Radikale Reformen sollen das Vertrauen stärken: Außenminister Guido Westerwelle plädiert gemeinsam mit neun Amtskollegen der EU unter anderem für einen europäischen Finanzminister und eine gemeinsame Armee.

Berlin - Außenminister Guido Westerwelle (FDP) strebt gemeinsam mit neun weiteren Außenministern der Europäischen Union tiefgreifende Veränderungen des Regelwerks der EU an. Die sogenannte „Zukunftsgruppe“, eine von Westerwelle im Frühjahr ins Leben gerufene informelle Ministerrunde, hat in einem Zwischenbericht erste Ideen für radikale Reformen vorgelegt. Westerwelle ist überzeugt davon, dass das Euro-Notfallmanagement um eine Diskussion über den Wert Europas ergänzt werden muss, verbunden mit der Frage, mit welchen Strukturen man die Akzeptanz der Bevölkerung für die europäische Idee sichern kann. „Ohne langfristige Perspektive für Europa kommt das Vertrauen nicht zurück“, so Westerwelle: „Den Kräften der Renationalisierung muss eine proeuropäische Diskussion entgegengestellt werden.“

 

Neben Deutschland gehören der Zukunftsgruppe Belgien, Dänemark, Italien, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal und Spanien an. Die Außenminister schlagen unter anderem vor, die EU-Kommission zu verkleinern, europäische Spitzenkandidaten zur Wahl zu stellen und den Präsidenten der Kommission direkt wählen zu lassen. Die Überlegungen, die dem Vernehmen nach zum Teil umstritten waren, laufen auf eine Art europäische Regierung hinaus, mit einer effektiveren Kommission, einem deutlich gestärkten Parlament und einer zweiten Kammer, in der – ähnlich wie im Bundesrat die Bundesländer – die Mitgliedstaaten an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden. In der Haushalts- und Wirtschaftspolitik regen die Außenminister an, die Durchgriffsrechte der europäischen Institutionen auf nationale Haushalte zu stärken. Auch ein europäischer Finanzminister wird vorgeschlagen. Den dauerhaften Rettungsfonds ESM wollen die Außenminister zu einem Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln. Auch in der Außen- und Sicherheitspolitik plädieren die Außenminister für eine engere Zusammenarbeit. Angestrebt werden soll eine gemeinsame Armee und ein gemeinsamer Sitz in internationalen Organisationen wie dem UN-Sicherheitsrat.

Außenminister will seine Mitwirkungsmöglichkeit stärken

Viele der Vorschläge könnten im bestehenden Vertragsrahmen umgesetzt werden, betonen die Außenminister. Eine Revision des Vertrages von Lissabon dürfe aber nicht ausgeschlossen werden. Die Außenminister versichern, dass es sich bei dem Zwischenbericht nicht um einen offiziellen Beschluss, sondern um „einen persönlichen Beitrag“ handle. Im Sommer ist ein weiteres Treffen in Spanien geplant, im Herbst soll ein Abschlussbericht vorliegen, der dann mit den übrigen EU-Ländern diskutiert werde, heißt es im Auswärtigen Amt.

Westerwelle versucht – gemeinsam mit seinen Kollegen – durch solche Initiativen in der Europapolitik ein wenig aus dem Schatten der Staatschefs und Finanzminister zu treten. Mit dem Vertrag von Lissabon wurden die Außenminister der EU-Staaten deutlich in ihren Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Europapolitik beschnitten, die EU wurde damit größtenteils zur Angelegenheit der Regierungschefs.