Ein Jahr nach der Volksabstimmung zur Begrenzung der Zuwanderung haben sich die Schweiz und die EU nicht mehr viel zu sagen. Bern würde gerne über das Thema verhandeln, Brüssel lehnt dies allerdings strikt ab.

Brüssel - Die Nachricht des Tages ist das Foto gewesen. Der Wangenkuss, mit dem EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Schweizer Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga in Brüssel begrüßte, fiel derart beeindruckend aus, dass der Boulevard nach der Visite zu Wochenbeginn argwöhnte, die First Lady sei „gefressen“ worden. Schließlich gab es sonst tatsächlich nicht viel zu berichten. „Es hat keine Annäherung der beiden Standpunkte gegeben“, berichtete Juncker.

 

Ein Jahr nach der Volksabstimmung, die am 9. Februar eine Begrenzung der Zuwanderung forderte, steht es nicht gut um die Beziehungen. Die Neuregelung, die 2017 umgesetzt sein muss, würde das Abkommen über freien Arbeitsmarktzugang von EU-Bürgern verletzen. Da der ein Pfeiler des Binnenmarkts ist, sind weitere sechs Abkommen, mit denen die Schweiz Ende der neunziger Jahre teilweisen Zugang erhielt, daran gekoppelt. Die gegenseitige Anerkennung von Qualitätsstandards im Agrar- und Industriebereich fiele weg, auch die gemeinsame Asylpolitik sowie der freie Grenzverkehr im Schengenraum könnten in Mitleidenschaft gezogen werden.

Brüssel lehnt Verhandlungen strikt ab

Schweizer Studenten spüren die Nachteile bereits. Sie sind vom Erasmus-Austausch ausgeschlossen. So wie Forscher nur noch eingeschränkt EU-Forschungsgeld erhalten können. Der Grund: beides ist indirekt mit einem Protokoll über die Rechte der EU-Neubürger in Kroatien verknüpft, das die Schweizer Regierung nach dem Referendum nicht mehr unterschreiben darf.

Bern will verhandeln, Brüssel nicht. Erst im Dezember bekräftigten die EU-Regierungen, die Personenfreizügigkeit sei ein „fundamentaler Pfeiler“ und nicht verhandelbar. Die Schweizer Idee, Quoten einzuführen oder etwa deutsche, nicht aber bulgarische Arbeitnehmer zu akzeptieren, wurde entsprechend zurückgewiesen. Und so musste Bundespräsidentin Sommaruga froh sein, dass man wenigstens in Kontakt bleibt: „Wir haben vereinbart, dass es künftig intensive Konsultationen geben wird.“

Ohne Verhandlungen aber droht ein Ende der bilateralen Verträge, dessen Folgen inzwischen einige Studien aufzeigen. So müssten allein 200 Millionen Franken aufgewendet werden, um die praktizierenden Ärzte aus Deutschland zu ersetzen.

Wird ein weiteres mal abgestimmt in der Schweiz?

Für die Schweiz ungewöhnlich hat Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf jetzt in Frage gestellt, ob sich der Volksentscheid umsetzen lässt. Sie glaubt an „eine weitere Abstimmung in ein paar Monaten“. Für Andreas Schwab, Europaabgeordneter der CDU, scheint „ein Stück weit Realismus einzukehren, aber das muss die Schweiz selbst klären.“ Ein EU-Diplomat sieht das ähnlich: „Die Schweiz muss für sich beantworten, was sie vom Rest Europas will.“

Eine Einbahnstraße ist die Beziehung dennoch nicht. Anrainer wie Baden-Württemberg haben kein Interesse an einem Ausscheiden der Eidgenossen. Die Landesregierung etwa versucht sich als Mittler. „Am Ende müssen wir einen Weg finden, um die Schweiz im Binnenmarkt zu halten“, sagt Schwab. Er hält Quotenregelungen durchaus für denkbar, wenn sie sich etwa an Durchschnittswerten in vergleichbaren Wirtschaftsräumen orientierten.