Alle Lebewesen lassen sich mit der Crispr-Cas-Methode manipulieren. Auch zum Wohle des Menschen kann man diese Technik einsetzen – wenn man das will. Darüber diskutierte jetzt der Ethikrat bei seiner jüngsten Tagung in Berlin.

Berlin - Ganz zu Beginn formulierte Peter Dabrock einen Satz, dem keiner der Experten in der folgenden achtstündigen Debatte widersprach. „Die Welt unserer Kinder wird eine von Crispr-Cas geprägte Welt sein“, sagte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats bei der Begrüßung zur Jahrestagung des Gremiums in Berlin. Ein Satz mit großer Tragweite – und dennoch erstaunlich, denn das neue Werkzeug aus dem Baukasten der Genforschung ist in der Öffentlichkeit noch kaum bekannt. Hinter dem sperrigen Begriff Crispr-Cas verbirgt sich eine Art molekulare Schere, mit der einzelne Gene im Erbgut geschnitten und gezielt verändert werden können. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt. Crispr-Cas hat inzwischen weltweit die Labore der Mediziner, Pflanzenzüchter und Biotechnologen erobert.

 

Die Technik eignet sich für alle Lebewesen . Auch bei menschlichen Zellen wird die Methode inzwischen längst verwendet. In den USA startet noch in diesem Jahr die weltweit erste Studie mit einer neuen Krebstherapie. Die Immunzellen der Patienten sollen durch eine genetische Veränderung Krebszellen besser erkennen und sogar bekämpfen. Andere Versuche gehen weit darüber hinaus. So haben Chinesische Forscher an nicht überlebensfähigen Embryonen ausprobiert, ob sie ein paar Gene ins Erbgut einschleusen können, die eine Immunität gegen HIV ermöglichen sollen. Britische Wissenschaftler wiederum besitzen eine Genehmigung für die Forschung an Embryonen, die nicht mehr zur Fortpflanzung vorgesehen sind. In Israel, Indien und den USA wird es ähnliche Forschungsprojekte geben.

Vor diesem Hintergrund war die Jahrestagung des Ethikrats über den Zugriff auf das menschliche Erbgut längst überfällig. „Deutschland, wir müssen reden“, sagte der Würzburger Gen-Experte Jörg Vogel am Ende seines Vortrags über den Stand der Dinge. Der Ethikrat redete vor allem über die mögliche Veränderung der Keimbahn während einer künstlichen Befruchtung, über die Schaffung von Embryos mit einem veränderten, vermeintlich besseren Erbgut. Dieses Verfahren hat bisher noch niemand versucht, aber technisch erscheint es durchaus machbar.

Forscher wollen krankmachende Gene ausmerzen

Zumindest könnte es damit möglich sein, genetisch bedingte Krankheiten zu verhindern. Der Tübinger Kinderkrebsarzt Karl Welte sagte in Berlin, dass derzeit etwa 500 Krankheiten direkt mit Veränderungen im Erbgut in Verbindung gebracht werden. Etwa 20 Prozent der Genmutationen, die dazu führen, dass Menschen schon in jungen Jahren an Krebs sterben, seien bereits in der Keimbahn vorhanden. Manche Forscher träumen bereits von einer Art Menschheitsprojekt, nämlich dem Ausmerzen krankmachender Gene.

Der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel hält eine medizinische Korrektur der Gene eines Ungeboren für vereinbar mit Menschenwürde und Persönlichkeitsrechten, wenn das Verfahren in der Zukunft ausreichend sicher sei, was es derzeit längst noch nicht ist. Zwar ist die Einwilligung des Betroffenen zum Eingriff in sein Erbgut nicht möglich, aber nach Merkels Sicht auch nicht nötig, denn niemand habe einen Anspruch darauf, eine Krankheit zu bekommen. „Menschen haben kein Interesse, mit einer Krankheit geboren zu werden“, sagte der Düsseldorfer Philosoph Dieter Birnbacher.

Zudem wird nicht jede Krankheit einen risikoreichen Eingriff in die Keimbahn rechtfertigen – selbst die vermeintlich schlimmsten Leiden nicht. „Die guten Ergebnisse einer erprobten Krebstherapie müssen erst einmal durch ein neues Verfahren wie Crispr-Cas erreicht werden“, erklärte Welte mit Blick auf die Transplantation von Stammzellen, die es bei einigen Krebsarten ermöglicht, dass 90 Prozent der Patienten überleben.

