Der Rest der EU schaut einigermaßen verwundert darauf, wie energiegeladen in Deutschland um Fahrverbote gerungen wird. Dabei verstoßen auch andere Länder gegen die Grenzwerte, die EU-weit gelten.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - In Brüsseler EU-Kreisen hört man zwar gelegentlich das deutsche Wort „Diesel-Fahrverbot“ fallen. Doch der Rest der EU schaut einigermaßen verwundert darauf, wie energiegeladen im größten Mitgliedsland der EU um Grenzwerte bei der Luftreinhaltung und Fahrverbote für Autos in den Ballungsgebieten gerungen wird.

 

Der baden-württembergische Europaabgeordnete Norbert Lins (CDU) hat dies etwa erlebt, als er im Umweltausschuss des Parlaments eine Studie durchgesetzt hat, die die Kriterien für die Auswahl der Messstationen vergleichen soll. Es habe lange von keinem Abgeordnetenkollegen Interesse an der Sache gegeben. Erst ganz zum Schluss habe ein Abgeordneter der 5-Sterne-Bewegung aus Italien durchgesetzt, dass im Zuge der Studie auch Messstationen in Italien untersucht werden.

Sechs Länder mit dicker Luft

Lins vermutet, was der Grund dafür ist: „Die Diskussion um die Grenzwerte ist in Deutschland ausgeprägter als in anderen europäischen Ländern. Das liegt vor allem an den unverhältnismäßigen Konsequenzen.“ Kein Land habe da so einen starken Druck, nirgendwo sonst seien die Fahrverbote so weitreichend wie in Deutschland. „Nirgendwo sonst gibt es Fahrverbote für Euro-4-Diesel, nirgendwo sonst drohen bald Fahrverbote für Euro-5-Diesel.“

Dabei ist die Luft in mindestens fünf anderen Mitgliedstaaten der EU seit Jahren so schlecht, dass die EU-Kommission im Mai letzten Jahres wegen jahrelangen Verletzens der Luftreinhaltungsrichtlinie nicht nur gegen Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingeleitet hat: Betroffen sind ebenfalls Frankreich, Ungarn, Italien, Rumänien und das Vereinigte Königreich.

Millionen Dieselfahrer betroffen

Die schärfsten Fahrverbote EU-weit gibt es tatsächlich in Stuttgart: Dort ist das gesamte Stadtgebiet inklusive der 23 Stadtbezirke seit Anfang des Jahres für Diesel-Pkw und Lkw bis Euro 4 gesperrt. Davon sind theoretisch 35 Prozent des Dieselbestandes bundesweit betroffen, schätzungsweise 5,23 Millionen Fahrzeuge. Dagegen gibt es laut Lins in keinem EU-Land ein Verbot für Euro-4-Diesel.

Im Großraum Paris mit einer Bevölkerung von 10 Millionen seien lediglich Diesel bis Euro 2 verboten. In Italien gebe es Fahrverbote für Diesel bis Euro 3, in Budapest sei nur bei Smog-Alarm die Einfahrt mit Diesel bis Euro 3 verboten. In Großbritanniens Hauptstadt London müssen emissionsintensive Autos in der Innenstadt Tages-Gebühren zahlen, die das Fahren auf Dauer zu einer teuren Angelegenheit machen.

Anders als in Deutschland sind aber in den meisten EU-Mitgliedstaaten relativ wenige Diesel-Fahrzeughalter von Fahrverboten betroffen. Daher rechnet sich Lins auch wenige Chancen aus, auf EU-Ebene eine Revision der Grenzwerte durchzusetzen. Dafür bedürfte es ohnehin eines Vorstoßes der EU-Kommission, im Rat und im Parlament müsste dann jeweils eine Mehrheit zustimmen.

Lins sieht größere Erfolgsaussichten, wenn nun die Auswahl der Messstationen in fünf Mitgliedstaaten verglichen wird. Ergebnisse sollen Mitte März vorliegen. Das Umweltbundesamt koordiniere in Zusammenarbeit mit den Landesanstalten für Umwelt die Aufstellung der Messstationen. Wenn sich herausstellen sollte, dass in Deutschland die Kriterien falsch angewendet werden, sei dies auf nationaler Ebene korrigierbar.

Warum gibt es nur in Deutschland so gravierende Fahrverbote?

Bleibt die Frage, warum es in Deutschland so gravierende Fahrverbote gibt und nirgendwo sonst in den EU-Staaten, die ebenfalls unter schlechter Luft leiden? Die weitgehenden Fahrverbote in Stuttgart und anderen deutschen Städten wurden nicht freiwillig von den Behörden erlassen. Vielmehr wurden sie von der Umwelthilfe (DUH) in etlichen Verfahren vor Gericht durchgesetzt. Die Umwelthilfe bedient sich dabei des Privilegs, dass sie als Verbraucher- und Umweltschutzverband Klagerechte hat. Grundsätzlich gibt es Verbandsklagerechte auch in allen anderen EU-Mitgliedstaaten. Dies sieht eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2009 vor. Jeder einzelne Mitgliedstaat kann aber entscheiden, nach welchen Kriterien er das Verbandsklagerecht vergibt.

Denkbar ist, dass andere Mitgliedsstaaten das Klagerecht einfach nicht so schnell an Verbände vergeben wie Deutschland. Ein anderer Grund könnte sein, dass es in anderen Mitgliedstaaten schlicht keine ähnlich schlagkräftige Organisation wie die DUH gibt: So musste sich die DUH das Verbandsklagerecht auch erst erkämpfen – und mit Blick auf die Fahrverbote einen kostspieligen Gang durch die deutschen Gerichte antreten. Das kostet Zeit, Geld und Personal.

Es gibt allerdings in der EU eine Organisation, die bereits vor der DUH die Behörden vor Gericht dazu gezwungen hat, Fahrverbote zu erlassen und Luftreinhaltungspläne zu verabschieden. Dabei handelt es sich um Client Earth (deutsch: Kunde Erde), die der Jurist James Thornton in London gegründet hat. Es dauerte sechs Jahre, bis er vor Gericht in Großbritannien Erfolg hatte. Wie zu hören ist, kooperiert die DUH mit Client Earth. Vermutlich hat die DUH das Erfolgsmodell von Client Earth auf Deutschland übertragen. Client Earth operiert nicht nur von London aus, sondern ist auch in Belgien im Einsatz, um auf juristischem Weg Fahrverbote durchzusetzen. Der juristische Druck könnte künftig also auch in anderen EU-Staaten steigen.

Unterdessen drohen in den nächsten Monaten Autofahrern in Deutschland neue Dieselfahrverbote: In Berlin könnte es im Juni auf elf Abschnitten Fahrverbote für Euro 5 geben, in Essen könnte es ab September Fahrverbote für Euro 5 in der grünen Umweltzone geben, die auch Teile der A 40 umfasst. Auch in Köln und Mainz sind Euro-5-Fahrverbote ab Herbst denkbar. Bundesweit gibt es derzeit rund 5,51 Millionen Diesel mit Euro 5.