Im Februar hat der EU-Kommissar Joaquín Almunia vorläufig Frieden mit dem Internetriesen Google geschlossen. Jetzt könnte das Verfahren neu aufgerollt werden – weil Google bei den Suchergebnissen weiterhin manipuliert.

Brüssel - Es war ein spektakulärer Meinungsumschwung Anfang Februar, als EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia seine Einigung mit dem Internetgiganten Google verkündete, gegen den wegen des Verdachts auf Missbrauch seiner Marktmacht seit 2010 ermittelt wird. Wenige Monate vorher hatte Almunia im Europaparlament noch „die bevorzugte Behandlung eigener Dienste in Googles Suchergebnissen“ angeprangert. Dies leite Netzverkehr „in unzulässiger Weise“ weg von der Konkurrenz.

 

Zweimal hatte er zuvor Kompromissvorschläge des Konzerns abgelehnt. Doch nach einem Treffen auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos mit Google-Mann Eric Schmidt, der als Executive Chairman das Unternehmen repräsentiert, war plötzlich alles anders. Der machte weitere kleine Zugeständnisse, und Almunia schlug ein; ein echtes Kartellverfahren dagegen könne „Jahre dauern“. Er wolle Europa Verbrauchern lieber sofort etwas bieten.

Die Antwortfrist ist abgelaufen

Merkwürdig war der Vorgang schon deshalb, weil inzwischen bekannt ist, wie Almunia auch seine Kommissarskollegen überrumpelt hat. Ende Januar wollte er, wie Insider berichten, unangekündigt über die gefundene Kompromisslösung abstimmen lassen – in einem Verfahren, bei dem es um nicht weniger als die zukünftige Pluralität im Netz und für Google um die Kleinigkeit von sechs Milliarden Euro Strafe ging, sofern die Monopolstellung bei der Internetsuche (90 Prozent Marktanteil) offiziell missbraucht worden sein sollte. In der Sitzung widersprachen dann aber der Deutsche Günther Oettinger, die Luxemburgerin Viviane Reding und der Franzose Michel Barnier dem Vorgehen. Sie erreichten, dass der Spanier erst eine Woche später an die Öffentlichkeit gehen konnte und die 26 Beschwerdeführer vor der endgültigen Entscheidung schriftlich um ihre Meinung zur gefundenen Einigung bitten musste.

Dieser Tage ist die Antwortfrist für die Google-Gegner abgelaufen, die vom britischen Einkaufsportal Foundem angeführt werden, zu denen aber auch der europäische Verbraucherverband, die Verbände der deutschen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger und die Microsoft-Tochter Ciao für Preisvergleiche zählen. Alle sehen sie ihr Angebot von Google diskriminiert. Almunias Sprecher kündigte an, dass „wir Anfang September über die nächsten Schritte des Verfahrens informieren werden“.

Das „googelste“ Ergebnis zählt

Inzwischen ist klar, dass Almunias Position schwer zu halten sein wird. „Im Laufe der Zeit ist klar geworden, dass das, was er als Erfolg verkauft hat, überhaupt kein Erfolg ist“, sagt beispielsweise der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab aus Rottweil, der den Fall genau verfolgt.

Worum genau geht es? Kern der Vorwürfe ist, dass die Suchmaschine die Angebote der eigenen Serviceangebote wie Google Flights oder Google Maps immer zuerst präsentiert, wo doch Studien belegen, dass Nutzer am häufigsten auf den ersten ihnen angebotenen Link klicken. „Nutzer bekommen den Eindruck, ihre Suchanfrage werde neutral beantwortet“, ärgert sich die Monique Goyens, Generalsekretärin des Dachverbands der europäischen Verbraucherzentralen, „bei Preisvergleichen verschärft sich dieses Problem noch.“ Europas Medienhäuser sehen das ähnlich: „Google zeigt oben nicht das relevanteste Ergebnis an, sondern das ,googelste‘“, sagt ein Sprecher des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger. Angesichts der Tatsache, dass die „normalen“ Suchergebnisse oft weiter unten auf der Seite präsentiert werden, stelle sich die Frage, „ob europäische Unternehmen überhaupt noch eine Chance gegen den Giganten Google haben“.

