Die Idee ist alt, nun aber kommt Bewegung in die Sache: Europäer und Amerikaner, die schon jetzt die intensivste Handelsbeziehung der Welt unterhalten, wollen Zölle abbauen, Märkte öffnen und ihre Standards angleichen. Das Ziel ist eine transatlantische Freihandelszone.

Brüssel - Die Vorzüge liegen auf der Hand: Ein umfassendes Freihandelsabkommen würde in der Europäischen Union ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent erzeugen. Die Zahlen für die Vereinigten Staaten, die eine gemeinsame Expertengruppe errechnet hat, sind noch besser. Dort läge die jährliche Steigerungsrate des Bruttoinlandsprodukts um 1,1 Prozentpunkte höher. Europas Exporte über den Atlantik würden um mehr als zehn Prozent anziehen – zu den bisher 260,6 Milliarden Euro im Jahr 2011 kämen noch 29,4 Milliarden hinzu.

 

Dieses Potenzial in einer Beziehung, die für sich allein genommen ein Drittel des gesamten Welthandels ausmacht, ist nicht neu entdeckt worden. Schon Anfang der neunziger Jahre gab es Pläne für eine transatlantische Freihandelszone. In der zweiten Amtszeit von US-Präsident George W. Bush hauchte Bundeskanzlerin Angela Merkel der Idee neues Leben ein. Der daraufhin eingesetzte Wirtschaftsrat aber erfüllte die Erwartungen nicht. Erst Finanzkrise und Rezession brachten die beiden größten Handelsmächte der Welt, die ihre jeweiligen bilateralen Bemühungen bisher eher auf die aufstrebenden Staaten wie China oder Indien gerichtet hatten, wieder zusammen: Der EU-USA-Gipfel Ende 2011 setzte eine hochrangig besetzte Arbeitsgruppe ein, die seither das Terrain sondiert.

An öffentlicher Unterstützung mangelt es nicht

Um zusammen mit dem US-Handelsbeauftragten Ron Kirk an den letzten Details des Abschlussberichts zu feilen, reiste EU-Handelskommissar Karel De Gucht in der vergangenen Woche nach Washington. Der Report, der dieser Tage veröffentlicht werden soll, ist dabei mehr als ein Sachstandsbericht. Er soll die wichtigsten Bereiche definieren und die Aufnahme von Verhandlungen empfehlen. In Brüssel herrschen kaum Zweifel daran, dass diese Empfehlung ausgesprochen und dieser auch von den EU-Regierungen entsprochen wird. Handelskommissar De Gucht, der in Washington den Weg dafür ebnete, „hat sich schon vorab Rückendeckung geholt“, wie es in seinem Haus heißt.

An öffentlicher Unterstützung hat es zuletzt ebenfalls nicht gemangelt. Der eben zu Ende gegangene EU-Gipfel hat sich dafür ausgesprochen. „Die Zeit ist reif für einen gemeinsamen transatlantischen Binnenmarkt“, sagte Außenminister Guido Westerwelle vor einer Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Es wäre angesichts des wirtschaftlichen Aufstiegs Asiens und Lateinamerikas „ein überzeugender Beitrag für die Selbstbehauptung Europas und Amerikas in der Globalisierung“.

Wichtiger freilich noch war, dass US-Vizepräsident Joe Biden auf derselben Veranstaltung sagte, ein solch vorteilhaftes Abkommen liege „in Reichweite“. Barack Obamas Stellvertreter hob allerdings auch ab auf die „schwierigen Themen wie Regulierungen und Standards, die uns weiterhin trennen“ und eine Einigung bisher verhindert haben.

