Die EU-Kommission will die Überschreitung der Stickoxidwerte tolerieren. Einige Städte im Land werden deshalb um Fahrverbote vermutlich herumkommen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Nach grünem Licht aus Brüssel für eine Gesetzesänderung ist die Gefahr von neuen Fahrverboten in vielen deutschen Städten gebannt. Die EU-Kommission hat am Mittwoch beschlossen, dass sie keine Einwände gegen die Pläne der Koalition hat, großzügiger bei der Überschreitung des Grenzwerts für Stickoxid vorzugehen. Union und SPD sind sich einig, dass erst ab einer Belastung der Luft im Jahresmittel von 50 Mikrogramm Stickoxid Fahrverbote verhältnismäßig sein sollen. Die EU-Luftreinhaltungsrichtlinie sieht einen Grenzwert von 40 Mikrogramm im Jahresmittel vor. Die Koalition will das entsprechende Gesetz demnächst in Bundestag und Bundesrat beschließen lassen.

 

Damit ist klar, dass die Chancen von Umweltverbänden sinken werden, bei geringfügiger Überschreitung der Grenzwerte gerichtlich Fahrverbote zu erwirken. Für die bestehenden Verbote hat die geplante Gesetzesänderung zwar keine Auswirkung. Doch die Liste der Städte, in denen Fahrverbote drohen, wird damit deutlich kleiner: Das Umweltbundesamt hatte kürzlich eine vorläufige Bilanz der Grenzwertüberschreitung 2018 herausgegeben. Demnach war die Stickoxidkonzentration in 36 Städten im Jahresmittel so hoch, dass Fahrverbote drohen. Für 26 dieser Städte, die 2018 Werte zwischen 40 und 50 Mikrogramm hatten, gibt es nun unmittelbar Hoffnung. Dazu zählen Hannover, Mainz, Berlin, Frankfurt, Essen, Aachen, Osnabrück, Augsburg, Leverkusen und Leipzig.

Im Südwesten könnte die Entscheidung aus Brüssel dazu beitragen, dass Fahrverbote in Freiburg, Tübingen, Leonberg und Mannheim verhindert werden. Diese Städte hatten 2018 einen Jahresmittelwert zwischen 40 und 50 Mikrogramm. In drei weiteren Städten sieht der baden-württembergische Europaabgeordnete Norbert Lins (CDU), der in Brüssel gegen unverhältnismäßige Fahrverbote kämpft, die Gefahren auch gebannt: Reutlingen lag 2018 bei 53 Mikrogramm, Heilbronn bei 52, Ludwigsburg bei 51. Lins sagte: „Diese Städte werden mit den bereits eingeführten Maßnahmen die vorgeschriebenen Luftgrenzwerte im nächsten Jahr erreichen.“ Stuttgart ist mit 71 Mikrogramm nicht betroffen.

Die EU-Kommission stellt klar, dass sie mit der Entscheidung nicht grünes Licht für die einseitige Erhöhung der Grenzwerte in Deutschland gibt. Eine Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte: „Der Grenzwert ist EU-weit verbindlich. Daran wird nicht gerüttelt.“ Wie die Länder diesen Grenzwert erreichen, sei die alleinige Entscheidung eines jeden Landes. Das Erlassen von Fahrverboten etwa läge nur in der Entscheidungskompetenz der Mitgliedstaaten. Die Kommission habe lediglich keine Einwände dagegen geltend gemacht, dass Deutschland das Immissionsschutzgesetz dahingehend ändert, dass künftig erst ab Jahresmittelwerten von 50 Mikrogramm Stickoxid Fahrverbote verhältnismäßig sind.

In einer früheren Version des Artikels hatten wir geschrieben, dass die EU die Grenzwerte anhebt. Das ist so nicht richtig, wir haben das korrigiert.