Das hört sich nach Teilkasko an. Was aber ist mit den Zinsen für die europäischen Bonds? Eine Regierung wird doch lieber die Schulden bedienen, für die sie allein verantwortlich ist, wo doch die anderen gemeinsam abgesichert wären.

 

Unser Vorschlag ist da eindeutig: Blue Bonds müssten vorrangig bedient werden, bevor auch nur ein Euro an Gläubiger der Red Bonds geht.

Aber bevor diese dann nicht bezahlt werden, muss dann doch wieder mit Steuermilliarden gerettet werden, oder?

Damit die Red Bonds wirklich in rein nationaler Verantwortung bleiben, müssen sie aus den Banken herausgedrängt werden. Sonst würden bei einer Pleite sofort wieder Ansteckungseffekte im Finanzsektor drohen, und bald gäbe es wieder ein europäisches Rettungspaket.

Das müssen Sie genauer erklären.

Landläufig werden sie vom Tisch gewischt mit dem Argument, jeder müsse selbst für seine Schulden verantwortlich bleiben.

Das Prinzip der Eigenverantwortung ist und bleibt grundsätzlich richtig. Aber es muss auch glaubwürdig sein. Im Moment ist das nicht so. Im Mai 2010 hat man Griechenland ja nicht aus Altruismus gerettet, sondern die Sorge war ganz klar: wenn wir die griechischen Staatsanleihen nicht stützen, dann droht uns eine neue Bankenkrise, vielleicht schlimmer als nach der Lehman-Pleite. Denn die Banken halten nun einmal sehr viele Staatsanleihen aus Krisenländern, auch die deutschen.

Was beinhaltet Ihre Eurobonds-Idee genau?

Zusammen mit Jacques Delpla schlage ich eine gemeinsame europäische Garantie für den Schuldensockel jedes Eurostaats vor. Konkret reden wir über Schulden bis zur Maastricht-Schuldengrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind unsere speziellen Eurobonds, wir nennen sie Blue Bonds. Die Zinsen darauf wären sehr niedrig. Damit würden die Krisenländer entlastet. Schulden jenseits dieser Grenze müssen in rein nationaler Verantwortung als Red Bonds emittiert werden. Mit diesen Red Bonds könnten wir die No-Bail-out-Klausel, die ja zurzeit de facto außer Kraft gesetzt ist, wiederbeleben.

Sie werde dadurch vielmehr endgültig beerdigt, meinen Eurobonds-Gegner. Die Sparbemühungen würden dann schnell eingestellt.

Nehmen Sie ein Land, das mit 80 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet ist. Es müsste alle weiteren Schulden mit Red Bonds aufnehmen. Die Zinsen darauf wären hoch, zusätzliche Verschuldung entsprechend teuer. Somit ist auch der Sparanreiz höher, auf die eigentlich zulässigen 60 Prozent herunterzukommen. Gleichzeitig wird ein Land im Durchschnitt entlastet, weil es für seine Schulden bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) tendenziell weniger zahlen müsste als heute.

Frage nach den Zinsen für europäische Bonds

Das hört sich nach Teilkasko an. Was aber ist mit den Zinsen für die europäischen Bonds? Eine Regierung wird doch lieber die Schulden bedienen, für die sie allein verantwortlich ist, wo doch die anderen gemeinsam abgesichert wären.

Unser Vorschlag ist da eindeutig: Blue Bonds müssten vorrangig bedient werden, bevor auch nur ein Euro an Gläubiger der Red Bonds geht.

Aber bevor diese dann nicht bezahlt werden, muss dann doch wieder mit Steuermilliarden gerettet werden, oder?

Damit die Red Bonds wirklich in rein nationaler Verantwortung bleiben, müssen sie aus den Banken herausgedrängt werden. Sonst würden bei einer Pleite sofort wieder Ansteckungseffekte im Finanzsektor drohen, und bald gäbe es wieder ein europäisches Rettungspaket.

Das müssen Sie genauer erklären.

Die Europäische Zentralbank sollte die Red Bonds, also die rein nationalen Schuldtitel, nicht mehr als Kreditsicherheit akzeptieren. Zugleich sollten die Eigenkapitalanforderungen für Banken, die diese Bonds halten, sehr hoch sein. Im Ergebnis hätten die Banken kaum noch Interesse an diesen Papieren. Stattdessen würden die Red Bonds von Investoren mit tiefen Taschen gehalten. Wenn es gut läuft, dann freuen sich diese Investoren über die relativ hohen Zinsen der Red Bonds. Und wenn es schlecht läuft, werden die Verluste privat weggesteckt und nicht auf die europäischen Steuerzahler abgewälzt.

Eurobonds würden also auch das Erpressungspotenzial des Finanzsektors verringern?

