Drei Wochen nach der Katastrophe vor Lampedusa wird die Flüchtlingspolitik beim EU-Gipfel am Donnerstag Thema sein. Trotz klarer Worte etwa aus Italien zeichnet sich bisher keine Abkehr von der Abschottungspolitik ab. Dabei gäbe es Alternativen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Brüssel - So kann es nicht weiter gehen. Das müssten alle Verantwortlichen wissen. Jeden Tag erreichen Hunderte von Flüchtlingen die Grenzen Europas, in der Hoffnung auf ein besseres Leben – ohne Krieg, ohne Hunger und ohne Unterdrückung. Sehr viele von diesen Menschen lassen auf dem gefährlichen Fluchtweg ihr Leben. Das ist eine menschliche Katastrophe – das ist unbestritten. Doch wenn es um Lösungsansätze geht, driften die Meinungen weit auseinander. Europas Aufnahmefähigkeit sei längst überstrapaziert, sagen die einen. Die andere Seite hält dagegen, dass den Flüchtlingen hier eine faire Chance gegeben werden müsse.

 

Ziel ist es, die lebensgefährliche Flucht zu ersparen

Auf der Suche nach einem gangbaren Weg liegen schon lange Vorschläge auf dem Tisch, einige sind hinzugekommen. Hilfsorganisationen wie Pro Asyl plädieren etwa für einen „humanitären Korridor“ für Flüchtlinge. Ein solcher wird in Deutschland von Politikern des linken Flügels immer wieder ins Spiel gebracht. Ziel ist, den Menschen, die Schutz vor Krieg und Unterdrückung suchen, zumindest die oft lebensgefährliche Flucht zu ersparen.

Hintergrund ist die Tatsache, dass ein Asylantrag derzeit nur von europäischem Boden aus gestellt werden kann. Eine Idee ist, humanitäre Visa in den europäischen Vertretungen vor Ort zu vergeben, damit die Menschen zwecks Asylantrag gefahrlos nach Europa kommen können. Die Schweiz etwa verfügt über ein solches Modell. Die Regierung in Bern handhabt die Visa-Vergabe allerdings relativ streng. Pro Asyl verlangt, zumindest Visa an Flüchtlinge zu geben, die nachweislich Familienangehörige in Europa haben.

Das Flüchtlingswerk bitte um mehr Plätze für Neuansiedlungen

Für Flüchtlinge, die ihr Heimatland bereits verlassen haben, könnte das sogenannte Resettlement („Neuansiedlung“) infrage kommen. Bei diesem Verfahren identifiziert das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Menschen, die besonders schutzbedürftig und ohne Perspektive sind. Es verteilt die Flüchtlinge auf kooperationswillige Länder. Europa hat im Moment etwa 5000 Resettlement-Plätze, in den USA sind es 50 000. Das UNHCR bittet die Staatengemeinschaft händeringend darum, neue Plätze zu schaffen. „Die Chancen, dass Deutschland das Resettlement ausbaut, sind in meinen Augen gar nicht so schlecht“, sagte der UNHCR-Sprecher Stefan Telöken: „Alle Parteien haben sich in ihren Wahlprogrammen dafür ausgesprochen.“ Allerdings dürfe Resettlement nicht zur Erosion regulärer Asylverfahren führen, unterstreicht Telöken.

Viele der Menschen an Europas Grenzen sind aber weder Kriegsflüchtlinge noch haben sie ihr Land aus politischen Gründen verlassen – sie haben schlicht keine wirtschaftliche Perspektive. Sie sind oft verzweifelt, fallen aber nicht unter Asyl- oder humanitäre Regeln. Politiker aller Lager sind sich einig, dass es ein wesentliches Ziel sein muss, die Situation in den Herkunftsländern zu verbessern. Das zentrale Problem dabei ist, dass das wirtschaftliche Elend, etwa in Afrika, vielfältige Ursachen hat – doch nicht alle sind hausgemacht. Hier setzen die Lösungsversuche an. So fordern Hilfsorganisationen, dass sich zum Beispiel europäische Fangflotten von den Fischgründen vor der afrikanischen Küste fernhalten sollen. Das würde den Ertrag der einheimischen Fischer wieder steigern. Seit langem wird kritisiert, dass die reichen Industrienationen hoch subventionierte Nahrungsmittel zu Dumpingpreisen auf lokale Märkte werfen und damit den Bauern vor Ort die wirtschaftliche Grundlage entziehen.

