In Europa soll die im Online-Zeitalter obsolete Kleinstaaterei bei der Vergabe von Senderechten für Musik der Vergangenheit angehören. Mit großer Mehrheit hat jetzt das Europaparlament einer entsprechenden Reform zugestimmt.

Brüssel - Eine so breite Mehrheit ist selten im Europaparlament: 640 Abgeordnete stimmten am Dienstag für die neue EU-Richtlinie zur kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten, nur 18 mit Nein. Fast alle waren zufrieden mit dem Kompromiss, der zuvor mit Europas Regierungen ausgehandelt worden war – von den euroskeptischen britischen Torys bis zu den Netzpolitikern der Piratenpartei.

 

Tatsächlich verspricht die Reform Verbesserungen für Kunden wie Künstler gleichermaßen. Wer im Netz Musik herunterlädt oder über Abodienste wie Spotify anhört, kann in Zukunft mit einem größeren Angebot ausländischer Titel rechnen. Die Rechte der Musiker werden gestärkt.

Bisher gibt es nur einen Anbieter, der in allen 28 EU-Staaten Lieder unter’s Volk bringt: iTunes von Apple. Aber selbst der Marktführer bietet von Land zu Land eine andere Auswahl von Musikstücken an, weil auch er nicht über Rechte an allen Titeln verfügt. Jeder Onlinedienst muss sich bisher an 28 nationale Verwertungsgesellschaften wenden, um ein Repertoire Hörern in ganz Europa zur Verfügung zu stellen. Musiker wiederum schrecken davor zurück, Stücke grenzübergreifend freizugeben – weil es schwierig ist, danach an das Geld zu kommen.

Mit der neuen Richtlinie wird jetzt nicht nur geregelt, dass Tantiemen spätestens neun Monate nach Ende eines Geschäftsjahrs ausgezahlt werden müssen. Die europaweit 250 Verwertungsgesellschaften, die Jahr für Jahr rund sechs Milliarden Euro an Musiker wie Schriftsteller ausschütten, werden zudem zur Zusammenarbeit verpflichtet. Statt mit allen Verwertungsgesellschaften einzeln verhandeln zu müssen, „können Online-Musikanbieter künftig europaweite Lizenzen erwerben“, sagt die Grünen-Abgeordnete Helga Trüpel.

Das grenzüberschreitende Musikangebot soll größer werden

Damit verbunden ist die Erwartung, dass es neue Dienste einfacher haben werden oder ganz neue Angebote auf den Markt kommen. „Nun wird die digitale Musikrevolution nicht mehr von überholten Gesetzen aufgehalten“, sagte der britische Konservative Sajjad Karim. Marielle Gallo von den französischen Konservativen, die für das Parlament mit den Regierungen verhandelt hatte, erwartet nun mehr digitale Erfolgsgeschichten: „Das nächste iTunes sollte europäisch sein.“ EU-Kommissar Michel Barnier nannte die Reform einen „Eckpfeiler des digitalen EU-Binnenmarkts“, der nun „kleineren innovativen Anbietern“ offenstehe und „mehr Auswahl an Online-Musik“ bringen werde. Der Brite Karim erwartet dadurch sinkende Preise.

Die Gesetzesnovelle könnte auch dazu führen, dass die Mediatheken von ARD und ZDF im Ausland oder jene der britischen BBC in Deutschland besser zugänglich werden. Deren Inhalte sind oft deshalb gesperrt, weil Musik im Hintergrund nur für bestimmte Länder freigegeben ist.

Die Verwertungsgesellschaften selbst müssen den Autoren künftig nachweisen, wie viel Geld sie wofür eingenommen haben. Sind die Künstler unzufrieden, können zu einer anderen europäischen Gesellschaft wechseln. „Endlich zieht mehr Wettbewerb unter den Verwertungsgesellschaften ein“, so die FDP-Abgeordnete Nadja Hirsch: „Sie können sich nicht länger auf ihrer bequemen Quasimonopolstellung ausruhen, sondern werden um ihre Mitglieder, die Künstler, buhlen müssen.“ Die deutsche Gema begrüßte die Richtlinie dennoch. Ihr Vorstandschef Harald Heker fordert jedoch, bei der nun folgenden Umsetzung in nationales Recht „die Situation der deutschen Verwertungsgesellschaften in einem sich verschärfenden europäischen Wettbewerb im Blick zu behalten“.

Die Bundesregierung will sich schnell daran machen. „Der neue Justizministers will sich des Themas bald annehmen“, sagte ein EU-Diplomat. Dann soll auch die Rechtslage beim sogenannten Streaming geklärt werden. Den Informationen zufolge will auch die EU-Kommission in den kommenden Monaten dazu einen Gesetzesvorschlag unterbreiten.

Wie werden Musikrechte verwaltet?

Verwertungsgesellschaften-
Ein Künstler, also zum Beispiel ein Schriftsteller oder ein Musiker, kann sich entscheiden, ob er die Urheberrechte an seinen Werken individuell wahrnimmt oder sie gemeinsam mit anderen kollektiv wahrnehmen lässt. Weil Letzteres in der Praxis deutlich einfacher zu handhaben ist, haben sie über die Zeit sogenannte Verwertungsgesellschaften gegründet – traditionell im nationalstaatlichen Rahmen. In Deutschland sind die bekanntesten die „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (Gema) und die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) für Autoren.

Einnahmen –
Europaweit gibt es rund 250 Verwertungsgesellschaften, die rund sechs Milliarden Euro für ihre Mitglieder einsammeln. Allerdings entfällt der allergrößte Teil dieser Einnahmen nach Angaben der Brüsseler EU-Kommission auf nur etwa 70 Gesellschaften. Etwa 80 Prozent, also fast fünf Milliarden Euro, gehen dabei an Musiker und Komponisten, der viel kleinere Teil an Autoren und Schriftsteller.