Die Anhörung des Verfassungsgerichts zum Kauf von Staatsanleihen belegt: Jeder meint es gut. Die Kläger wollen sogar nichts weniger als die Welt retten. Doch reicht das? Eine Betrachtung von Stefan Geiger.

Karlsruhe - Im Verhandlungssaal des Verfassungsgerichts, wo über die Euro-Rettung verhandelt wird, treffen sie aufeinander. Sie wollen alle die Welt retten. Und sie sind aufeinander angewiesen, ein bisschen jedenfalls. Aber sie werden einander immer fremder, verstehen sich immer weniger.

 

Da sind zunächst, vom Minister Wolfgang Schäuble an abwärts, die Politiker da, die Bundestagsabgeordneten. Der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber steht am Pranger und ist in einem der Verfahren auch formal „angeklagt“. Man hat keinen besseren Sündenbock gefunden. Die Bundesregierung ist nur beigetreten. Dabei geht es in Karlsruhe fast ausschließlich um die Taten und Untaten der Europäischen Zentralbank, die angekündigt hat, den Euro retten zu wollen, um jeden Preis, durch den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen. Die Zentralbank ist aber eine europäische Institution, die man nicht vor das Verfassungsgericht zerren kann.

Das Ausmaß der Gefahr wird plötzlich offiziell benannt

Die Politiker und ihre Anwälte versuchen den Richtern zu erklären, dass sie diesmal alles getan hätten, was ihre Pflicht sei; dass sie sich gekümmert hätten, dass sie die Europäische Zentralbank genau beobachteten. Aber dass im Bundestag politisch gehandelt und entschieden werde. Sie erklären das durchaus glaubwürdig. Und sie fahren fort, dass der Bundestag nicht die oberste deutsche Staatsanwaltschaft sei, die nichts anderes zu tun habe, als jede denkbare Rechtswidrigkeit im Handeln einer europäischen Behörde zu monieren.

Es sind Männer, die um die Mühen der politischen Ebene wissen, die in Deutschland und in Europa um Kompromisse ringen und um politische Mehrheiten kämpfen müssen. Männer, die erfahren haben, dass die Politik nicht im Plenarsaal gemacht wird. Und die sich immer weniger verstanden fühlen. Hier im Saal und draußen. Das eint sie, bei allem Streit. In wenigen Wochen werden sie am Straßenrand im Wahlkampf Kugelschreiber und Luftballons verteilen, als ob sie nicht mehr könnten und nichts besseres zu tun hätten.

Die Welt retten

Sie haben versucht, den Euro zu retten, mit immer neuen Paketen und Programmen. Das mit dem Kürzel ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) war nur das teuerste und riskanteste. Und sie sind doch gescheitert. Vor einem Jahr stand das Auseinanderbrechen der Eurozone, die wirtschaftliche Apokalypse im Raum. Die meisten Menschen in den Einkaufszentren bemerkten gar nicht, wie nahe die Explosion war. In Karlsruhe wird das Ausmaß der Gefahr plötzlich offiziell benannt.

Jörg Asmussen tut das, einer der Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB). Er ist offiziell nur als „sachverständige Auskunftsperson“ geladen. In seiner präzisen, emotionsfreien Sprache erinnert er an die damals unmittelbar drohende Gefahr des „unfreiwilligen Auseinanderbrechen der Währungsunion“. Allein die Zentralbank als noch handlungsfähiger Akteur habe es verhindert. Er und die Seinen.

Bohrende Fragen an EZB-Direktoriumsmitglied Asmussen

Asmussen, dieser asketische, aber eben doch perfekt durchgestylte Mann mit dem kurzgeraspelten Haar ist so anders als all die Politiker. Obwohl er deren Zentren der politischen Macht von innen kennt. Dort ist er groß geworden. Jetzt aber lebt er in einer anderen Welt. Jetzt muss er keine Kompromisse mehr machen und keine Mehrheiten mehr suchen. Er betont immer wieder die Unabhängigkeit der Zentralbank, ihre Eigenverantwortung. Er berichtet, wie sie beraten haben, intensiv und sorgfältig, versteht sich. Und dann entschieden haben. Sie kennen die Märkte. Sie haben mathematische Modelle, die die Verfassungsrichter auch auf Nachfragen nicht so genau verstehen. Sie haben gehandelt wie einst gute Herrscher gehandelt haben, die wussten, was ihrem Volk frommt. Und sie hatten Erfolg, anders als die Politiker. Die Märkte, die manchmal überschießend reagieren, glaubten an ihr Versprechen, man rette den Euro, egal was es koste. Die Zinsen für die überschuldeten Länder gingen zurück, die Lage beruhigte sich. Der Euro zerbrach nicht.

Viele Wissenschaftler kritisieren die EZB dennoch, auch in Karlsruhe: Sie mache langfristig alles nur noch schlimmer. Für die Kritiker, beispielsweise für Hans-Werner Sinn, der wieder sein Feuerwerk abspielt, hat Asmussen nur diskreten Spott übrig: für die „Freiheit der Professoren über Staatsinsolvenzen nachzudenken.“ Der EZB-Mann hat diese Freiheit nicht.

Der Bank wird nichts gedankt. Auch die Verfassungsrichter stellen statt dessen Asmussen eine Stunde lang bohrende und böse Fragen. Sie sind die Dritten im Bunde hier im Saal. Sie schauen nicht auf den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auf das Recht, auf die Grundregeln der Verfassung. Das Demokratieprinzip beinhalte auch das Recht von Minderheiten, wenn sich die Mehrheit zusammentue, sagt Gerichtspräsident Voßkuhle. Politiker stünden unter dem Druck der Wähler, wenn sie Fehler machten. „Diese Probleme haben sie bei der EZB nicht.“ Die unterliege keiner parlamentarischen Kontrolle. „Das ist für alle fast perfekt, bis auf die, die die Zeche zahlen müssen“. Das sei die Grundfrage, „die uns im Senat bewegt.“ Dass die EZB ihre Kompetenzen überschritten hat, dass sie Staatsfinanzierung betreibt, scheint für einige Richter bereits festzustehen.

Die Kläger wollen die Welt retten

Dabei könnten die Verfassungsrichter selbst ihre Kompetenzen überschreiten, weil sie gar nicht zuständig sind, sondern der Europäische Gerichtshof. Das wird in Karlsruhe nur kurz thematisiert, mit der gebotenen Ehrfurcht gegenüber denen, die urteilen. Dabei wäre die Alternative doch so praktisch, weil die Politiker vom Europäischen Gericht nichts zu fürchten haben, Europas Zentralbank schon gar nicht.

Und da sind dann noch ganz am Rande die Kläger, ein buntes Trüppchen. Von der Grundüberzeugung sind manche ziemlich konservativ, andere ziemlich links. Es sind gestandene Mannsbilder darunter wie Peter Gauweiler, einige seltsame Professoren und viele gewöhnliche Bürger. Was sie eint: Auch sie wollen mit ihren Beschwerden die Welt retten, geben viel Geld, Zeit und Gehirnschmalz dafür hin. Mitglieder der Bürgergesellschaft eben. Auch sie fremdeln.

Die vielen anderen, die an den Stammtischen, auch an denen im Internet, nur schimpfen und motzen, sind nicht da. Und natürlich auch nicht die eigentlichen Schurken, die Zocker, die all das angerichtet und so ihre Vermögen gemehrt haben. Die interessieren sich für all das nicht.