Die EU-Kommission knöpft sich die deutschen Autobauer offenbar erneut vor: Fünf Hersteller sollen gegen das Kartellrecht verstoßen haben. Die Fäden der Aufklärung laufen bei der EU-Wettbewerbskommissarin zusammen – und die schweigt.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Mit gereiztem Unterton kommentiert die EU-Kommission den Kartellverdacht gegen die fünf deutschen Autohersteller BMW, Audi, Porsche, Mercedes-Benz und VW. Zwei Jahre nach Beginn des Dieselskandals, sagte ein Kommissionssprecher, sei es nun wichtig, dass alle – also die Regierungen, Verbraucher und die Industrie – „endlich“ ihren Job erledigten. Und dann folgt eine Formulierung, die wie eine Drohung klingt: Die EU-Kommission werde die einzelnen Puzzleteile so zusammensetzen, dass es höhere Standards im Verbraucherschutz gebe. Die Nachricht eines möglichen Kartells in der Autoindustrie war auch in Brüssel wie eine Bombe eingeschlagen. Ohnehin ist die Verärgerung groß, weil der Dieselskandal so gar kein Ende zu nehmen scheint und immer neue Häppchen auftauchen. „Das Schlimme ist, dass die volle Dimension des Dieselskandals bis heute schwer einzuschätzen ist“, sagt ein hoher EU-Beamter. EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska verliert die Geduld mit der deutschen Schlüsselindustrie. Der Eindruck hat sich verfestigt, dass die Bundesregierung im Zweifel mit der deutschen Autoindustrie paktiert und einer schärferen Regulierung im Weg steht.

 

Steht die Bundesregierung einer schärferen Regulierung im Weg?

Im Kartellfall an sich zeichnet sich ab, dass die Fäden der Aufklärung bei der EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zusammenlaufen. Das Bundeskartellamt sei auch involviert, aber „die EU-Kommission hat den Lead“, wie in Brüssel zu hören ist. Die Beamten von Vestager hüllen sich in Schweigen. Sie bestätigen noch nicht einmal, seit wann sie die Akten auf dem Tisch haben und ermitteln. Dies bedeutet, dass die Ermittler offenbar noch keine Gewissheit haben, dass an den Vorwürfen auch tatsächlich etwas dran ist.

Regelmäßige Treffen der Autobauer waren bekannt

Grundsätzlich informiert die Behörde die Öffentlichkeit über kartellrechtliche Ermittlungen erst, wenn die Beamten eine Klageschrift erstellt haben. Ein falscher Verdacht kann ein Unternehmen wirtschaftlich ruinieren. Daher geht die Behörde nur dann an die Öffentlichkeit, wenn sie Hinweise auf einen „hinreichenden Beweis“ hat. Durch Medienberichte vom Wochenende, wonach Beteiligte an dem Kartell eine „Art Selbstanzeige“ erstattet haben sollen, wuchs der Druck auf die Kommission, zumindest die Ermittlungen in der Sache zu bestätigen. Eine Bestätigung, dass erst VW und womöglich später Daimler eine förmliche Selbstanzeige erstattet haben, gibt es ebenfalls nicht. In Branchenkreisen ist zu hören, dass regelmäßige Treffen von Experten der Autobauer zu bestimmten Themen bekannt waren. „Wir wussten, dass sie sich austauschen“, hört man: „Wir gehen davon aus, dass es um kartellrechtlich nicht relevante, sogenannte vorwettbewerbliche Themen ging.“

Lange Ermittlungsdauer beim Lkw-Kartell

Aus anderen Fällen in der Automobilbranche weiß man, dass die Recherchen der EU-Beamten langwierig sind – wie etwa beim Lkw-Kartell, in dem fast alle namhaften Hersteller von schweren Lastwagen 14 Jahre lang rechtswidrig Preise abgesprochen hatten. Es vergingen fünfeinhalb Jahre nach dem Eingang einer Selbstanzeige von MAN bis zum Abschluss des Falles im vergangenen Sommer mit einer Rekordbuße von knapp drei Milliarden Euro gegen die Drahtzieher. Auffällig ist im aktuellen Fall insbesondere, dass bislang keiner den Vorwurf erhebt, zwischen den Herstellern habe es Preisabsprachen gegeben.

In einem Interview mit dieser Zeitung hatte Vestager unabhängig von diesem Fall im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass sie vor drakonischen Strafen gegen Kartellsünder nicht zurückschrecke. Wenn die Strafe nicht schmerze, sei sie bloß eine belanglose Zahl in der Unternehmensbilanz. Man dürfe nicht vergessen, dass Kartelle vielfach von den Chefs eingefädelt werden: „Das ist der Stoff, aus dem Krimis geschrieben werden.“

Die Höhe der möglichen Geldbuße richtet sich nach dem Umsatz

Verstöße im Zusammenhang mit hohen Umsätzen und über einen langen Zeitraum werden als besonders gravierend angesehen. Die Kommission stützt sich auf Untersuchungen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), wonach illegale Preisabsprachen die Preise im Schnitt um 15 bis 20 Prozent in die Höhe treiben. Die Höhe der Geldbuße richtet sich nach dem Jahresumsatz, den ein Unternehmen mit dem betreffenden Produkt erzielt hat. Als Zahl wird dabei der Umsatz des letzten vollständigen Geschäftsjahres vor Bekanntwerden des Kartells herangezogen. Grundsätzlich ist eine Buße von bis zu 30 Prozent des betreffenden Umsatzes möglich. Die Höhe richtet sich aber vor allem nach der Schwere des Vergehens und der Reichweite des Kartells.

Wer auspackt, kann seine Strafe reduzieren

In der Praxis wird eine Buße von 15 bis 20 Prozent des betreffenden Umsatzes verhängt. Der so ermittelte Betrag wird dann mit der Zahl der Jahre und Monate multipliziert, in der das Vergehen vorgekommen ist. Grundsätzlich darf die Geldbuße nicht den Wert von zehn Prozent des Gesamtumsatzes eines Unternehmens übersteigen. Es gelten Verjährungsfristen: Die EU-Kommission muss ihre Ermittlungen spätestens fünf Jahre nach dem Ende eines Kartells eingeleitet haben. Kartelle fliegen regelmäßig erst dadurch auf, dass ein Beteiligter aus Angst vor Strafe auspackt. Um den Anreiz zu erhöhen, verspricht die Kommission Kronzeugen Straffreiheit. Alle weiteren beteiligten Unternehmen, die wertvolle Hinweise geben, dürfen damit rechnen, dass ihnen die Buße maximal zur Hälfte erlassen wird.