Das Urteil über die Zugeständnisse ist vernichtend

Es gibt viele Beispiele dafür, dass Mitbewerber bislang nicht im besonders attraktiven Bereich des Bildschirms auftauchen. Wer etwa einen Gasgrill sucht, sieht oben nur jene von Lieferanten oder Online-Händlern, die Google Geld dafür zahlen, Teil von deren Serviceangebot zu sein. Andere Einkaufsportale tauchen dort nicht auf. Ähnlich verhält es sich bei lokalen Suchen nach Restaurants oder Geschäften. Wer zahlt, wird auf Google Maps hervorgehoben, andere erscheinen nur als kleine rote Punkte, die auf Smartphones, die für solche Suchen am häufigsten benutzt werden, kaum zu sehen sind.

Nur die EU-Kommission kann Google noch stoppen

Für die mit Almunias Leuten im stillen Kämmerlein ausgehandelten Zugeständnisse haben die Beschwerdeführer Begriffe wie „absurd“, „inakzeptabel“ oder „Katastrophe“ parat. Google hat sich dabei zu dreierlei bereit erklärt: Erstens würden Ergebnisse am Seitenkopf, die kein Ergebnis des Suchalgorithmus darstellen, als gesponserter Bereich ausgewiesen. Zweitens müssten die Treffer ausdrücklich etwa unter der Rubrik „Google Shopping“ zusammengefasst sein. Und drittens müssten daneben unter „Alternativen“ Angebote anderer Anbieter aufscheinen – drei Stück, um genau zu sein. Den Klägern aber, die ein Diskriminierungsverbot fordern, reicht das nicht.

Die Verleger wollen Almunia ausbremsen

Echauffieren können sich die Mitbewerber vor allem darüber, dass sie für die Alternativen auf der rechten Seite in einer Auktion auch noch zahlen sollen. Nicht nur, dass nach einer Einigung im Guten die Selbstbevorzugung auf der linken Seite für fünf Jahre quasi legalisiert wäre. Damit, so der Tenor, müssten sich Googles Konkurrenten noch gegenseitig überbieten, um auf der Website des Marktführers Erwähnung zu finden. „Das verschafft Google sogar noch zusätzliche Gewinnmöglichkeiten“, ärgert sich Valdo Lehari jr., der die Zeitung „Reutlinger General-Anzeiger“ verlegt.

Als Vizepräsident des Europäischen Dachverbands der Zeitungshäuser, der für das Digitale zuständig ist, ist Lehari häufig in Brüssel. Er hat auch Energiekommissar Oettinger, den er natürlich aus dessen Ministerpräsidentenzeiten im Südwesten bestens kennt, für das Thema sensibilisiert. Auch hinsichtlich der Forderung, doch bitte nichts zu überstürzen, um damit indirekt den scheidenden Almunia auszubooten. „Der Fall sollte“, so Lehari, „an die neue Kommission Juncker überwiesen werden.“

Die Mehrheit stellt sich gegen den Wettbewerbskommissar

Die Botschaft ist möglicherweise angekommen. Ein Indiz dafür ist, dass Almunias ursprünglicher Vorsatz, schon im Juni das Kollegium entscheiden zu lassen, geplatzt ist. Dem Vernehmen nach gab es im Frühsommer unter den 28 EU-Kommissaren eine Mehrheit gegen Almunia. Nun, da Viviane Reding und drei weitere Kollegen nach der Europawahl ins EU-Parlament gewechselt sind, sind die neuen Mehrheitsverhältnisse offenbar noch unklar. Beide Lager versuchen, die Neuen zu überzeugen.