Die Banken und Schattenbanken drehen mit sehr wenig Eigenkapital ein sehr großes Rad. Die systemischen Effekte sind so groß, dass sie den Steuerzahler erpressen können. Aus dieser Situation müssen wir herauskommen. Die Basel-III-Regeln sind da ein Schritt in die richtige Richtung. Endlich muss für Staatsschuldentitel überhaupt Eigenkapital vorgehalten werden. Aber das reicht nicht. Deshalb unser Vorschlag, die riskanteren rein nationalen Schulden aus den Banken herauszuhalten.

Wer würde in der Praxis Anleihen begeben, das Geld einnehmen und verteilen?

Eine europäische Schuldenagentur im Auftrag der Staaten. Sie würde deren "europäische" und deren "nationale" Schuldtitel gleichermaßen emittieren. Der gesamte Geldfluss von den Steuereinnahmen zu den Gläubigern würde durch diese Behörde gelenkt. Es gäbe einen Stabilitätsrat, der für die Verteilung der Einnahmen aus den Eurobonds zuständig wäre.

Fehlt nicht die demokratische Kontrolle?

Stabilitätsrat, Schuldenagentur: fehlt da nicht die demokratische Kontrolle?

Das Demokratieproblem ist in dieser Krise eine Realität. Griechenland wird von den europäischen Partnern bis in kleine Details hinein regiert - ohne dass sich das Parlament in Athen wirklich dagegen wehren könnte. Das ist auch richtig so: Wir geben eine Menge Geld und sollten deshalb auch mitbestimmen. Aber über längere Zeiträume kann das zum ernsthaften Demokratieproblem werden. Deshalb schreibt unser Vorschlag den Ländern auch keine eiserne Schuldengrenze aus Brüssel vor. Für die Red Bonds gilt die nationale Verantwortung und damit auch die nationale Entscheidungshoheit, natürlich im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts.

Eurobonds würden tief in die EU-Strukturen eingreifen. Ohne langwierige Vertragsänderung ist das doch gar nicht zu machen, oder?

Ich bin kein Jurist und kann das nicht abschließend beantworten. Meine größte Sorge ist, dass wir Eurobonds zu lange ablehnen und sie dann an einem Krisenwochenende doch plötzlich brauchen. Uns würde dann ein mit heißer Nadel gestricktes Modell drohen, ohne die erforderliche institutionelle Verankerung, ohne die erforderlichen Sicherheiten.

Welche sind das?

Entscheidend ist die solide Verankerung der 60-Prozent-Grenze für Eurobonds. Denn die Krisenländer werden mit Sicherheit versucht sein, diese Grenze auf 80 oder 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben, um ihre hohe Staatsverschuldung billiger finanzieren zu können. Das sollte Deutschland nicht zulassen.

Athens Schulden liegen bei 150 Prozent der Wirtschaftsleistung. Eurobonds könnten da, selbst wenn sie sofort kämen, nicht helfen.

Mit 150 Prozent Staatsverschuldung kann sich Griechenland heute kein Geld am Markt besorgen und könnte es auch mit unserem Vorschlag nicht. Um wieder an den Markt zu kommen, müssen die Griechen auf jeden Fall umschulden - und zwar richtig, nicht nur kosmetisch wie bereits beschlossen. Auch hier hilft unser Vorschlag weiter: Wir schlagen den Umtausch bestehender Schulden in Blue und Red Bonds vor - mit erheblichen Abschlägen.

Bleibt noch ein kleines Problem. Die Bundesbürger werden mit Zahlen bombardiert, wonach Eurobonds sie viel teurer zu stehen kommen. Das Ifo-Institut, das die Phalanx der Gegner anführt, spricht von bis zu 47 Milliarden Euro im Jahr an Mehrkosten wegen höherer Zinsen. Wie wollen Sie dieses eingängige Argument entkräften?

Diese Berechnung gilt nicht für unseren Vorschlag, sondern bewertet die problematische Idee, Europas gesamte Staatsschuld zu vergemeinschaften. Genau das schlagen wir ja nicht vor. Außerdem möchte ich darauf aufmerksam machen, dass mit dem Blue Bond ein gigantischer und hochliquider Markt mit Eurostaatsanleihen entstünde. Wenn der Eurobond gut konstruiert wird, wäre er beispielsweise für Zentralbanken in Asien, die heute vom Dollar enttäuscht sind, hochinteressant. Wenn sich der Euro als eine globale Reservewährung etabliert, könnte das die Zinskosten für den Blue Bond spürbar senken. Davon würde auch Deutschland profitieren.

Zur Person Jakob von Weizsäcker

Ökonom: Jakob von Weizsäcker (41) leitet im Thüringer Wirtschaftsministerium die Abteilung Wirtschaftspolitik und Tourismus. Zuvor arbeitete der Ökonom in der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, die von verschiedenen EU-Staaten getragen wird. Dort entwarf er mit dem Franzosen Jacques Delpla ein Modell für europäische Gemeinschaftsanleihen, das Luxemburgs Premier und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker im vergangenen Herbst in die Debatte einbrachte.

Verwandt: Von Weizsäcker ist Sohn des Umweltforschers Ernst Ulrich und Großneffe des Altbundespräsidenten Richard von Weizsäcker.