Warschau macht dem Rest der EU Vorwürfe, weil das Land sich nicht bei der Wahl des Ratspräsidenten durchgestzt hat. Nun stellt die Regierung Bedingungen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Ist Polen auf dem Absprung aus der EU, oder dreht die Warschauer Regierung nach einer Schmoll-Phase wieder bei? Diese Frage bestimmte den zweiten Gipfeltag nach dem Eklat um die Wiederwahl von Donald Tusk als Ratspräsident. Auf eine Journalistenfrage hin hatte Kanzlerin Angela Merkel dazu gesagt: Nach der Tusk-Wahl habe sich Polen bei der inhaltlichen Debatte durchaus beteiligt. Das ist zumindest formal korrekt, wird später ein anderer Regierungschef hinter vorgehaltener Hand bestätigen. „Sie haben sich bei jedem Punkt zu Wort gemeldet und Nein gesagt.“ Das klingt eher nach Trotz.

 

Schwere Vorwürfe aus Warschau

Die Polen sind zwar nicht abgereist, sie haben aber als einzige nicht den Schlussfolgerungen zugestimmt. Und aus Warschau war Freitag von Regierungsseite zu hören, die Tusk-Wahl sei ein „Berlin-Diktat“ gewesen. Die Kanzlerin konterte diesen Vorwurf: „Es haben 27 selbstbewusste Staaten für ihn gestimmt, 26 waren keine deutschen, ein Staat war deutsch.“ Es gibt aber auch aufmunternde Signale. So berichtete die Kanzlerin nach Abschluss des Gipfels, Polen werde aktiv an der Rom-Erklärung mitarbeiten, die Ende des Monats zum 60. Jahrestag der römischen Verträge in der italienischen Hauptstadt feierlich verabschiedet werden soll. „Die polnische Regierungschefin Beata Szydlo hat sich heute eindeutig zum Ziel bekannt, eine gemeinsame Erklärung abzugeben“, sagte Merkel.

Ringen um die Formulierungen

Um den Inhalt wird aber noch gerungen. Am heftigsten umstritten ist die Frage, wie eng die Zusammenarbeit sein soll, die sich die EU-Länder für die nächsten zehn Jahre vornehmen. Italien als Gastgeber des Jubiläumsgipfels, Malta als Land, das derzeit in der EU die Geschäfte führt, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker haben einen ersten Entwurf geschrieben. Die zwei Seiten Text sind wenig konkret, anstößig ist vor allem eine Formulierung: „Wir werden zusammen arbeiten mit dem Verständnis, dass einige von uns enger voran gehen können, weiter und schneller je nach Politikbereichen.“ Merkel räumte ein, dass über diesen Punkt „sehr ausführlich“ diskutiert wurde. Es gebe bei einigen die Befürchtung, dass dies letztlich zu unterschiedlichen Klassen der Zusammenarbeit führe. Die Visegrad-Staaten, also Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, hatten im Vorfeld des Gipfels einen Brief geschrieben. Sie glauben, dass die Formulierung von den „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ darauf hinaus laufe, dass Deutschland, Frankreich und einige andere Staaten zusammen rücken und Kerneuropa bilden und gerade die jüngeren Mitgliedsstaaten und diejenigen an der Peripherie abgehängt werden könnten. Merkel ist bemüht, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Es gebe keinen Grund zur Aufregung, stellt sie fest. Man habe bereits ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“, weil etwa nicht alle beim Euro mitmachen oder im Schengen-Raum. Sie betont das Positive: „Es gibt keinen Ausschluss. Wir sind offen für jedes Mitgliedsland, das mitmachen möchte.“ Beata Szydlo lässt dann kurz vor ihrer Abreise aber schon einmal wissen: „Wir lehnen jegliche Gespräche über ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten ab.“

Merkel ist wichtig, dass die Rom-Erklärung in die Zukunft weist: Sie will das Dokument verstanden wissen als Antwort auf den Austritt Großbritanniens aus der EU. Es gehe ihr nicht um große Worte, sondern um das Benennen von Zielen, die auch erreichbar sind.