Fünf Punkte will man in den angestrebten Verhandlungen forcieren

Eine „vertrauensbildende Maßnahme“, so nennt es jemand aus der EU-Kommission, hat es in einem dieser Fälle gerade gegeben – beim Rindfleisch. In der US-Fleischindustrie wird traditionell Milchsäure verwendet, um Rinderhälften zu säubern. In Europa dagegen sah man bisher in der natürlichen Substanz, die auch im Sauerkraut vorkommt, eine Möglichkeit für Schlachthäuser, unhygienische Arbeitsprozesse zu kaschieren. Kürzlich ließ Brüssel dann seine Bedenken fallen – als Zeichen guten Willens gegenüber Amerikas Fleischexporteuren und der US-Regierung. „Dieser Konflikt, der uns über Jahre blockiert hat, ist jetzt weg“, sagt der Karlsruher CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary. Mit Chlor behandeltes Hähnchenfleisch lässt die EU aber auch weiter nicht über die Grenzen.

Das Zugeständnis ist klein gegenüber den großen Interessen, die die EU in einem Abkommen verwirklicht sehen will. Fünf Punkte will man in den angestrebten Verhandlungen forcieren. Es geht den Europäern erstens um Zollsenkungen. Zwar liegen die Zölle schon jetzt bei durchschnittlich nur zwei bis drei Prozent, doch bei der schieren Masse des transatlantischen Warenverkehrs schafft auch das Erleichterung – zumal etwa Autoteile den Atlantik gleich mehrfach überqueren. Die zweite Forderung betrifft den Dienstleistungssektor, wo die Europäer bisher große Probleme haben, „eine Person mit der Dienstleistung mitzuschicken“. Dieser Markt, der den Europäern im Jahr 2010 schon 130,5 Milliarden Euro einbrachte, wird als besonders lukrativ angesehen. Drittens soll auch ein Abkommen Teil des Deals sein, das die direkten Investitionen des einen beim anderen schützt. Amerikanische und europäische Unternehmen haben jeweils rund eine Billion Euro auf der anderen Seite des Atlantiks investiert. Viertens geht es um das öffentliche Auftragswesen. Während nämlich europäische Vergaben Anbietern von außen schon weitgehend offenstehen, ist dies vor allem auf Ebene der US-Bundesstaaten noch so gut wie gar nicht der Fall. Diesen Markt zu knacken sei daher eine der „offensiven Interessen“ der Europäer, hat Kommissar De Gucht bereits vor längerer Zeit einmal angekündigt.

Gebannt schaut man nun auf den US-Kongress, der zustimmen muss

Den größten Gewinn verspricht sich der Belgier dagegen vom fünften Teil seiner Agenda, dem Abbau sogenannter nicht tarifärer Handelshemmnisse. Darunter fallen vor allem unterschiedliche Normen und Standards, die beispielsweise dazu führen, dass ein in Deutschland gebautes Auto in den USA aufs Neue zertifiziert werden muss. Diese indirekten Bürokratiekosten durch verschiedene Zulassungskriterien beziffert die EU-Kommission mit rund zehn Prozent des Warenwerts. Ein Ziel in diesem Bereich ist, für Zukunftstechnologien etwa bei der Elektromobilität oder der Nanotechnologie gleich von Anfang an gemeinsame Standards festzulegen. Das soll die gemeinsame Vorrangstellung im Welthandel gegenüber den aufholenden Handelsblöcken sichern.

Gebannt schaut man nun auf den US-Kongress, der Verhandlungen zustimmen muss. Von Brüssel aus betrachtet erscheinen dort nicht mehr wie einst die Demokraten, sondern die Republikaner als mögliche Bremser.

Freihandel mit den USA erregt aber auch in Europa Widerspruch. Die Öffnung des hiesigen Agrarmarkts für US-Produkte ist speziell in Frankreich nicht sonderlich beliebt. Ganz generell befürchten Verbraucherschutzorganisationen, dass genveränderte Nahrungsmittel nach Europa kommen.

Solche grundsätzlichen Bedenken sollen aber schon im Vorfeld ausgeräumt werden, um die Verhandlungen „mit einer Tankfüllung“ zum Abschluss zu bringen, wie US-Vizepräsident Biden das nannte. „Wenn wir so etwas Großes anfangen“, so der Europaabgeordnete Caspary, „darf es unterwegs nicht mehr scheitern.“