebe und schrumpfenden Rebflächen. Auch weil der Altersdurchschnitt der Wengerter hoch ist. Von den 45 Teamwerk-Mitglieder, so Jahn, seien zwölf landwirtschaftliche Haupterwerbsbetriebe, bei denen die Nachfolge in einigen Fällen geregelt sei. Anders stehe es bei den Nebenerwerblern. Bei Bayer und Kusterer ist der Fortbestand der Betriebe gesichert. Aber: „Insgesamt werden weniger Wengerter mehr Fläche zur Verfügung haben“, sagt Kusterer. Dass sie die tatsächlich nutzen, ist angesichts der Personalsituation und der Absatzlage eher unwahrscheinlich. Bayer weiß von Weinbergen im Remstal, „die man für umsonst haben kann“.

Im Wein ist Wahrheit – in Zahlen

Produktion
 Die Weinproduktion nahm in Deutschland laut der jüngsten Statistik des Deutschen Weininstituts von 9,8 Millionen Hektolitern im Jahr 2000 auf 7,8 Millionen Hektoliter 2024 ab. Die weltweit größten Erzeugerländer Italien, Frankreich und Spanien sind ebenfalls von Rückgängen betroffen, die im Fall Frankreichs wesentlich größer ausfallen.

Wetter
 Die Erträge im Weinbau sind wetterbedingten Schwankungen unterworfen. 2024 haben laut Statistischem Bundesamt ein feuchtes Frühjahr und Extremwetterereignisse die Weinerzeugung in Deutschland um zehn Prozent im Vergleich mit dem Vorjahr und um zwölf Prozent im Vergleich mit dem Schnitt 2018 bis 2023 verringert. In Württemberg ging der Ertrag von 2023 auf 2024 sogar um 18 Prozent auf 667 000 Hektoliter zurück.

Konsum
 Die Nachfrage der Konsumenten nimmt in Deutschland ab: von 21,1 Liter Wein pro Kopf im Jahr 2015 auf 19,2 Liter im Jahr 2023. Insgesamt werden deutlich weniger alkoholische Getränke getrunken. Von den 19,4 Millionen Hektolitern Wein, die 2022 in Deutschland konsumiert wurden, wurden 13,3 Millionen Hektoliter importiert. Die Exportrate deutscher Weine ist wiederum relativ niedrig.

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