EU-Ratspräsident Donald Tusk will die Umverteilung von Migranten in den Mitgliedstaaten der EU kippen. Die Bundesregierung protestiert.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die Bundesregierung pocht weiter darauf, dass auch Polen, Ungarn und Tschechien Flüchtlinge aufnehmen müssen, die im Süden Europas ankommen. Vor dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag, bei dem ein Kompromiss in der Migrationspolitik gesucht wird, hieß es aus deutschen Regierungskreisen: „Der Gedanke der Solidarität ist nach unserer Überzeugung ein essenzieller Bestandteil einer Reform.“ Damit geht die Bundesregierung auf Distanz zu einem Vorstoß von EU-Ratspräsident Donald Tusk. Er bezeichnete die umstrittene Politik der Umverteilung von Asylsuchenden in der EU als wirkungslos. Lösungen in der Migrationspolitik könnten nur die Einzelstaaten selbst finden, nicht aber die EU.

 

Die Innenminister der EU-Mitgliedstaaten hatten im September 2015 gegen die Stimmen von Polen, Ungarn und Tschechien beschlossen, dass Italien und Griechenland in der Flüchtlingskrise entlastet werden müssen. Alle Mitgliedsländer wurden dazu verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen, die im Süden Europas angekommen. Die drei Länder weigerten sich aber kategorisch, den Beschluss umzusetzen. Daran änderte auch ein Vertragsverletzungsverfahren, das die Kommission eingeleitet hat, und ein eindeutiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs nichts.

Tusk: Quoten sind ineffektiv

Nun hat Tusk die verpflichtenden Quoten als in hohem Maße „entzweiend“ für die EU und „ineffektiv“ bezeichnet. Er bittet die Staats- und Regierungschefs zu prüfen, ob in der Flüchtlingspolitik nicht künftig einvernehmlich entschieden werden kann. Dies wäre eine Abkehr von bisherigem EU-Recht: Migrationsfragen bedürfen bislang nicht der Einstimmigkeit, sondern werden mit „qualifizierter Mehrheit“ entschieden. Es genügt, dass 16 von 28 Ländern zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Wie aus deutschen Regierungskreisen verlautete, hält Berlin auch nichts davon, bei Migrationsfragen Einstimmigkeit einzufordern. „Es bleibt dabei, dass es eine Frage ist, die mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird“, hieß es am Mittwoch.

EU-Kommission: Der Vorschlag ist antieuropäisch

Eigentlich wollte Ratspräsident Tusk den Flüchtlingsstreit entschärfen, doch mit seinem Vorstoß hat er ihn angefacht. Wie zu hören ist, unterstützen von den Mitgliedstaaten lediglich Polen, Tschechien und Ungarn Tusks Vorschlag. Deutschland und alle anderen Länder sehen ihn überaus kritisch. Aus dem Parlament und der EU-Kommission kommt massive Kritik. EU-Zuwanderungskommissar Dimitris Avramopoulos nennt Tusks Vorstoß „inakzeptabel“ und „antieuropäisch“.

Die Fraktionschefs von Christdemokraten, Liberalen und Grünen im Europaparlament lehnen Tusks Vorhaben strikt ab. „Ohne eine faire Flüchtlingsumverteilung bleibt die europäische Asylpolitik krisenanfällig“, so die Grüne Ska Keller.