Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer lehrte die CDU, das Wort Ökologie zu buchstabieren. Jetzt soll er den Atomausstieg moralisch rechtfertigen.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Es war an einem kühlen Frühlingstag im Mai 1988. Da dümpelte in der Nähe von Mainz ein Polizeiboot auf dem Rhein, von dort stürzte sich ein Mann in die Fluten und durchkraulte den Strom bis ans andere Ufer. Er trug vorsichtshalber einen Neoprenanzug und eine pinkfarbene Badekappe. Offizieller Zweck der Übung war es zu demonstrieren, dass der Fluss anderthalb Jahre nach einem Chemieunfall in Basel wieder sauber sei. Der Schwimmer war Klaus Töpfer, damals Bundesumweltminister. Es sind die spektakulärsten Bilder, die von ihm überliefert sind. Sie zeigen ihn jedoch in schlechtem Licht. Die Aktion wurde als "billige Effekthascherei" kritisiert. Später stellte sich heraus, dass Töpfer eigentlich nur eine Wahlkampfwette einlösen wollte.

 

Die Ernsthaftigkeit seines Engagements für den Umweltschutz ist ungeachtet dessen über jeden Zweifel erhaben. Die Grünen hatten im vergangenen Jahr sogar kurzzeitig erwogen, den CDU-Mann zu ihrem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zu erheben. Als er 2006 aus der aktiven Politik ausschied, würdigte ihn sein grüner Amtsnachfolger Jürgen Trittin als einen "Umweltbewegten im besten Sinne".

Töpfer hat tatsächlich viel bewegt. In seiner Amtszeit als Bundesumweltminister, die von 1987 bis 1994 währte, erfand er den grünen Punkt und den gelben Sack, führte Dioxin-Grenzwerte ein und verhängte ein Verbot des Ozonkillers FCKW als Treibgas für Haarspray und Deos. Als Chef des UN-Umweltprogramms mit Sitz in Nairobi wurde Töpfer Mister Klimaschutz der Vereinten Nationen.

Erst nach Tschernobyl wurde der Posten eines Umweltministers geschaffen

Der inzwischen 72-jährige Christdemokrat lehrte die CDU das Wort Ökologie buchstabieren. Zuvor war das ein Fremdwort in der Partei von Helmut Kohl. Erst nach dem Schock von Tschernobyl hatte der es überhaupt für notwendig empfunden, einen Umweltminister zu installieren. Die Nummer zwei in diesem Amt hieß Klaus Töpfer. Der in Schlesien geborene CDU-Mann war ein grüner Pionier in den Reihen der Schwarzen. Nun soll er im Auftrag Angela Merkels eine moralische Rechtfertigung für die vorzeitige Abkehr von der Atomtechnologie liefern. Gemeinsam mit Matthias Kleiner, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, leitet Klaus Töpfer die Ethikkommission sichere Energieversorgung der Zukunft, es ist eine Art Rat der Weisen für den Atomausstieg.

Der christdemokratische Umweltsenior war noch nie ein strahlender Verfechter der Atomenergie. Als er noch Minister war, hielt er den Zeitpunkt für eine Abkehr von der riskanten Technik aber noch für verfrüht. Seinerzeit waren alternative Energiequellen, die heutzutage schon 17 Prozent des Stroms liefern, wenig mehr als eine schöne Utopie. Aber Töpfer hielt die Kernkraft immer schon für eine Technik mit Verfallsdatum. Er war schon überzeugt davon, dass es sich um eine Brückentechnologie handelt, bevor das Wort erfunden war.

"Man sollte die Laufzeit so kurz wie möglich halten"

"Man ist radikaler geworden", so urteilt Töpfer über sich. Das gilt auch für seine Atomskepsis. "Es wird Müll produziert, von dem wir heute noch nicht wissen, wo wir ihn langfristig sicher lagern sollen", mahnte er 2010 in einem Interview. "Und auch das Risiko, dass nukleares Material in falsche Hände geraten könnte, wird mit zunehmendem Einsatz der Kernenergie größer." Seine Überzeugung lässt sich mit zwei Sätzen zusammenfassen, die von seinem politischen Enkel Norbert Röttgen stammen könnten: "Man sollte die Laufzeit so kurz wie möglich machen", forderte Töpfer unlängst, warnte aber: "Wir können nicht sofort aussteigen."

Der neue Job in Merkels Atomkommission ist eine undankbare Aufgabe, sie bedeutet für Töpfer aber auch die Chance, sein Lebenswerk zu krönen. Binnen sechs Wochen soll er die bisherige Sicherheitsphilosophie vom Kopf auf die Füße stellen. Töpfer will dabei "nicht den Verdacht aufkommen lassen, dass wir eine Art Politikersatz sind". Der eigentliche Ausstiegsbeschluss sei Sache des Parlaments. Er und seine 13 Kollegen sollen Argumente liefern, wie sich die Kehrtwende binnen eines halben Jahres begründen lässt. Im Kanzleramt hofft man, dass diese Argumente so stichhaltig sind, dass sie auch jenseits deutscher Grenzen überzeugen. Töpfer genießt international Respekt. Seine Erfahrungen als Klimaschützer lehren ihn jedoch, dass der UN-Fortschritt eine Schnecke ist.

Info: Ethikkommission

Die Ethikkommision startet am Montag

Expertise

Nachdem Kanzlerin Angela Merkel vor knapp zwei Wochen ihr Atommoratorium verkündet hatte, berief sie einen Rat von 14 Fachleuten, die klären sollen, ob und unter welchen Umständen Atommeiler noch vertretbar sind und welche Sicherheitsrisiken gesellschaftlich akzeptiert werden. Die Expertenrunde bereitet damit das Terrain für einen Grundsatzbeschluss über den beschleunigten Abschied vom atomaren Zeitalter.

Köpfe

In Merkels Rat der Weisen sitzen Wissenschaftler, Kirchenvertreter, Politveteranen, ein Gewerkschafter und ein Manager. Ralf Fücks von der Parteistiftung der Grünen hat Merkel einen Korb gegeben. Der einzige bekennende Atomfreund in der illustren Runde ist BASF-Chef Klaus Hambrecht. Sein Unternehmen zählt zu den größten Stromkunden Deutschlands. Die Skeptiker dürften in der Kommission aber überwiegen.

Zeitfenster

Die Ethikkommission hat keine Zeit für ausufernde Debatten. Bis Ende Mai soll sie einen Abschlussbericht und Empfehlungen vorlegen. Anfang Juni will die Kanzlerin im Kabinett über die Zukunft der Atomwirtschaft entscheiden. Ihr Moratorium läuft Mitte Juni aus. Bis dahin muss auch der Bundestag eine Atomnovelle genehmigt haben. Klaus Töpfer sagt für die Ethikkommission: "Wir sind keine Alibiveranstaltung." kä