Präimplantationsdiagnostik als Alternative

Die Ethikerin und Biologin Sigrid Graumann zweifelte gar an, ob es überhaupt eine gerechtfertigte Anwendung für eine Gentherapie in der Keimbahn gibt. Sie bevorzugt den Einsatz von Präimplantationsdiagnostik (PID) statt einer risikoreichen Veränderung am Erbgut. Wenn Eltern verhindern wollten, dass ihre Kinder eine möglicherweise gefährliche Gen-Mutation hätten, dann könnte man das über PID kontrollieren. Es sei durch die Regeln der Vererbung nahezu unmöglich, dass bei der künstlichen Befruchtung alle Eizellen den gleichen Fehler aufwiesen. So könnte eine Eizelle ohne die fragliche Gen-Mutation ausgewählt und in die Gebärmutter eingepflanzt werden. Menschen, die auf „normalem“ Weg Kinder zeugen, kommen für einen genetischen Eingriff am Embryo derzeit ohnehin nicht in Betracht.

In Deutschland ist ein genetischer Eingriff in die Keimbahn durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Das 26 Jahre alte Gesetz weist nach Ansicht des Mannheimer Juristen Jochen Taupitz zwar viele Lücken auf, weil die Wissenschaft sich weiter entwickelt habe. Doch beim Ethikrat war keine Sorge zu spüren, dass deutsche Forscher diese Feinheiten ausnutzen wollen. International wird die Forschung durch deutsche Gesetze sicher nicht aufgehalten. Man mag den beteiligten Wissenschaftlern glauben, dass es ihnen vor allem um den therapeutischen Nutzen geht, aber das Gespenst eines Designerbabys stand durchaus im Raum – und wurde von allen Experten abgelehnt.

Kaum Bedenken gegen die somatische Gentherapie

Auch der Theologe Peter Dabrock nutzte für die Genveränderungen den Vergleich mit einem Gespenst, das für Ängste sorgen könne, dem man sich aber annähern müsse, um herauszufinden, ob es wirklich ein Gespenst sei. „Es läuft auf die Frage hinaus, wie wir als Mensch sind, und ob wir diese Macht anwenden wollen“, sagt Karl Welke. Den wahrscheinlich schnellsten Einsatz von Crispr-Cas in der Medizin streifte der Ethikrat bei seiner jüngsten Sitzung allerdings nur kurz. Wissenschaftler entwickeln dabei Therapien, bei denen sie defekte Zellen des Körpers entnehmen, diese dann im Labor durch eine genetische Veränderung reparieren und sie anschließend den Patienten zurückgeben.

Die Veränderung bleibt auf den Patienten beschränkt, er kann ihr zustimmen oder nicht. Ethisch ist diese sogenannte somatische Gentherapie nach Ansicht des Ethikrats unbedenklich und erfolgreich scheint sie auch zu sein – zumindest gibt es aus der Forschung mit Mäusen viele positive Ansätze. Auch in Deutschland werden mehrere klinische Studien vorbereitet.

Die Neue Genschere ist kostengünstig und einfach anzuwenden

Gentransfer
Früher konnten fremde Gene nur unspezifisch in das Erbgut eines anderen Organismus – beispielsweise in eine Pflanze – eingebracht werden. Später konnten Gentechniker dann mit künstlich hergestellten Enzymen, den sogenannten molekularen Scheren, direkt und sehr viel genauer in das Erbgut eingreifen. Diese lassen sich so bauen, dass sie an der gewünschten Stelle im Erbgut andocken und dort den DNA-Strang auseinanderschneiden.

Crispr-Cas Das Verfahren wurde im Jahr 2012 von Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier erstmalig vorgestellt. Diese Form der technischen Erbgutbearbeitung wurde der Natur abgeschaut: Bakterien schützen sich mit diesem Mechanismus wie mit einer Art Immunsystem vor Attacken durch Viren. Wenn die Opfer den Angriff überlebt haben, bauen sie Teile des Virus-Erbguts in ihr eigenes Erbgut ein. Dieser Abschnitt mit der Information über den Virus wird Crispr genannt (englisch für Clustered regularly interspaced short palindromic repeats). Im Zuge der Abwehr werden auch Eiweißmoleküle – mit Cas abgekürzt – produziert. Diese heften sich an „ihre“ Viren und markieren sie so als Eindringlinge, die anschließend zerstört werden.

Errungenschaft Mit Crispr-Cas lassen sich nun zielgenau Gene entfernen, austauschen oder einfügen – wobei die direkte Umgebung des Gens auf dem DNA-Strang unbeeinflusst bleibt. Der neuen Genschere schlug zunächst die gleiche Skepsis entgegen wie vielen anderen Errungenschaften der Genforschung. Zugleich hatte die bisherige Gentechnik Hoffnungen geweckt, die nicht erfüllt wurden. Jetzt ist es offenbar anders: Crispr-Cas ist effektiv, kostengünstig und einfach anzuwenden.

Projekte
Mücken, die mit Hilfe von Crispr-Cas gentechnisch verändert wurden, könnten dafür sorgen, dass der Überträger der Malaria ausgerottet wird. Agrarbiologen wollen durch Genveränderungen Pflanzen besser an Dürre und andere Umweltbedingungen anpassen. Forscher entwickeln Hefen mit High-Tech-Genomen, die Arzneimittel produzieren können.