Zwei Wochen vor den Wahlen erfahren die Abiturienten des Wirtschaftsgymnasiums Waiblingen bei einem Projekttag der Industrie- und Handelskammer, welche Rolle die Europäische Union in ihrem Alltag und für ihre Zukunft spielt.

Waiblingen - „Wer hat sich heute morgen die Zähne geputzt?“ Mit seiner Frage hat Nils Bunjes die Abiturienten des Wirtschaftsgymnasiums in Waiblingen gleich zu Beginn der Schulstunde ein bisschen aus dem Konzept gebracht. Schließlich erwarteten sie an diesem Mittwochvormittag von dem Studienleiter des Europazentrums Baden-Württemberg einen Vortrag über die Bedeutung von Europa. Den hielt Nils Bunjes auch – und verdeutlichte den Schülern anhand vieler Beispiele, wo ihnen die Europäische Union (EU) Tag für Tag begegnet.

 

Das Leitungswasser, das von Berlin über Lissabon bis Budapest gefahrlos getrunken werden, zur Zubereitung von Babynahrung und natürlich auch zum Zähneputzen verwendet werden kann, ist nur ein Beispiel dafür, dass Richtlinien durchaus segensreich sein können.

Zwei Generationen in Folge erleben Frieden

Ist die Europäische Union ein Erfolgsmodell – ja oder nein? Diese Frage stand beim EU-Projekttag, den die IHK Bezirkskammer Rems-Murr in der kaufmännischen Schule veranstaltet hat, im Mittelpunkt. Die Schulleiterin Birgit Bürk hat die Frage zu Anfang der Doppelstunde mit „ja“ beantwortet und das so begründet: „Ihre Generation und die Ihrer Eltern sind die ersten beiden aufeinanderfolgenden Generationen, die keinen Krieg erleben mussten. Das ist historisch betrachtet eine ganz seltene Ausnahme und ein sehr großes Geschenk.“

Und kein purer Glücks- oder Zufall, wie die Geschichtslehrerin betonte – sondern eine Folge davon, dass es 1950, nur fünf Jahre nach einem verheerenden Weltkrieg, „Leute gab, die sich auf den Weg gemacht haben, um das Zusammenleben neu zu gestalten“. Auch Markus Beier, der leitende Geschäftsführer der IHK Bezirkskammer Rems-Murr, machte auf den Friedensaspekt aufmerksam – und hob hervor, dass das, was für EU-Bürgerinnen und Bürger ganz normaler Alltag ist, andernorts keine Selbstverständlichkeit ist: Sie dürfen selbst entscheiden, in welches europäische Land sie reisen, wo sie leben, arbeiten und lernen wollen. „Viele sehen vor allem die Probleme“, sagte Markus Beier. Und sprach dann ausführlich über die Rolle, die Europa gerade für ein Exportland wie Deutschland spiele. „Wir profitieren überproportional von der EU, etwa die Hälfte der Arbeitsplätze in Deutschland hängt am Export“, erklärte Beier. Den Abiturienten stellte er in Aussicht: „Sie sind als Fachkräfte so begehrt wie nie, es gab selten eine bessere Zeit, um in den Arbeitsmarkt zu starten.“

Auslandpraktikum in London, Studium in Warschau

Die 21-jährige Melanie Martian hat den Abiturienten dann erzählt, wie sie nach ihrem Abitur am Waiblinger Salier-Gymnasium im Jahr 2015 vom Programm „Go for Europe“ profitiert hat, das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanziert wird. Ein vierwöchiges Praktikum in London, inklusive Intensivsprachkurs, hat das Projektteam von „Go for Europe“ für die Kauffrau für Büromanagement und andere Auszubildende organisiert und bezahlt. Demnächst macht sich Melanie Martian, die inzwischen Wirtschaftswissenschaften studiert, im Rahmen von „Erasmus Plus“, einem Programm für Bildung, Jugend und Sport der Europäischen Union, für ein Semester nach Warschau auf, um dort das polnische Studentenleben zu erproben. „Reist, so viel es geht und nehmt die Freiheiten von Europa mit“, war ihr Rat an die Jugendlichen. Die hoben mehrheitlich die Hand, als Birgit Bürk fragte, ob sie Europa als Erfolgsmodell sehen. Ein Abiturient brachte es so auf den Punkt: „Europa ist in meinen Augen ein Superprojekt.“