EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will bislang nicht benötigte Mittel aus dem Euro-Rettungsfonds ESM zur Ankurbelung der Konjunktur in Europa einsetzen. Die deutsche Regierung lehnt das kategorisch ab.

Berlin - Der dauerhafte Eurorettungsschirm ESM regt einmal wieder die Fantasien der EU und einiger Mitgliedsstaaten an. Dass der Fonds, der Euroländer bei Finanzkrisen stützen soll, bis zu 500 Milliarden Euro an Krediten ausgeben kann, bringt auch den neuen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker auf neue Ideen. Denn von den Kreditlinien sind zurzeit knapp 50 Milliarden Euro ausgeschöpft, ein kleiner Teil davon ging an Zypern, der Rest wird zur Stabilisierung spanischer Banken eingesetzt. Da nach Einschätzung von EU-Experten in absehbarer Zeit keine neuen Hilfsprogramme aufgelegt werden müssen, soll nach Brüsseler Vorstellungen ein Teil der ESM-Kreditlinien für ein europäisches Investitionsprogramm eingesetzt werden. Juncker hatte bereits im Sommer ein entsprechendes Programm im Volumen von 300 Milliarden Euro angekündigt. Nach Ansicht der EU-Kommission soll der Rettungsfonds dabei helfen, dass dieser Betrag auch zusammenkommt.

 

Doch dabei stößt Juncker auf energischen Widerstand der Bundesregierung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lehnt die Gedankenspiele der künftigen EU-Kommission kategorisch ab. Der Krisenfonds ESM sei nur für Notfälle gedacht, sagte der Regierungssprecher Steffen Seibert. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte vor zwei Wochen auf dem G-20-Finanzministertreffen in Australien den Brüsseler Vorstoß zurückgewiesen. „Der Rettungsfonds ESM ist dazu da, dass er nicht gebraucht wird und Vertrauen schafft“, sagte Schäuble damals. Oberstes Ziel sei es, die Glaubwürdigkeit der Eurorettungszone wiederherzustellen. Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Norbert Barthle, bezeichnete die Kommissionspläne als „völlig illusorisch“. Um Mittel des Krisenfonds für andere Zwecke zu verwenden, müsste der ESM-Vertrag geändert werden. Diese Änderung müsste von allen Euroländern mitgetragen werden. Dafür werde es im Bundestag keine Mehrheit geben, kündigte Barthle an. Die Absage aus Berlin hat Brüssel bisher aber nicht beeindruckt.

Milliarden sollen die Konjunktur stützen

Dies führt vor allem in den südeuropäischen Ländern der Währungsunion zu hohen Erwartungen. Ein Bundestagsabgeordneter, der jüngst an einer Finanzkonferenz in Italien teilnahm, berichtet davon, dass südeuropäische Politiker die Vorstellung hätten, es gebe im ESM einen ungeheuren Geldschatz, der für neue Investitionsprogramme ausgegeben werden könne. Auf diese Weise soll der Konjunkturflaute begegnet werden.

Damit der ESM jederzeit eingesetzt werden kann, wurde er von den Euroländern mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro ausgestattet: davon zahlten die Länder 80 Milliarden Euro bar ein, der Rest sind Kreditgarantien. Die Barreserven des ESM sind allerdings in jedem Fall tabu, da der Fonds die Einlagen für seine erstklassige Bonität benötigt. Allein Deutschland leistete eine Bareinlage von 22 Milliarden Euro; hinzu kommen deutsche Kreditgarantien von 168 Milliarden Euro.

Nach der Brüsseler Sicht könnte ein Teil der ESM-Kreditvolumens für eine befristete Zeit für Investitionsprogramme abgezweigt werden. Junckers Plan zufolge könnte mit den ESM-Mitteln die Europäische Investitionsbank (EIB) in die Lage versetzt werden, zusätzliche Investitionen beispielsweise in den Straßenbau zu finanzieren. Davon hält Schäuble schon deshalb wenig, weil er der Meinung ist, in der Kürze der Zeit ließen sich kaum wirtschaftlich sinnvolle Vorhaben finden.

SPD zeigt sich nicht abgeneigt

Nicht abgeneigt zeigen sich die deutschen Sozialdemokraten. Die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi erklärte zwar, der ESM solle nicht für Investitionsprogramme genutzt werden. Offen dagegen zeigte sich der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil. Er warnt davor, sich in dieser Frage von vornherein festzulegen. In der Finanzkrise 2008/09 hätten sich viele anfangs auch gegen Konjunkturprogramme ausgesprochen. Heute zeige sich, dass diese Maßnahmen sinnvoll gewesen seien.

Heil befürchtet zwar keine Rezession wie vor sechs Jahren. Die Wirtschaftslage werde aber schwieriger, sagte er. Grundproblem sei, dass deutsche Unternehmen zu wenig investierten. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende spricht sich dafür aus, die Abschreibungsbedingungen für Ausrüstungsinvestitionen (Afa) zu verbessen. Nach Heils Vorstellungen sollen Unternehmen die Möglichkeit erhalten, Investitionen schneller steuermindernd abschreiben zu können. „Ich glaube, dass wir das brauchen“, sagte Heil. Mit diesem Instrument habe die Politik nach der Finanzkrise gute Erfahrungen gemacht.