Manche mögen sie, andere verfluchen sie: Europa diskutiert über eine Abschaffung der Zeitumstellung. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es nicht.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Stuttgart - Wenn sich mehr als eine Million Menschen an einer Umfrage beteiligen, dann ist das erst einmal ohne Zweifel eine beachtliche Menge. Wenn man sieht, dass alle 511 Millionen EU-Bürger dazu aufgerufen waren, ihre Meinung kundzutun, dann entspricht die Million gerade 0,2 Prozent. Das relativiert die Sache. Und das gibt jetzt schon einen Hinweis, wie die Diskussion wohl weitergehen wird, wenn das Ergebnis der Umfrage vorliegt. Die einen werden auf eine deutliche Mehrheit verweisen, die anderen auf eine doch begrenzte Teilnehmerschar.

 

Es geht um die Sommerzeit. Die ist, seit es sie gibt, ein Thema, das die Emotionen hochgehen lässt. Ihre Wurzeln liegen im Ersten Weltkrieg, seit 1979 gilt sie im damaligen West- wie Ostdeutschland. Sie hat Anhänger, die sich über mehr Helligkeit am Abend freuen, und Gegner, die gesundheitliche Beschwerden geltend machen, wenn am letzten Sonntag im März und im Oktober an der Uhr gedreht wird. Seit es die Sommerzeit gibt, wird deren Abschaffung diskutiert. Die Umfrage, die von der EU-Kommission initiiert worden ist, soll Aufschluss darüber geben, was die Menschen wollen. Ergebnisse wird es nicht vor dem Ende der Befragung am 16. August geben.

Die EU-Richtlinie 2000/84/EG legt die Sommerzeit fest

Online können die Menschen sagen, ob sie künftig gerne ohne Zeitumstellung leben würden, aber auch, ob sie Winter- oder Sommerzeit als Grundzeit bevorzugen. Man kann auch erklären, dass die Uhren dauerhaft eine Stunde nach vorne gestellt werden sollen – und im Sommer um nochmals eine weitere. Auf Grundlage der Ergebnisse sowie anderer Studien und Meinungen will die EU-Kommission dann entscheiden, ob sie einen Vorschlag zur Abschaffung der Zeitumstellung vorlegt. Denn seit mehr als 15 Jahren ist das Zeitproblem ein europäisches. Die EU-Richtlinie 2000/84/EG legt die Sommerzeit fest.

Auf diese Regelung hat auch schon der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages verwiesen, als sich Sommerzeitgegner an ihn gewendet hatten. „Die Richtlinie lasse den Staaten kein Wahlrecht“, heißt es da, eine Änderung des Status quo sei daher „nur auf europäischer Ebene“ sinnvoll. Denn die Harmonisierung der Sommerzeit habe ein Funktionieren des Binnenmarktes sicherstellen sollen.

Auch die USA bilden einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und haben vier Zeitzonen

Dass Waren und Dienstleistungen zwischen Madrid und Helsinki störungsfreier gehandelt werden können, wenn es dort nur eine Zeitzone gibt, ist freilich eine Behauptung, für die sich kein wissenschaftlicher Beleg finden lässt. Das bestätigt schlicht ein Blick nach Amerika: Auch die USA bilden einen gemeinsamen Wirtschaftsraum und haben vier Zeitzonen. Wenn es in New York sechs Uhr am Abend ist, dann ist es in San Francisco an der Westküste gerade mal 15 Uhr. Der Wirtschaftskraft schadet das kaum. Das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag kommt für hiesige Verhältnisse zu einem ähnlichen Ergebnis.

Immerhin mehr als 150 Seiten dick ist das Gutachten, in dem sich die Wissenschaftler mit den Auswirkungen der Sommerzeit beschäftigt haben. Dass die Zeitumstellung nicht den einst erhofften Gewinn beim Energiesparen bringt, ist dort ebenso noch einmal bestätigt wie die Tatsache, dass die Sommerzeit wohl kaum eine Auswirkung auf die Wirtschaft hat.

Für Änderungen an der bisherigen Regel gibt es vier Möglichkeiten

Die Zeitumstellung habe sich zu einer „Routineaufgabe“ entwickelt, heißt es, und dass es schlicht an belastbaren Informationen darüber fehle, ob die Zeitumstellung der Wirtschaft schade oder doch nütze. Die Vermutung lautet: Die einen mögen sie einfach, die anderen nicht so sehr.

Ganz egal, wie sich die Online-Befragten und danach die EU-Kommission auch entscheiden, der Deutsche Bundestag kann sich zunächst einmal zurücklehnen und Europa walten lassen. Für Änderungen an der bisherigen Regel gibt es im Wesentlichen vier verschiedene Möglichkeiten, alle vier haben ihre Wurzeln in Europa.

Dass die EU-Kommission von sich aus tätig wird, ist möglich, aber unwahrscheinlich. Dafür bräuchte es neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Sommerzeit, die liegen nicht vor. Variante zwei bestünde darin, dass das EU-Parlament die Kommission zum Handeln auffordert. Zwingen kann das Parlament die Kommission aber nicht, die Kommission könnte eine Änderung auch einfach ablehnen.

Möglichkeit drei besteht in einer Initiative des Europäischen Rates. Der müsste mit einfacher Mehrheit entscheiden, dann wäre wieder die Kommission an der Reihe. Und schließlich bleibt die Möglichkeit einer Europäischen Bürgerinitiative. Die bräuchte eine Million Unterstützer.