Die EU will in Zukunft mehr für die Wirtschaft und weniger für den Klimaschutz tun.
Ursula von der Leyen steht beim EU-Gipfel im Rampenlicht. Die Deutsche wurde in Brüssel mit großer Mehrheit für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin nominiert. „Ich bin den Staats- und Regierungschefs dankbar“, erklärte sie nach der Entscheidung. Damit hat sie eine entscheidende Hürde genommen, muss nun allerdings noch vom Europaparlament bestätigt werden.
Die große Erleichterung der CDU-Politikerin ist allerdings nicht ungetrübt, denn am Ende des Treffens wurde am Freitag auch die sogenannte Strategische Agenda verabschiedet. Das ist zwar ein eher unverbindliches Papier, doch werden darin die Leitplanken gesetzt, in deren Grenzen sich die EU-Politik während der kommenden, fünfjährigen Legislaturperiode bewegen soll.
Schon bei der ersten, flüchtigen Lektüre wird deutlich, dass in dem achtseitigen Werk Ursula von der Leyens „Herzensprojekt“ deutlich entkernt wird. Der sogenannte Green Deal, der Umbau Europas zu einem klimaneutralen Kontinent, rückt in die zweite Reihe. Die Europäische Union soll sich nach dem Willen ihrer Staats- und Regierungschefs in den kommenden Jahren mehr um Wirtschaft und Verteidigung kümmern. „Wir werden gemeinsam wesentlich mehr und besser investieren“, heißt es in der Strategischen Agenda. Ziel sei ein „wohlhabendes und wettbewerbsfähiges Europa“.
Wirtschaftliche Flaute
Diese Wende hat nicht nur wirtschaftliche Gründen. Nach der Pandemie und durch den Krieg in der Ukraine kämpft sich die EU durch eine gefährliche wirtschaftliche Flaute. Aber auch die Erfolge von nationalistischen Parteien, die die Union zu erschüttern drohen, machen in den Augen vieler Politiker eine neue wirtschaftspolitische Schwerpunktsetzung notwendig.
Die Staats- und Regierungschefs gehen nicht so weit, den Green Deal zu Grabe zu tragen. Allerdings betonen sie in dem Papier, dass die Europäische Union auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 „pragmatisch vorgehen“ wird. Der grüne Wandel sei kein Selbstzweck, sondern solle bei der Schaffung von „Märkten, Industrien und hochwertigen Arbeitsplätzen der Zukunft“ helfen.
Angesichts solcher Sätze wittern die Anhänger des Verbrenner-Aus Morgenluft. Ihre Hoffnung, das Verbot der Zulassung von neuen Verbrenner-Fahrzeugen ab dem Jahr 2035 zu kippen, dürfte sich allerdings nicht erfüllen. Sehr wahrscheinlich aber ist, dass es zum Beispiel durch großzügige Übergangsfristen deutlich verwässert wird.
Mit dem Umsetzen der Strategischen Agenda soll vor allem auch verhindert werden, dass Europa den Anschluss an die anderen großen Wirtschaftsräume verliert. So haben etwa die Corona-Pandemie und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine schmerzlich verdeutlicht, wie abhängig die EU von funktionierenden Lieferketten und günstiger Energie ist. Zahlreiche Rohstoffe, die etwa für E-Autos oder Windräder benötigt werden, muss der Staatenbund teils fast komplett aus einzelnen Drittländern importieren. Solch sensible Sektoren und Schlüsseltechnologien wie etwa auch die Raumfahrt, künstliche Intelligenz, Mikrochips oder Arzneimittel sollen deswegen ausgebaut werden.
Abstimmung der Armeen
Angesichts des Krieges in der Ukraine nimmt der Bereich Verteidigung in der Strategischen Agenda einen großen Raum ein. Hier wird allerdings deutlich, dass das Papier auch eine Sammlung von Wünschen darstellt, die seit Jahrzehnten vorgebracht, aber bis jetzt nicht erfüllt wurden. Sehr allgemein wird gefordert, dass künftig die verschiedenen europäischen Armeen besser aufeinander abgestimmt sein sollen. Derzeit nutzen die EU-Staaten zahlreiche unterschiedliche Modelle etwa von gepanzerten Fahrzeugen, Waffen und anderer Ausrüstung. Durch eine Vereinheitlichung könnte an vielen Stellen Kosten und Aufwand eingespart werden.
Unklar ist auch, wie die angesprochenen erhöhten Ausgaben für die Rüstung, finanziert werden sollen. So stemmte sich Bundeskanzler Olaf Scholz in Brüssel dagegen, dass dafür gemeinsame Schulden, sogenannte Eurobonds, aufgenommen werden. Um die EU effizient vor Bedrohungen aus Ländern wie China oder Russland schützen zu können, braucht es nach Schätzungen der Europäischen Kommission im nächsten Jahrzehnt zusätzliche Investitionen in Höhe von rund 500 Milliarden Euro.