Ein Vorschlag: legale Arbeitsmigration

Eine Möglichkeit wäre auch, so der Vorschlag mancher Wirtschaftsexperten, sich einer legalen Arbeitsmigration zu öffnen. „Das könnte den Druck an Europas Grenzen zumindest etwas verringern“, sagt etwa der Migrationsforscher Thomas Liebig von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris. Obwohl sich das Jobangebot in vielen EU-Ländern infolge der Wirtschaftskrise verringert hat, gebe es stellenweise strukturellen Bedarf an Arbeitskräften, selbst im niedrigqualifizierten Bereich – so suchten viele Privathaushalte nach Betreuungspersonal für alte Menschen.

Die EU-Kommission in Brüssel gibt seit vielen Jahren Anregungen für gesteuerte Arbeitsmigration – unbefristet oder befristet, häufig gekoppelt an Ausbildungsinitiativen. Die EU-Regierungen indessen schmetterten die meisten Ideen ab. So sträubt sich zum Beispiel auch Deutschland gegen Vorschläge, Flüchtlingen mit einer qualifizierten Berufsausbildung die Aufnahme in Deutschland zu erleichtern. Das Bundesinnenministerium etwa verweist auf schon bestehende Möglichkeiten, zu Arbeitszwecken einzuwandern. „Man sollte nicht denken, dass ein humanitäres Problem mit den Mitteln der Arbeitsmigration gelöst werden kann“, sagte jüngst ein Sprecher von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU).

Arbeitsmigration für Studenten und hoch qualifizierte Fachkräfte

Die Behörde reagierte auf einen Vorschlag des Bundesamtes für Migration, wonach Flüchtlinge, die keine politische Verfolgung nachweisen können und damit im Asylrecht chancenlos wären, als Arbeitsmigranten aufgenommen werden sollten. Die Voraussetzung: sie sind Studenten oder hoch qualifizierte Fachkräfte. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), hatte sich offen für einen solchen Weg gezeigt. Auch der SPD-Innenexperte Michael Hartmann nannte den Vorschlag diskutabel. Sachsens Innenminister Markus Ulbig verwies darauf, von jährlich 100 000 Antragstellern auf Asyl hätten zehn Prozent eine höhere Qualifikation. Angesichts des Fachkräftebedarfs dürfe dieses Potenzial nicht verschenkt werden, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.


Lampedusa
Seit den 1990er Jahren ist die italienische Insel Lampedusa zwischen Tunesien und Sizilien das Ziel von Boots-flüchtlingen aus Afrika. In den vergangenen Jahren verstärkte sich der Zustrom afrikanischer Bootsflüchtlinge, die versuchen, von Tunesien und Libyen aus über Lampedusa und Sizilien den europäischen Kontinent zu erreichen. Immer wieder kommt es dabei zu Schiffsunglücken. Zwischen 2004 und 2013 starben nach Angaben von Hilfsorganisationen mehr als 6200 Menschen.

Unglücke
Einer der schwersten Unglücksfälle ereignete sich am 3. Oktober 2013, als vor der Küste Lampedusas ein Kutter mit etwa 545 Flüchtlingen aus Somalia und Eritrea sank. Mehr als 150 Menschen konnten gerettet werden, etwa 390 Menschen ertranken.

Papst
Als erstes katholisches Kirchenoberhaupt besuchte Papst Franziskus am 8. Juli 2013 Lampedusa. Er machte auf das Leid der Flüchtlinge aufmerksam und kritisierte die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“, die Menschen würden den Tod betrauern, sich aber nicht dafür verantwortlich fühlen.