Acht Sitzungen stehen nach der Sommerpause noch an, bevor am 1. November die neue Mannschaft übernehmen soll. In der internen Terminvorschau für die ersten sechs Treffen taucht der Fall Google nicht auf – gut möglich also, dass Joaquín Almunia Anfang September erklärt, dass es nicht mehr er sein wird, der ihn abschließt. Sollte er doch auf einer Abstimmung bestehen, fühlen sich die Gegner dem Vernehmen nach stark genug, um ihm eine Niederlage beizufügen. Ob sich der als ein wenig stolz und eitel bekannte Spanier so von der Brüsseler Bühne verabschieden will?

Alle Hoffnungen ruhen auf der EU-Kommission

Die Google-Gegner wittern daher Morgenluft. Zugleich geht die Sorge um, Almunia könne mit weiteren kleinen Zugeständnis oder einer offiziellen Verfahrenseröffnung gegen das mobile Google-Betriebssystem Android doch noch die nötige Zahl von Kommissaren auf seine Seite ziehen. Zudem blieb für die eigenen Widersprüche kaum Zeit. Nicht nur der Berliner Anwalt Thomas Höppner, der die deutschen Medienhäuser in dem Verfahren vertritt, vermutet Absicht dahinter, dass er vier Monate auf die Unterlagen der Kommission mit deren vorläufiger Einschätzung und den genauen Zusagen von Google warten musste, um dann nur vier Wochen Zeit für die Antwort zu bekommen: „Ich bin enttäuscht von der EU-Kommission, dass sie mit keinem Wort auf unsere ausführlich begründeten und durch Studien untermauerten Bedenken eingegangen ist und gar keine eigenen Beweise dafür vorlegt, dass die getroffene Einigung mit Google etwas an der Lage verbessert. Sie liefert nur unbegründete Vermutungen.“

Dabei geht es um viel. „Das Attribut ,historisch‘ ist für das Verfahren durchaus angemessen“, sagt der Sprecher der Zeitschriftenverleger, die wie ihre Zeitungskollegen in den vergangenen Jahren Werbeerlöse ins Internet haben abwandern sehen: „Die amerikanische Wettbewerbsbehörde erweckt nicht den Eindruck, dass sie gegen Google vorzugehen gedenkt. Die EU-Kommission ist die einzige Wettbewerbsbehörde der Welt, die Google noch Einhalt gebieten kann.“ Die Federal Trade Commission der USA hatte Google Anfang 2013 vom Vorwurf freigesprochen, Suchergebnisse verzerrt auszuweisen.

Google selbst sagt nicht viel

Die Alternative wären Gesetze. In Brüssel wird schon länger die Idee diskutiert, Suchmaschinen von Serviceleistungen im Web abzuspalten – so wie beim Strom Produktion und Netze getrennt wurden. Eine Zerschlagung kann sich auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel als Ultima Ratio vorstellen, wie er im Frühjahr in einem Gastbeitrag in der FAZ schrieb: „Wir fassen deshalb zuerst eine kartellrechtsähnliche Regulierung von Internetplattformen ins Auge. Dreh- und Angelpunkt dabei ist das Gebot der Nichtdiskriminierung von alternativen Anbietern.“

Und was sagt Google selbst zu all dem? Nicht viel. Auf Gabriels Vorstoß reagierte man noch mit Unverständnis: „Wir sind überrascht von der Ansicht des Wirtschaftsministers, Unternehmen wie Google würden Nutzern, der Wirtschaft und der Gesellschaft schaden“, so Deutschlandchef Philipp Justus. Zum Brüsseler Wettbewerbsfall aber hält man sich bedeckt. In den Gesprächen mit der EU-Kommission wurde argumentiert, gerade den Medien bringe Google doch zusätzlichen „Traffic“, Klickzahlen also. Google hat es aber auch nicht nötig, sich laut zu wehren. Das erledigen andere in der Netzgemeinde. Es seien „die digitalen Verlierer“, die über Google klagten, schrieb der Berliner Wirtschaftspublizist Gunnar Sohn kürzlich: „Doch für  hausgemachte Geschäftsprobleme ist nicht das Kartellrecht zuständig.“

Direkt nach den Sommerferien wird die Debatte neu befeuert werden – durch die nächste Ansage von Joaquín Almunia.